Respekt, aber kein Mitleid
Paralympics in Sotschi
Die Belastung des Spannungsbogens nimmt mehr und mehr zu. Ab dem 7. März kämpfen Sportlerinnen und Sportler bei den Paralympics in Sotschi um Medaillen. Auch ein Klagenfurter ist dabei: Markus Salcher. von Ingeborg Jakl

„Pausen?“, Markus Salcher lacht. In diesem Winterhalbjahr gibt es für ihn keine Pausen, sondern pausenlos Sport. Der junge Behinderten-Spitzensportler aus Klagenfurt ist 165 Tage mit seinen Skiern unterwegs, von Einsatzort zu Einsatzort. Derzeit bestimmt nur ein Thema das Sportlerherz: Sotschi. Am 7. März beginnen die Paraylmpics. Salcher startet in seinen Spezialdisziplinen Abfahrt und Super-G sowie Riesentorlauf. Und wenn es gut läuft, und diesen Winter läuft es gut, dann auch in der Kombination.
Eins ist für ihn allerdings Pflicht: „Eine Medaille“! Die Farbe spielt keine Rolle, sagt er. Aber eine Medaille, am liebsten in einer Speed-Disziplin, ist fix eingeplant. Aber, gibt er zu bedenken, an einem solchen Wettkampftag muss einfach alles passen. Da darf keine Verkühlung dazwischenkommen, da müssen Grundgefühl und Umfeld stimmen. Das dürfte allerdings das kleinste Problem sein. Denn dafür sorgt das mitreisende Fanteam, angeführt von seinen Eltern, Sponsorin Ute Habenicht vom gleichnamigen Geschäft für Schmuck und Uhren in Klagenfurt und Freunde. Die werden für ihren Markus im Zielschuss Stimmung machen mit Fahnen, Wimpeln und lauten Gesängen. „Das ist ein gutes Gefühl“, sagt der 22-jährige Student, der trotz Überseeflug aus den USA frisch und munter ist. „Jetleg? Kenn ich nicht“, sagt er. Vielleicht ein Indiz für seine Kondition.
Talent und Begeisterung
Mit Markus Salcher in diesen Tagen ins Gespräch zu kommen, ist gar nicht so einfach. Der Terminplan ist vollgestopft mit Skirennen, Training und Tests. Zwischen zwei Weiterflügen hat er nur kurz in Klagenfurt bei den Eltern vorbeigeschaut und auf der Alpen Adria Universität. Der Student der Medienkommunikation muss Versäumtes nachholen. „Ich bin froh, dass ich verständnisvolle Professoren habe, die mir diese Möglichkeit einräumen.“ So ganz einfach ist das Leben im Spitzensport nicht, im Behindertenspitzensport wohlgemerkt. Da laufen die Uhren anders.
Markus Salcher leidet seit seiner Geburt an einer halbseitigen Lähmung. Die ist auf den ersten Blick gar nicht zu bemerken. Aber sie ist ein Handicap. Salcher kann mit der rechten Hand keine Schischuhe anziehen und festzurren, keinen Schistock halten. Er fährt nur mit einem. „Für mich ist das ganz normal“, sagt er, „ich habe gelernt, damit umzugehen.“ Vielleicht hat das seinen Ehrgeiz aber besonders angestachelt. Denn bereits als Dreijähriger stand er ungeduldig auf den Skiern, behutsam angeleitet von seinem Vater Bernhard. Der musste den Kleinen zuweilen sogar ein wenig bremsen, da er mit Übereifer jeden Hügel hi-nunter brauste. Früher ganz ohne Skistöcke, heute mit einem. Aber eines war für Markus von Anfang an klar: „Ich werde Spitzensportler.“
Mit dem Verein „Schulsportleistungsmodell Kärnten“ (SSLK) hatte er die idealen Voraussetzungen gefunden. Neben dem Hinarbeiten auf die Matura hatte er hier die besten Grundlagen für seinen Sport gefunden. Sportwissenschaftlerin Karin Dohr begleitet seit damals sein Training und hat auch den Trainingsplan für die Vorbereitung auf den Olympiawinter erarbeitet. „Ich bin so fit wie noch nie“, resümiert Markus. Das intensive Sommertraining zahlt sich aus.
Während seine Freunde den Sommer am See verbrachten, quälte er sich die Ironmanstrecke mit dem Rad bergauf über Keutschach. „Stundenlang und dann noch in die Kraftkammer.“ Denn: „Behindertensport ist keine Kuschelpartie“, stellt er klar. Leistung und Diszi-plin sind hier genauso bestimmend wie im ÖSV-Kader. Ebenso das Konkurrenzverhalten. „Jeder will gewinnen.“ Dazu brauche es Talent, Beharrlichkeit und Begeisterung. Aber, es gibt einen feinen Unterschied. Behinderte Spitzensportler müssen mit wenig Geld auskommen. Die fetten Sponsorenverträge bekommen die ÖSV-Läufer. Das Sommertraining in Chile müssen Behindertensportler mitfinanzieren, im Gegensatz zu ihren ÖSV-Kollegen. Auch die Betreuerzahl im Behindertensport ist nicht mit der des ÖSV vergleichbar. Matt, Hirscher und Co müssen sich um nichts kümmern.
„Wir wollen Respekt!“
Salcher hat das Glück, mit Ute Habenicht eine Sponsorin an der Seite zu haben, die den Spitzensportler unterstützt. „Markus ist ein außergewöhnlicher junger Mann mit Riesentalent und Vorbildfunktion“, erklärt sie. Schon bevor er bei den Paralympics vor vier Jahren in Vancouver startete, war sie als Sponsorin dabei. Der Behindertensport hat in Vancouver eine neue Entwicklungsstufe erreicht. Die Organisatoren haben die paralympischen Athleten mit Respekt, Ernsthaftigkeit, Bewunderung begleitet. „Die Kanadier haben es geschafft, eine Minderheit mächtig wirken zu lassen. Sie haben die Bewegung Richtung Gleichberechtigung angeschoben“, erinnert sich Habenicht. Mit Matthias Lanzinger, jenem ÖSV-Fahrer, dem nach einem Sturz in Kvitfjell der Unterschenkel amputiert wurde, ist das Medieninteresse für Behindertensport plötzlich auch in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Sein Wechsel in den Behindertensport hat „einiges bewirkt“, bestätigt Markus. Vielleicht auch, dass ORF Sport plus alle Rennen der Paralympics aus Sotschi sendet. ORF I plant Live-Einstiege, wenn Lanzinger am Start ist. „Das ist gut für unseren Sport“, so Markus, „das kommt indirekt allen zugute.“
Denn durch den Sport erfahren Behinderte Lebensqualität, Anerkennung und auch Selbstwertgefühl. In Deutschland ist gerade die blinde Biathletin und fünffache Goldmedaillengewinnerin von Vancouver, Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung geworden. „Ein Signal, auch für unseren Sport“, sagt Markus. „Wir wollen kein Mitleid, sondern Respekt!“
Für Sotschi wünscht er sich „ganz vorn dabei zu sein“. Daumendrücken ist jedenfalls angesagt. Wer wissen will, wie er die Zeit vor dem Großereignis verbringt, kann die Vorbereitungen über seine Facebook-Seite verfolgen und ihm ein „like“ schicken. Zur Unterstützung!