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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Unsere Demokratie ist gefährdet

Philippe Narval über die Rettung der Demokratie durch die Bürger

In seinem Buch „Die freundliche Revolution“ warnt Philippe Narval, Geschäftsführer des „Forum Alpbach“, vor den Gefahren des Populismus und zeigt, wie lebendige Demokratie funktioniert.

Philippe Narval, Geschäftsführer des “Europäischen Forum Alpbach“ sieht unsere Demokratie “in Seenot“. Wie man sie retten kann und wie man politische und gesellschaftliche Entscheidungen auf eine andere Ebene heben kann, zeigt er anhand zahlreicher Beispiele. Im SONNTAG-Gespräch skizziert er die Gefahren, aber auch die Chancen für die westliche Demokratie. (© Foto: andrei pungovschi)
Philippe Narval, Geschäftsführer des “Europäischen Forum Alpbach“ sieht unsere Demokratie “in Seenot“. Wie man sie retten kann und wie man politische und gesellschaftliche Entscheidungen auf eine andere Ebene heben kann, zeigt er anhand zahlreicher Beispiele. Im SONNTAG-Gespräch skizziert er die Gefahren, aber auch die Chancen für die westliche Demokratie. (© Foto: andrei pungovschi)
In seinem Buch “Die freundliche Revolution“ ruft Philippe Narval zur Rettung der Demokratie auf. (© Foto: molden)
In seinem Buch “Die freundliche Revolution“ ruft Philippe Narval zur Rettung der Demokratie auf. (© Foto: molden)

Ihr Buch „Die freundliche Revolution“ trägt den Untertitel „Wie wir gemeinsam die Demokratie retten“. Was sind für Sie Anzeichen, die zu diesem dramatischen Aufruf führen?
Narval: Wir haben vergessen, dass Demokratie immer ein Prozess ist und Weiterentwicklung braucht. Es hat sich der Irrtum eingeschlichen, dass Demokratie ein „Endzustand“ ist – und dann muss man nichts mehr tun. Eine Entwicklung gibt es nur, wenn die Bürger kontinuierlich wachsam sind und sich engagieren.

Das ist aber nicht immer bequem ...
Narval: Demokratie ist auch die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen. Aber wie viel Zeit verbringen wir heute in Sozialen Netzwerken und wie viel Zeit im direkten Dialog? Vor allem mit Menschen, die nicht einer Meinung sind? Die soziale Blase gibt es und sie fördert nicht den Diskurs und die Demokratie.

Kann es sein, dass die Demokratie viele Erwartungen der Menschen nicht erfüllt? Ist das der Grund, warum sich viele von unserem Modell der Demokratie abwenden?
Narval: Wir haben Akteure innerhalb und außerhalb Europas, die Grundprinzipien der Demokratie, Menschenrechte, das Wahlrecht, die freie Meinungsäußerung nicht anerkennen. Polen und Ungarn werben ganz aktiv für ihr Modell einer illiberalen Demokratie. Dass dies auch bei uns auf Resonanz stößt, hängt schon auch mit dem Unverständnis der Bürger zusammen, dass demokratische Prozesse einfach länger dauern. Das hängt mit unserer Konsumkultur zusammen, in der man alles will – und das sofort. So funktioniert aber das Finden von Kompromissen und die demokratische Gesetzgebung nicht. Da muss man aber schon fragen, wo die Leute das lernen sollen. Politische Bildung oder auch Geschichte erhalten in den Schulen immer weniger Stunden.

Hängt es nicht auch mit einem Vertrauensverlust zusammen? Dieser betrifft nicht nur die Politik, sondern eigentlich sämtliche Institutionen, die früher Halt gaben – ich denke da auch an die Kirche.
Narval: Das ist auch dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet. Die Demokratie bei uns ist relativ jung. Lange wurden hierarchische Instanzen nicht hinterfragt. Das hat sich gewandelt. Dazu kommt die Erfahrung, dass die Macht dieser Instanzen mitunter missbraucht wurde. Auch das schafft kein Vertrauen – gerade in einer Zeit ganz radikaler Transparenz, wie wir sie heute erleben. Heute kommen Dinge an die Öffentlichkeit, die früher im Verborgenen geblieben sind. Das hat dazu geführt, dass Zweifel an der Integrität mancher Institutionen aufgekommen sind. Die Bürger sind heute wachsamer und kritischer. Eine unkritisch hingenommene Autorität hat es bei uns schwerer – das halte ich für gut. Führung heißt heute, authentisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Symbolhafte Handlungen alleine sind zu wenig. Nur wer nach innen lebt, was er nach außen vorgibt, wird auch weiterhin erfolgreich sein. Wenn man offen und transparent agiert, kann man auch Alliierte gewinnen.

Sie haben etliche Projekte innerhalb und außerhalb Österreichs besucht, wo es Politikern gelungen ist, Alliierte zu finden. Aber auch umgekehrt, wo Bürger durch ihre Aktivitäten Politik massiv beeinflussen konnten. Was kann man davon lernen?
Narval: Einmal, dass die Diskussion zur Weiterentwicklung der Demokratie viel differenzierter betrachtet werden muss. Wenn man – wie in Österreich – direkte Demokratie auf Volksabstimmungen reduziert, ist das zu kurz gedacht und bringt gar nichts. Wir brauchen unterschiedliche Zugänge für unterschiedliche Herausforderungen. Aber auch das Argument von vielen: „Das geht nicht, das bringt nichts“, gilt heute auch nicht mehr. Ich zeige im Buch viele unterschiedliche Zugänge auf, die erprobt sind und sich bewährt haben. Was sie alle verbindet, ist der konstruktive Zugang zu Politik- und Zukunftsentwicklung.

Kommt es also auf jeden einzelnen, jede einzelne an?
Narval: Natürlich hat jeder einzelne die Möglichkeit, etwas zu verändern. Mir war es deshalb ganz wichtig, das Beispiel einer Kindergärtnerin zu zeigen. Sie bringt den Kindern Demokratie bei, indem sie Freiräume zum Mitentscheiden schafft. Damit ändert sie nicht die große Weltpolitik. Aber es ist ein großartiger Beitrag zur Demokratieentwicklung. „Auf mich kommt es ja nicht an“ ist einer der schlimmsten Sätze, die man sagen kann.

Sie sind Geschäftsführer des „Forum Alpbach“, wo jedes Jahr über die Zukunft Europas und der EU diskutiert wird. Ist nicht eine Krankheit der EU, dass gerade sie Lichtjahre von solchen Beteiligungsprozessen entfernt ist?
Narval: Sie dürfen eines nicht vergessen: Die EU ist der Zusammenschluss von Nationalstaaten. Entscheidungen und Strategien geben die Regierungen und Regierungschefs vor. Das heißt im Klartext, wir müssen auf unsere eigenen Regierungen Druck ausüben, dass sie die Union demokratischer machen.

Wenn Sie Ihre Recherchereisen zu dem Buch Revue passieren lassen: Wie sehen Ihre Zukunftshoffnungen für die Demokratie in Mitteleuropa aus?
Narval: Die Lage ist ernst, und der Angriff des Populismus auf bestehende demokratische Instanzen ist voll im Gange. Nicht nur in Osteuropa wird auf dem Rücken von Schwächeren Politik gemacht. Ich setze aber sehr viel Hoffnung auf die Erneuerung Europas von unten: Bürgerbewegungen, Verantwortliche auf Gemeinde- und Regionsebene, die Bürgerengagement möglich machen. Da tut sich sehr viel.

... und sie wollen diese Bewegungen stärken und ausbreiten helfen?
Narval: Auf regionaler Ebene haben wir sehr viel Innovationskraft. Was ich mit dem Buch versucht habe, ist, Menschen in den Vordergrund zu rücken, von denen man sonst nichts hört, die aber echte Pioniere in der Erneuerung der Demokratie sind. Europa kann sich nur weiterentwickeln, wenn wir sie stärken und mit ihnen eine Allianz für mehr Demokratie und Teilhabe schmieden.