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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Schlüssel zu den wichtigsten Fragen des Lebens

Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Österreichischen Bibelwerks, zu Bedeutung der Bibel und wie man Zugang zu ihr finden kann

Dr. Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks (Foto: Georg Haab)
Dr. Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks (Foto: Georg Haab)

Ihre erste Ausbildung, Ihre erste Liebe sozusagen, galt nicht der Theologie, sondern der Musik?
Birnbaum: Ich stamme aus einer Musiker-Familie mit Kärntner Wurzeln, meine Großmütter wohnten in Klagenfurt und Feldkirchen, und mein Berufswunsch von klein auf war, Opernsängerin zu werden. So habe ich eine Gesangsausbildung genossen und auch ein paar Jahre in diesem Metier gearbeitet. Da

nn habe ich eine Neuausrichtung gesucht und bin zu meiner eigenen Überraschung zur Theologie gestoßen: ein Entschluss, den ich nie bereut habe. Es ist einer der schönsten Berufe, weil man sich die Fragen stellen kann, die wirklich wichtig sind im Leben. Man beschäftigt sich mit den Dingen, die im Leben wirklich zählen, und das auf eine sehr vielfältige, umfassende Weise.

Was im Leben wirklich wichtig ist: Viele Menschen sagen, die Bibel sei ihnen zu lebensfern.
Birnbaum: Ich glaube, dass sich die Bibel nicht beim ersten Lesen erschließt. Es braucht einen Zugang. Ich selbst habe ihn vom Künstlerisch-Musikalischen her gefunden. Was es braucht, ist eine Grund-Neugier und die Bereitschaft, sich wirklich darauf einzulassen. Dann findet man auch Wege, die einem dabei helfen: Das kann wer anderer sein, der die Stelle erschließt, oder ein Studientag, oder dass man selbst so lange daran herumtüftelt, bis man etwas findet.

Wieso sprechen manche Bibelstellen mehr und andere weniger an?
Birnbaum: Manches ist vielleicht gerade jetzt, im Moment, nicht das Nächste. Wir leben in einer friedlichen Zeit, und da hört man manche gewalttätigen Geschichten der Bibel nicht gerne. Wenn ich in Syrien lebe, sehe ich das ganz anders: Da bin ich froh, dass Gott auf meiner Seite ist und nicht auf der Seite der Feinde; wenn ich verfolgt bin, bedrängt, täglich mit Gewalt konfrontiert, bin ich froh, dass das auch in der Bibel einen Raum hat und nicht verschwiegen wird. So kann uns nicht jede Bibelstelle gleich stark ansprechen. Aber es lohnt sich prinzipiell, sich hineinzuversenken, dann finde ich auch „meine“ Bibelstelle, die eine wichtige Botschaft für mich enthält.

Steht Gott nicht immer auf der Seite der Bedrängten? Ist das die Perspektive, aus der ich die Bibel am besten verstehe?
Birnbaum: Ja, und vielleicht sind wir auch ein wenig zu satt geworden und zu wenig bedrängt. Ich glaube schon, dass wir gerade in existenziellen Krisen oder in Situationen, die einen mit existenziellen Fragen in Berührung bringen, leichter einen Zugang zur Bibel finden: Da kann dieser ungemeine Schatz an Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben, einem durchaus zu Herzen gehen.

Menschen ringen und beschreiben, was nicht sie allein, sondern ein ganzes Volk mit Gott erlebt hat.

Die Bibel ist sehr vielfältig: Wichtiges wird zweimal gesagt und in unterschiedlicher Weise, die Evangelien gibt es gleich viermal. Wie kann das sein, dass Gottes Wort so vielfältig bis widersprüchlich ist?
Birnbaum: Literaturkritiker haben es leicht, indem sie sagen: Das eine ist früher entstanden, das andere später oder von einem anderen Verfasser. Das ist ein Teil der Wahrheit. Warum aber stehen solche teils widersprüchlichen Texte heute nebeneinander? Weil sie mit diesen Fragen ringen und beschreiben, was nicht die Verfasser allein, sondern ein ganzes Volk mit Gott erlebt hat. Sie beschreiben das nicht im Sinn eines Berichtes – es war so und nicht anders –, sondern im Sinn einer verdichteten Glaubenserfahrung. Deshalb können ja die Texte immer wieder neu zu uns sprechen. Zum Beispiel bei der Frage nach dem Leid: Das ganze Ijob-Buch ist voll damit, und es gibt ganz viele Antworten auf diese Frage. Letztlich wird aber keine davon als ein für alle Mal gültig erklärt. Denn es geht nicht darum, dass man das Leid versteht, sondern besteht. Trotzdem ist diese Diskussion wichtig und richtig, nämlich dass man darum ringt. Die Bibel ist kein Buch, das systematisch abhandelt „Gott ist so und so“. Die Bibel erzählt einfach. Alles, was die Bibel über Gott sagen will, fasst sie in Erzählungen. Ob das genauso stattgefunden hat, ist eine sekundäre Frage.

Wenn jemand Geschmack an der Bibel findet: In welcher Weise, raten Sie, sollte er an das Buch herangehen?
Birnbaum: Zuerst soll er einmal in sein Herz hören, was ihm oder ihr daran Geschmack macht. Es gibt nicht den einen Weg. Am wenigsten würde ich empfehlen, die Bibel von vorne bis hinten am Stück durchzulesen. Ich rate eher dazu, vielleicht die Tageslesungen zu nehmen und zu fragen, in welcher Weise sie etwas mit mir zu tun haben könnten. Jemand könnte auch sagen: Ich brauche etwas, was mir in einer Situation emotional hilft; dann sollte man vielleicht eher die Psalmen aufschlagen. Menschen, die Jesus einmal besser kennen lernen möchten, können mit den Evangelien beginnen; vielleicht mit Markus, das ist das kürzeste. Oder wenn ich ein Bild gesehen oder ein Musikstück gehört habe, und irgendetwas hat mich da angesprochen: Dann fange ich bei der betreffenden Stelle an und schaue, was da rundherum ist. Es gibt ganz viele Zugänge.

Eine Grundsatzfrage ist auch: alleine oder in einer Gruppe?
Birnbaum: Hat man das Gefühl, dass es alleine nicht so geht, dann auf jeden Fall in der Gruppe. Ob es nun eine Gruppe ist, in der man sich gegenseitig den Sinn erschließt, oder ein gemeinsames Bibel-Teilen, bei dem man die Worte einfach wirken lässt, bis hin zu Studientagen und Bibeltheater-Tagen: Es gibt unglaublich viele Angebote, die man nur nutzen muss. Auch im Internet gibt es viele Angebote.

Was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern ans Herz legen?
Birnbaum: Begreifen Sie die Bibeljahre als Chance, sich mit dem eigenen Zugang zur Bibel auseinanderzusetzen und auch damit, wie man einen noch besseren finden könnte. Je mehr man sich die Bibel ins Herz schreiben kann, um so besser. Frei nach dem schönen Bild von Origenes: Liest man die Bibel unbefangen, ohne sich etwas zu fragen, bleibt man bei der grünen Schale der Nuss. Kommt man zum Punkt, dass sie einen persönlich herausfordert, so ist man bei der harten Schale angelangt, und wenn man die knackt, kommt man zum wirklichen Schatz, und die Bibel spricht ins Herz. Ausgehend von dem Satz Benedikts XVI.: „Die Bibel ist die Seele der Pastoral“ würde ich mir auch wünschen, dass in den Diözesen mehr Ressourcen freigesetzt werden für Bibelarbeit, die als Multiplikatoren wirken, damit sich das Wort ausbreiten kann.

Die kommenden Jahre stehen ganz im Zeichen der Bibel. Wieso gleich drei Jahre?
Birnbaum: Die weltweite Katholische Bibelföderation hat beim Papst angesucht, er möge zu ihrem 50-jährigen Bestehen doch ein Jahr der Bibel ausrufen, dazu kommt der 1600. Todestag des hl. Hieronymus, der die Bibel ins Lateinische übersetzt hat. Nun hat die Österreichische Bischofskonferenz das Anliegen mit den neuen Messlektionaren verknüpft und entsprechend den drei Lesejahren im Gottesdienst drei Jahre der Bibel beschlossen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person: Dr. Elisabeth Birnbaum geb. 1969, stammt aus einer Musikerfamilie und studierte zunächst Gesang, dann an der Universität Wien Katholische Theologie. Nach der Promotion in alttestamentlicher Bibelwissenschaft (2007) arbeitete sie u. a. als Assistentin am Institut für Bibelwissenschaft der Universität Wien. Seit 2018 leitet sie als Direktorin das Österreichische Katholische Bibelwerk. Anfang März war sie auf Einladung des Referates für Liturgie und Bibel als Vortragende im Seelsorgeamt.