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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Religionsunterricht in Österreich

Josef Till zur Frage: Was soll und was kann ein moderner Religionsunterricht bieten?

Religion zu unterrichten ist eine besondere Herausforderung – gerade heute. Josef Till, em. Professor für Religionspädagogik, geht auf die aktuelle Debatte rund um den Religionsunterricht in Österreich ein und zeigt auf, welch besondere Verantwortung auf Religionslehrer in Gegenwart und Zukunft zukommt.

Wertschätzender Umgang miteinander ist eine der Grundlagen für gelingenden Religionsunterricht (Bfl. Schulamt)
Wertschätzender Umgang miteinander ist eine der Grundlagen für gelingenden Religionsunterricht (Bfl. Schulamt)

Der in der Öffentlichkeit geführte Streit um die Existenzberechtigung des Religionsunterrichtes in der öffentlichen Schule wird immer wieder neu entfacht. Falls seine Berechtigung bejaht wird, dann steht dahinter ein Menschenbild, das ganzheitlich ist, in welchem neben den körperlichen, seelischen, kognitiven und gefühlsbetonten Elementen auch spirituelle und religiöse Elemente als gleichwertig betrachtet werden.

Was bringt Religionsunterricht?
Trotzdem bleiben Fragen wie z. B.: Welchen Platz wird der Religionsunterricht zukünftig in Schule und Gesellschaft einnehmen? Was kann bzw. soll der Religionsunterricht unter den Gegebenheiten der Gegenwart überhaupt sein? Was bringt die Beschäftigung mit religiösen Inhalten einer post- bzw. areligiösen Gesellschaft?
Der Religionsunterricht muss Kinder und Jugendliche in ihrer ethischen, religiösen und spirituellen Entwicklung begleiten, ihnen in der Zeit der Orientierungslosigkeit zur Seite stehen und sie bei existentiellen Fragen des Lebens unterstützen. Er muss beim Erfüllen des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags einen besonderen Beitrag leisten, er hat spezifische Inhalte und Themen (wie z. B. die Vermenschlichung der Schule, die Förderung von Frieden, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Überlegungen zu Leid, Tod, Sinn, Gewalt, Beeinträchtigung) zu vermitteln.
Die Lehrenden haben die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler auf der Suche nach Orientierung in einer sich verändernden und unübersichtlichen Welt zu begleiten; sie müssen ihnen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit beiseite stehen und ihre – auch religiöse - Identität in der Gesellschaft stärken. Sie müssen im Rahmen ihres Faches junge Menschen zu verantwortungsbewussten Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern erziehen.
Die Lehrenden müssen sich bewusst sein, dass sie ihr Unterrichten und Lehren vor der Gesellschaft und der Kirche legitimieren müssen; kein anderes Fach wird so dem Legitimationszwang ausgesetzt und in Frage gestellt wie der Religionsunterricht, was die Unterrichtenden als Druck spüren. Religionslehrer und Religionslehrerinnen müssen eine hohe pädagogische und didaktische Kompetenz erwerben und vor allem, wie in keinem anderen Fach, ihre Person in den Unterricht einbringen.

Religionsunterricht bietet auch, aber doch mehr als Wissensvermittlung (Archiv)
Religionsunterricht bietet Wissensvermittlung - aber darüber hinaus noch viel mehr (Archiv)


Ausbleibende Akzeptanz
Trotz des Engagements bleibt ein Unbehagen, weil die Akzeptanz seitens der Gesellschaft und der Kirche ausbleibt. Hinzu kommt die Individualisierung religiöser Konzepte, was bewirkt, dass die religiös-christlichen Inhalte kaum sichtbar werden. Erschwert wird die Situation durch die steigende Zahl konfessionsloser oder religionsferner Schülerinnen und Schüler, was eine Veränderung der Aufgabenschwerpunkte des Religionsunterrichtes zur Folge hat.
Aber auch die Digitalisierung in der Schule führt zu einer Veränderung beim Lernen. Die in der Vergangenheit propagierte personale Zeugenschaft der Religionslehrer und Religionslehrerinnen gerät damit in eine Krise.


Multireligiöse Gesellschaft
In einer solch veränderten Situation muss sich der Religionsunterricht mit seinen Inhalten – den biblischen Texten, der Glaubenslehre, den Problemen des gesellschaftlichen und individuellen Lebens, der Tradition und der gegenwärtigen Welt – auseinandersetzen, ebenso mit der Distanz der Schülerinnen und Schüler zu Religion und Glauben und auch dem gegenwärtigen geringeren Stellenwert des Religiösen. Dennoch wird trotz der Anstrengung das Fragen und Nachdenken im Religionsunterricht, das Philosophieren und Theologisieren im Unterricht bleiben müssen.

Der Ökumene öffnen
Der Religionsunterricht wird sich aber auch, wenn und wo notwendig, der Ökumene öffnen, weil in einer nachchristlichen Gesellschaft die Gestaltungskraft des christlichen Glaubens lebendig gehalten werden muss. In diesem Augenblick wird dann die Frage auftreten, was das Christentum den Kindern und Jugendlichen anzubieten hat, wozu es inspiriert und welche Grundinformationen es den Schülerinnen und Schülern liefern kann.
Jene, die die Religionslehrer und Religionslehrerinnen kritisieren, sollten die veränderten Bedingungen, in denen sich der Religionsunterricht befindet, mitbedenken und ihre eigenen Maßstäbe für die Kritik kritisch hinterfragen.
Wenn der Religionsunterricht gesellschaftliche Relevanz haben soll, dann wird er ein engagiertes Personal brauchen; der Religionsunterricht wird dann mehr als nur ein Gegenstand sein.

Dialog in Wertschätzung
Die Schülerinnen und Schüler werden in den Lehrenden Erwachsene vorfinden müssen, die sich für das Fach und den Unterricht einsetzen, sie werden aber auch Personen erleben können, die von religiös-existenziellen Fragen bewegt sind. Fragen im Unterrichtsgespräch zeigen nämlich, dass weiter gedacht werden muss, dass der Dialog - sensibles Zuhören und aktives Reden - zwischen Lehrenden sowie Schülerinnen und Schülern gepflegt werden muss, was den Aspekt der Wertschätzung betont.