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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Österreich wird finsterer ...

Der Journalist Peter Huemer im Sonntag-Gespräch

Der langjährige ORF-Journalist Peter Huemer über Patriotismus, Flüchtlinge und die Zukunft des Fernsehens

Peter Huemer im SONNTAG-Gespräch über Patriotismus, den Umgang mit Flüchtlingen und die Zukunft des Fernsehens. (© Foto: Weeber)
Peter Huemer im SONNTAG-Gespräch über Patriotismus, den Umgang mit Flüchtlingen und die Zukunft des Fernsehens. (© Foto: Weeber)
Der langjährige ORF-Journalist Dr. Peter Huemer (© Foto: Weeber)
Der langjährige ORF-Journalist Dr. Peter Huemer (© Foto: Weeber)

Herr Doktor Huemer, eines Ihrer Bücher trägt den Titel „Heimat. Lügen. Literatur“. Was bedeutet für Sie Heimat? Fühlen Sie sich als Patriot? Sind Sie in diesen Tagen stolz auf dieses Österreich?
Huemer: Ja, ich fühle mich als Patriot. Nicht nur, wenn es um die Fußballnationalmannschaft geht, da merke ich es deutlich. Aber ich fühle mich insgesamt als Patriot. Es geht nicht um Stolz, das sind andere Gefühle. Dies hat mit dem problematischen Begriff „Heimat“ zu tun; das hat mit Zugehörigkeit zu tun und mit Landschaft. Es geht hier nicht um Stolz, sondern um Zugehörigkeit: Etwa meine Kinderheimat in der Nähe von Linz, es ist auch Wien, es ist auch der Wolfgangsee.

Viele Menschen mussten in der jüngsten Vergangenheit ihre Heimat verlassen und sind als Flüchtlinge nun zu uns gekommen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Flüchtlingsproblematik?
Huemer: Das große Problem, das jetzt entsteht, liegt nicht in den Flüchtlingen, die zu uns kommen. Es bereitet mir Sorgen und allmählich Angst, welche Reaktion diese Entwicklung in Österreich hervorruft. Menschen werden verhetzt, und es wird auch gelogen. Das politische Klima hat sich in Österreich verschlechtert. Dieser Flüchtlingsstrom wird jetzt einmal nicht aufhören. Es werden weiterhin Flüchtlinge nach Österreich kommen. Es ist einsehbar, dass diese Menschen um ihr Leben laufen – nach Europa. Dieser Flüchtlingsstrom wird irgendwann auch wieder nachlassen. Das ist für Europa absolut bewältigbar.

Wenn man sich das Ausmaß der Flüchtlingswelle vor Augen führt, so sind das Millionen, die ihre Heimat verlassen. Die meisten davon bleiben ja in der Region. Handelt es sich hier um eine moderne Völkerwanderung?
Huemer: Ich würde es nicht als Völkerwanderung bezeichnen. Aber Umberto Eco hat bereits vor 24 Jahren in einem Gastkommentar in einer italienischen Zeitung behauptet, dass eine Völkerwanderung auf uns zukommt. 1991 stellt er die Frage, wie sie integriert und assimiliert werden könnten. Dadurch wird etwas Neues entstehen, und wir werden uns damit abfinden müssen.

Welche Gedanken kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Elend der Asylsuchenden in den Medien verfolgen?
Huemer: Es ist eine spontane Regung des Mitleids. Wir haben die Verpflichtung zu helfen, konkret zu helfen. Ich meine damit die Hilfe, die notwendig war in dieser ganzen Drucksituation, zumal wir eines der reichsten Länder der Erde sind.

Im Moment ist die Antwort der reichsten Länder, Grenzzäune zu errichten und die Festung Europa „uneinnehmbar“ zu machen. Gleichzeitig mangelt es an Solidarität zwischen den EU-Staaten. Ist der Traum Richard Coudenhove-Kalergis von einem Vereinten Europa gescheitert?
Huemer: Nein, es gibt nach wie vor das Prinzip Hoffnung. Mit Kompromissen geht es dennoch weiter. Wenn man eine ordentliche Krise durchgestanden hat, muss man Konsequenzen ziehen. Die Finanzkrise etwa hat dazu geführt, dass stärkere Kontrollen eingeführt worden sind. Ich glaube, die EU hält zusammen, es wird jedoch schwierig werden.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der Kirche angesichts der Flüchtlingssituation?
Huemer: Es gibt zunächst einmal ein großes katholisches und evangelisches, ein sehr großes christliches Engagement. Da machen Caritas und Diakonie sehr viel. Aber nicht nur diese, das Engagement geht weit darüber hinaus. Generell meine ich aber, es könnte noch mehr getan werden – wenn es etwa um Räume für Asylwerber geht.

Wenn man die Debatten in der Öffentlichkeit, vor allem in den sozialen Medien, verfolgt, so kann einem Angst und Bange werden. Sie sind oft geprägt von Fremdenfeindlichkeit und sogenannten „Hasspostings“. Auf der anderen Seite gibt es die „Flüchtlinge willkommen“-Bewegung. Wie beurteilen Sie die Situation?
Huemer: Ich sehe eine wachsende Fremdenfeindlichkeit, die aggressive und rassistische Züge hat, und eine Verhetzung der Menschen. Die Spaltung wird größer, genauso wie die Gehässigkeit. Ich befürchte:  Österreich wird finsterer …


Hätten da nicht auch die Medien eine Aufgabe, gegenzusteuern? Sie selbst waren 30 Jahre lang im ORF aktiv. Heute gibt es Privatsender, die eine Veränderung der Medienlandschaft bewirkt haben. Dazu kommen Internet und soziale Medien. Was ist der Auftrag des Fernsehens?
Huemer: Ich bin ein überzeugter Anhänger des öffentlich-rechtlichen Systems. Wenn der ORF diesen Auftrag nicht erfüllt, dann verliert er seine Existenzberechtigung. Dieser Auftrag geht in Richtung von Information, Mündigkeit und Demokratiepolitik. In einer Demokratie sollen mündige Bürger die Entscheidungen treffen, das ist die zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Systems, sonst verliert es seine Existenzberechtigung. Die kommerziellen Stationen haben einen anderen Daseinszweck, den Zweck, Geld zu verdienen, als Transportmittel für die Werbung. Insgesamt habe ich den Eindruck, die Bedeutung des Fernsehens könnte in der tradierten Form entschieden abnehmen. Das Kino ist die stabilere Form und wird das Fernsehen überleben.

Was wird die Alternative zum herkömmlichen Fernsehen sein?
Huemer: Das Fernsehen wird sich mehr und mehr zerbröseln, in ein System, wo sich jeder sein eigenes Programm zusammenstellt. Den jungen Menschen ist es in der Form schon schwer vermittelbar.

In Ihrem Buch „Heimat. Lügen. Literatur“ (Verlag der Apfel) verfassten Sie einen Nachruf auf Ihren Kollegen Claus Gatterer, einen anerkannten Journalisten aus Südtirol, der es nicht leicht hatte. Haben es Landkinder im Berufsleben noch immer schwerer in diesem Österreich?
Huemer: Ich bin selbst ein Landkind, das in der Nähe von Linz aufgewachsen ist. Beim beruflichen Fortkommen gibt es die gläserne Decke zwischen Stadt und Land, Arm und Reich auch heute noch.