Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Sich für andere Menschen einzusetzen, macht glücklich

Franz-Joseph Huainigg im "Sonntags"-Gespräch

Nationalratsabgeordneter, Buchautor und Rollstuhlfahrer Franz-Joseph Huainigg über Glück, Lebensgestaltung und falsches Mitleid

Nationalratsabgeordneter, Buchautor und Rollstuhlfahrer Franz-Joseph Huainigg im SONNTAG-Interview über Glück, Lebensgestaltung und falsches Mitleid (© Foto: Christian Müller)
Nationalratsabgeordneter, Buchautor und Rollstuhlfahrer Franz-Joseph Huainigg im SONNTAG-Interview über Glück, Lebensgestaltung und falsches Mitleid (© Foto: Christian Müller)
Franz-Joseph Huainigg und seine Gattin übergeben Papst Franziskus ein mundsigniertes Exemplar des Buches “Mit Mut zum Glück“. (© Foto: Vatikanischer Pressedienst)
Franz-Joseph Huainigg und seine Gattin übergeben Papst Franziskus ein mundsigniertes Exemplar des Buches “Mit Mut zum Glück“. (© Foto: Vatikanischer Pressedienst)

Aus welcher Quelle schöpfen Sie die Kraft und die Hoffnung?
Huainigg: Ich habe Glück, dass meine Eltern mir viel Kraft mitgegeben haben. Sie nahmen mich überallhin mit. Meine Mutter trug mich auf dem Arm, bis ich 9 Jahre alt war und mit Schienen gehen lernte, und sie kämpften dafür, dass ich in die „normale Schule“ gehen konnte. Integration war in den 1970er-Jahren noch ein Fremdwort. Sie gaben mir viel Kraft, und ich möchte es als Urvertrauen bezeichnen, auf das ich baue und mit dem ich positiv in die Welt blicke. Ich vertraue auf das Gute in der Welt, dass sich Dinge positiv entwickeln. Dabei glaube ich an eine gute, höhere Macht: Ich lebe im Gottvertrauen.

Was hat Sie zu dem gebildet, der Sie heute sind?
Huainigg: Das Leben. Als Baby konnte ich nach einer Impfung meine Beine nicht mehr bewegen. Später, mit 35, konnte ich plötzlich meine Hände nicht mehr bewegen. Das war ein schwer hinzunehmender Verlust, nicht mehr am Computer schreiben zu können, mich nicht mehr alleine an- und ausziehen zu können, mich nur mehr mit Unterstützung fortbewegen zu können oder auch bloß eine Wimper aus dem Gesicht zu streifen. Damit musste ich erst leben lernen. Und dann kam der nächste Schlag: Zwei Jahre später konnte ich nicht mehr richtig sehen. Den Menschen nicht mehr in die Augen schauen zu können und damit in die Seele, machte mich traurig. Ich musste lernen, den Nebel um mich nicht in den Kopf einziehen zu lassen. Ich war oft mit Verlusten und Schwierigkeiten konfrontiert. Aber ich habe gelernt, dies als Herausforderung anzunehmen und daran zu wachsen. Und das Schöne ist, dass ich tatsächlich daran gewachsen bin.

Was ist Glück? Wie hat sich Ihr Begriff von „Glück“ im Lauf Ihres Lebens gewandelt?
Huainigg: Die großen Glücksmomente sind oft die scheinbar kleinen Dinge im Leben: beispielsweise mich alleine anzuziehen oder alleine ins Auto einsteigen zu können. Nach meiner Gesundheitskrise 2006 wieder mit der Atemkanüle sprechen zu können, wieder eine Rede im Parlament zu halten, sprich überhaupt wieder meinen Beruf ausüben zu können. Oder auch wieder essen zu lernen: Nach drei Monaten war ein Kaugummi mit Apfelgeschmack ein unglaublicher Glücksmoment! Das größte Glück ist es aber, Menschen zu finden, mit denen man das Leben, Gefühle und Empfindungen teilen kann. Beziehungen und Freundschaften sind ein Geben und Nehmen, das glücklich macht. Ich bin zum Glück von solchen Menschen umgeben: meine Frau, die mit mir durch dick und dünn geht; meine Kinder, die uns in Bewegung halten, uns Freude machen und für die wir da sein können.  Zu meinem Glück gehören auch die Persönlichen Assistentinnen, die ein wichtiger Teil unserer Familie sind.

Was bedeutet für Sie, das Leben anzunehmen und zu gestalten?
Huainigg: Aufgrund meiner Behinderung kann ich mich nicht selbstständig an- und ausziehen, nicht Bücher lesen, nicht am Computer schreiben, nicht den Rollstuhl bewegen, mich nicht an der Nase kratzen, wenn es juckt. Aber dank der Unterstützung meiner Persönlichen Assistentinnen kann ich ein selbstbestimmtes Leben inmitten der Gesellschaft führen. In manchen Momenten würde ich mir wünschen, auch einmal allein zu sein, aber generell sehe ich es als eine große Bereicherung für mein Leben, dass ich immer jemanden an meiner Seite habe. Es ist schön, wenn einen jemand so gut kennt, dass ein Blick oder eine Kopfbewegung genügt. Oft braucht es nicht einmal das. Natürlich gibt es in meinem Leben Grenzen: Es macht mich traurig, dass ich niemanden umarmen kann. Aber meine Kinder kommen immer zu mir und umarmen mich. Viele Grenzen entstehen in unserem Kopf. Man muss die Dinge nur wagen, auch wenn sie anfangs verrückt erscheinen.

Ich glaube, dass das Glück im Du liegt. Sich für andere Menschen einzusetzen, ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, macht nicht nur andere glücklich, sondern auch sich selbst.

Welche Ziele haben Sie?
Huainigg: Viele. Wenn mir eine Fee erschiene und ich drei Wünsche frei hätte, wünschte ich mir:
1. Dass aus unseren Kindern glückliche Menschen werden, die sich für andere Menschen einsetzen.
2. Dass die Welt jährlich aufgeregt wartet, nicht wer mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird, sondern welcher lernbehinderte Autor „meinen“ Literaturpreis Ohrenschmaus heuer bekommt. Der Literaturpreis Ohrenschmaus zeichnet Texte von Menschen mit Lernbehinderung aus. Das sind wirklich besondere und berührende Blicke auf unsere Welt.
3. Dass die neuen Weltziele bis 2030 umgesetzt sind: keine Armut mehr, kein Hunger mehr, Stopp der Erderwärmung. Hier sind wir alle gefordert. Wir alle sind die Zukunft dieser Welt.
Es gibt viel zu tun!


Sie haben eine offensichtliche Behinderung, und Sie sind viel in der Öffentlichkeit. Wie begegnen Ihnen die Menschen? Was würden Sie sich wünschen?
Huainigg: Viele Menschen sind verunsichert, wenn sie mir zur Begrüßung die Hand entgegenstrecken und diese unbeantwortet in der Luft hängen bleibt. Meine Assistentin sagt dann immer: „Einfach hingreifen!“ Viele befürchten, etwas Falsches zu sagen oder sind hilflos, wenn ich eine – durch mein Beatmungsgerät verursachte – Redepause mache. In meinem Buch gebe ich 10 Ratschläge zum adäquaten Umgang mit behinderten Menschen. Der 10. Ratschlag lautet: „Vergessen Sie diese Regeln. Schalten Sie Ihren Verstand und Ihr Feingefühl ein, seien Sie ganz Sie selbst.“ Wichtig ist die Offenheit. Ich glaube, dass der Schlüssel für einen „normalisierten“ Umgang in der Schule liegt. Durch das gemeinsame Lernen und Leben werden Vorurteile abgebaut oder entstehen erst gar nicht. Und dafür setze ich mich mit dem Gewicht meines 100 kg schweren Rollstuhls ein!

Wie gehen Sie mit mitleidigen Blicken um?
Huainigg: Mitleidige Blicke oder ein Streicheln über den Kopf sind gut gemeint – aber Sie wissen ja: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Wichtig sind Mitgefühl und Empathie. Nicht über behinderte Menschen reden, sondern mit ihnen, ihnen zuhören, ihre Anliegen hören. Extrem stört mich, wenn zu Weihnachten behinderte Menschen vor die Kamera gezerrt und durch Mitleid Spenden gesammelt werden. Das beginnt schon beim Titel der Sendung „Licht ins Dunkel“ – die nichtbehinderten Menschen im Licht, die behinderten Menschen im Dunkeln. Das ist das alte Denken von Almosen, Fürsorge und Mitleid. Der ORF sollte sich dringend ein neues Sendungskonzept überlegen, und dazu gehört auch ein neuer Sendungstitel. In Deutschland gab es z. B. die „Aktion Sorgenkind“, die nun „Aktion Mensch“ heißt, und nicht über behinderte Menschen berichtet, sondern mit ihnen Sendungen gestaltet.

Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Huainigg: Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, Sorge und Angst. Mit meinem Buch „Mit Mut zum Glück“ möchte ich ein wenig Mut in die Köpfe und Herzen der Menschen bringen. Viele kämpfen verbissen um ihr persönliches Glück, werden dabei aber nicht glücklich. Glück ist wie ein Schmetterling: Jage ihm nach, und er flattert davon. Setzt du dich hin, lässt er sich auf deiner Schulter nieder. Zudem glaube ich, dass das Glück im Du liegt. Sich für andere Menschen einzusetzen, seinem Nachbarn oder Arbeitskollegen ein aufmunterndes Lächeln zu schenken und für eine bessere und gerechtere Welt zu kämpfen, macht nicht nur andere glücklich, sondern auch sich selbst.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Dr. Franz-Joseph Huainigg, geboren 1966 in Paternion, ist seit früher Kindheit an beiden Beinen gelähmt. Der promovierte Germanist ist bekannt als Autor und Medienpädagoge. Er ist Abgeordneter zum Nationalrat, Behindertensprecher und Mitglied der parlamentarischen Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“.

Veranstaltungstipp:

Podiumsgespräch „Was macht Leben lebenswert?“
Franz-Joseph Huainigg
Olympia-Sieger Matthias Mayer
Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung
Trauerseelsorger Johannes Staudacher
Donnerstag, 2. Juni 2016, 17.00 Uhr, Holiday Inn, Europaplatz 1-2, Villach

Buchtipp:

Franz-Joseph Huanigg, Mit Mut zum Glück. Das  Leben wagen, 176 Seiten, gebunden,
Ueberreuter-Verlag 2016, € 19,99