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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Verheißung, Begegnung und Erfüllung

Marko Rupnik SJ zu Lichtmess, dem größten Fehler der Kirche und zur Verkündigung durch die Kunst

Marko Rupnik SJ im SONNTAG-Interview über das Fest Darstellung des Herrn, den größten Fehler der Kirche und die Verkündigung durch die Kunst (© Foto: SONNTAG / Haab)
Marko Rupnik SJ im SONNTAG-Interview über das Fest Darstellung des Herrn, den größten Fehler der Kirche und die Verkündigung durch die Kunst (© Foto: SONNTAG / Haab)
P. Marko Rupnik SJ vor einem von ihm gestalteten Mosaik zur “Darstellung des Herrn“ (Kapelle im Heim für alte und kranke Jesuiten, Rom) (© Foto: Luciano Zarecchia; Haab)
P. Marko Rupnik SJ vor einem von ihm gestalteten Mosaik zur “Darstellung des Herrn“ (Kapelle im Heim für alte und kranke Jesuiten, Rom) (© Foto: Luciano Zarecchia; Haab)

Sie haben für die Kathedrale in Madrid und für die Krankenkapelle der Jesuiten in Rom Mosaike zur „Darstellung des Herrn“ geschaffen. Was ist die Botschaft des Festes?

Rupnik: Dieses Fest ist vor allem ein Fest der Begegnung. Die Ikonografie zeigt uns Begegnungen auf verschiedenen Ebenen: Begegnung des Alten mit dem Neuen, des Alten mit dem Neuen Testament, Begegnung der Verheißung mit der Erfüllung. Andererseits zeigt dieses Fest ein Problem auf: Maria und Josef bringen das Kind in den Tempel, damit Maria gereinigt und damit der Erstgeborene Gott geweiht wird, wie es das Gesetz des Mose vorschreibt. Aber weshalb denjenigen wie einen Sohn Mose behandeln, der Gottes Sohn ist? Er ist schon Gottes Sohn – weshalb ihn Gott weihen? Das zeigt, dass Jesus so sehr Mensch geworden ist, dass er sich sogar unserer Religiosität, unseren Traditionen und Bräuchen unterwirft. Auf der anderen Seite finde ich es sehr schön, wie Simeon, der am Ende seines Lebens angekommen ist, diesen Ritus verhindert.

Woran machen Sie das fest?

Rupnik: Da ist eine zweifache Bewegung: Maria und Josef kommen zum Tempel; Simeon und Anna warten dort. Simeon nimmt das Kind und zeigt die Erfüllung aller Propheten. Am Ende seines Lebens hat dieser Mensch, der geglaubt hat, keine leeren Hände. Er hat den Erlöser in seinen Händen. Das Evangelium zeigt: Der, der glaubt, empfängt. Wer nicht glaubt, wer nur blind oder wie ein Knecht Gesetze erfüllt, behält leicht leere Hände; er lebt nicht im Glauben, sondern in einer Religion.

Und Anna?

Rupnik: Anna stammt aus dem Geschlecht Ascher. Ascher ist einer der zwölf Stämme Israels, und er war der erste, der verlorengegangen ist. Sein Stammesgebiet war im heutigen Jaffa, im reichsten Teil des Landes Israel, wo viele Heiden wohnten und wo eine starke Wirtschaft war. In der Zeit Christi war Ascher praktisch ausgestorben. Dann wird sehr schön gesagt: Anna war sieben Jahre verheiratet, als ihr Mann starb. Sie heiratete nicht wieder, sie blieb ihm treu. Das meint bildlich: Sie ist sozusagen die einzige vom Stamm Ascher, die Gott treu geblieben, die nicht zur Heidin geworden ist. Und jetzt begegnet sie dem Erlöser, auf den alle zwölf Stämme gewartet haben. Ist das nicht wunderbar? Sie ist 84 Jahre alt, also zwölfmal sieben; zwölf ist die Zahl der Stämme Israels, sieben die Zahl der Vollkommenheit. Aber den Stamm Ascher gibt es praktisch nicht mehr, es sind keine zwölf Stämme mehr. Aber Gott ist dem Anfang treu; was er verheißen hat, erfüllt er nun.

Es wird also, ähnlich wie bei Simeon, betont: Gott ist treu?

Rupnik: Als Gott David berufen hat, war er Hirte in Betlehem. Zur Stadt Davids ist aber Jerusalem geworden, weil er dort König war. Den Hirten im Evangelium wird gesagt: Geht in die Stadt Davids! Und sie gehen nicht nach Jerusalem, sondern nach Betlehem, wo David Hirte war. Dabei bildeten die Hirten die unterste Gesellschaftsschicht. Im Talmud steht geschrieben: Wenn ein Schaf in eine Grube fällt, zieh es he-raus. Wenn der Hirte hineinfällt, lass ihn drinnen. Hirten durften auch weder in die Synagoge noch in den Tempel. Als Gott in der Stadt Davids – nicht in Jerusalem, sondern in Betlehem – geboren wurde, zeigte er sich aber zuerst den Hirten. Das sagt uns: Auch da ist Gott dem Anfang treu. Deshalb ist Lichtmess für mich auch ein Fest der Erfüllung: Jetzt gibt es keinen Tempel mehr, jetzt ist Christus selbst der Tempel.

Im zweiten Jahrtausend haben wir begonnen, statt Gott zu erfahren Gott zu erklären. Seitdem diskutieren wir unsere unterschiedlichen Ideen von Gott.

Wie verstehen Sie den Satz Simeons „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden“?

Rupnik: Im griechischen Urtext liest sich der Satz anders: Entlass nun deinen Knecht auf dem Weg des Friedens, in seinen Frieden. Diesen Satz findet man in der Literatur dort, wo der Herr seinen Dienstboten entlässt. Und die letzten Worte, die der Knecht sagt, sind eben diese: Entlass mich, damit ich in meinem Frieden gehen kann. Simeon geht zu einem neuen Leben: Segne mich, damit ich im Frieden weitergehe in eine neue Qualität des Lebens. Ein Übergang vom Alten zum Neuen: Bis jetzt war Religion, nun ist es Glaube. Vorher musste sich der Mensch bemühen, Gott zu dienen, jetzt empfängt er. Simeon hat sich ein Leben lang bemüht, war ehrenwert und gerecht, befolgte alle Gebote – nun ist das alles nicht mehr wichtig, nun beginnt für ihn eine neue Qualität des Lebens.

Was bedeutet das für uns heute?

Rupnik: Unser Katholizismus hat jahrhundertelang auf die perfekte Vollkommenheit des Individuums gebaut. Dadurch haben wir unseren Glauben zu einer Religion werden lassen. Aber im Glauben ist nicht die Perfektion wichtig, sondern die Erfüllung. Ich glaube, dass wir die Erfahrung des Jenseits vollkommen verloren haben, die Erfahrung des Eschaton, der Erfüllung. Im zweiten Jahrtausend haben wir begonnen, statt Gott zu erfahren Gott zu erklären. Und seitdem diskutieren wir unsere unterschiedlichen Ideen von Gott: Gott ist so, nein, das ist falsch, für mich ist er ganz anders usw. Aber wir haben keine Erfahrung Gottes mehr. 

Vor jeder Theologie steht also die Erfahrung Gottes?

Rupnik: „Das Leben Gottes ist das Licht des Menschen“, schreibt Johannes im Prolog seines Evangeliums. Das ist Theologie: Am Anfang steht das neue Leben, das uns in Christus geschenkt ist. Aber Gott füllt uns sein Leben nicht so ein, wie wir an der Tankstelle Kraftstoff ins Auto füllen. Nein, so nicht. Gott schenkt uns göttliches Leben, wenn er uns als Leib Christi begründet. Wenn ich dem individualistischen Leben sterbe und in einem neuen Leben aufwache und feststelle, dass ich Sohn bin und dass du mein Bruder, meine Schwester bist. Das ist die Erfahrung neuen Lebens, und daraus entsteht der Wunsch, eine Kultur neuen Lebens zu pflegen. Es ist ein gemeinschaftliches Leben, ein Leben als Teil des Leibes Christi. Kirche in diesem Sinn ist eine neue, eine göttliche Menschheit – Menschheit als Offenbarung Gottes. Diese Art von Kirche lebt nicht in halbstaatlichen Institutionen, sondern in Ehepaaren, Familien, kleinen Gemeinschaften und im Miteinander aller Christen. 

Ist das die Theologie, die auch aus Ihren Kunstwerken spricht?

Rupnik: Die Kirche als Gebäude ist ein Bild der Kirche als Leib Christi. Und so, wie die Kirche Leib Christi ist, ist das Gebäude das Tuch, auf das ihr Porträt gezeichnet ist. Deshalb ist für mich sehr wichtig, nicht alleine zu arbeiten, sondern in Gemeinschaft. Wir leben in Gemeinschaft, um Kirche zu leben und um das in unseren Bildern wiederzugeben. Wir beginnen immer mit der Eucharistiefeier. In der Eucharistiefeier werden wir zu dem, was wir im tiefsten Glauben sind: Leib Christi. Und bei der Kommunion empfangen wir, was wir sind: Corpus Christi. Wir antworten mit „Amen!“, „Ja, so ist es!“. Es ist nicht genug, davon zu sprechen und es zu lehren. Sonst wird das Christentum zu einer Philosophie, zu einer Idee, wie man leben soll. Das aber ist gefährlich: Wenn die Wahrheit nicht schön wird, wird sie zur Ideologie; wenn das Gute nicht schön wird, wird es fanatisch.

 

Interview: Georg Haab

Zur Person:

P. Dr. Marko Rupnik SJ, geb. 1954 in Zadlog (Slowenien), trat 1973 in den Jesuitenorden ein und studierte Theologie und Kunst. Auf die Priesterweihe 1985 folgte ein Zusatzstudium mit Schwerpunkt Missionswissenschaften und 1987 bis 1991 hauptsächlich Jugendarbeit.
Seit September 1991 ist Rupnik Leiter des künstlerisch-spirituellen Centro Aletti in Rom, seit 1999 Konsultor des Päpstlichen Rats für die Kultur. Sein Wirken wurde mit hohen slowenischen und internationalen Auszeichnungen gewürdigt.
Rupnik hat mit seinem 17-köpfigen Team aus verschiedenen Nationen auch die Mosaike für die Kapelle im Bildungshaus Sodalitas in Tainach/Tinje konzipiert und gestaltet.