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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Religion wird von der Politik oft benutzt

Politik-Expertin Karin Kneissl sprach im "Sonntag"-Gespräch mit Gerald Heschl

Die Autorin und Politikexpertin über Religion und Politik und die weitere Zukunft des Nahen Ostens

Karin Kneissl, Politik- und Nahostexpertin, im “Sonntag“-Gespräch über das zwiespältige Verhältnis von Macht und Religion und über den “Arabischen Frühling“. (© Foto: thomas raggam)
Karin Kneissl, Politik- und Nahostexpertin, im “Sonntag“-Gespräch über das zwiespältige Verhältnis von Macht und Religion und über den “Arabischen Frühling“. (© Foto: thomas raggam)
Nahost-Expertin Karin Kneissl (© Foto: Thomas Raggam)
Nahost-Expertin Karin Kneissl (© Foto: Thomas Raggam)

Bei der interreligiösen Konferenz in Graz sprechen Sie über Politik und Religion. Da denkt man primär an den Islam. Sie bringen aber auch europäische Beispiele ...
Kneissl: Ich habe den Eindruck, dass angesichts des Versagens vieler Ideen und Ideologien ähnliche Entwicklungen wie wir sie in den vergangenen Jahren im islamischen Raum beobachten, auch bei uns eintreten könnten. Wenn alles versagt, wird Gott wieder neu mobilisiert.

Ist es nicht eher so, dass Religion nur als Vorwand dient, um ganz andere politische Ziele zu erreichen?
Kneissl: Religion wurde immer schon instrumentalisiert. Die zen-trale Frage für mich ist aber der Umgang damit. Ein Beispiel dafür ist für mich der Iran 1979: Damals gingen Bazarhändler gemeinsam mit Beamten gegen den totalitären Schah vor. Es war eine rein politisch motivierte Revolution. Als dann der charismatische Ayatollah Khomeini mit einer Air France-Maschine eingeflogen kam, haben alle sein Charisma genutzt, um den Schah zu stürzen. Somit wurde aber aus einer nationalen iranischen Revolution eine islamische Revolution. Religion wurde somit als Vehikel benutzt.

Das erlebt man ja nicht nur im Osten. In den USA wird bei jeder politischen Ansprache Gott ins Spiel gebracht ...
Kneissl: Ein Schlüsselsatz der US-amerikanischen Politik ist das Wort: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Ich muss zugeben, dass mir dieses Evangelienwort nicht ganz geheuer ist. Dieses alternativlose Denken verschafft mir Unbehagen. Auch da wird Religion als Vehikel benutzt und gleich als Begründung für den Krieg gegen den Terrorismus. Leider finden wir dieses Muster überall in der Politik. 

Lässt sich die Religion gerne instrumentalisieren?
Kneissl: Die Lust am Mitnaschen an der Macht ist natürlich für viele reizvoll. Denken Sie nur an die enge Verbindung von Kirche und Kaiserhaus in Österreich. Das ging so weit, dass der Kaiser sogar ein Vetorecht bei der Papstwahl hatte. In Südamerika hat der Bruch zwischen Regierenden und Klerus etwa durch Oscar Romero ja zu massiven Irritationen geführt. Aber man darf das längst nicht auf die katholische Kirche beschränken. Ganz aktuell weiß etwa Putin in Russland diese enge Verbindung von Patriarchat und Staat auszuspielen.

Sie sind also für eine strikte Trennung von Staatsmacht und Religion?
Kneissl: Absolut. Wäre ich Politikerin, würde ich mich nie filmen lassen, wie ich am Sonntag in die Kirche gehe. Das hat dort nichts verloren. Das sind Privatthemen.

Wir sprechen nun schon einige Zeit vom Verhältnis Religion und Politik, ohne eigentlich den Islam zu berühren.
Kneissl: Man darf die ganze Debatte auch nicht auf den Islam reduzieren. Ich frage mich schon, ob sich nicht in wenigen Jahren aufgrund einer massiven Wirtschaftskrise, die sich anbahnt, Menschen auch religiös radikalisieren lassen.

Sie sind ausgewiesene Nahostexpertin, einer Region, wo diese Radikalisierung bereits teilweise zu Kriegen geführt hat. Auch in Ägypten spitzt sich die Lage zu. Wie wird es dort weitergehen?
Kneissl: In Ägypten ist die Luft zum Schneiden. Ich fürchte, dass wir dort noch eine menschliche Katastrophe erleben werden. Denken Sie daran, was passiert, wenn in einem Moloch wie Kairo die Energie- und die Wasserversorgung zum Erliegen kommen. Das passiert jetzt schon stundenweise.

Wie beurteilen Sie die Entmachtung von Präsident Mursi?
Kneissl: Was in Ägypten passierte, ist für mich kein Militärputsch. Diesbezüglich verstehe ich die Position der Europäischen Union überhaupt nicht. Die Mehrheit der Ägypter wollte ein Ende dieses Durcheinanders, das die Muslimbrüder verursacht haben, und forderte ein Eingreifen des Militärs.

Wie wird es weitergehen?
Kneissl: Die Sorge um einen Bürgerkrieg in Ägypten teile ich. Wir haben tiefe Brüche zwischen säkular und religiös orientierten Menschen. Es wird aber kein Krieg wie in Syrien entlang konfessioneller Grenzen.

Der sogenannte „arabische Frühling“ hat sich rasch entzaubert. Wie konnte es so weit kommen?
Kneissl: Die arabischen Revolutionen waren in erster Linie politische Forderungskataloge. Es ging um Würde, Freiheit und Gerechtigkeit. Aber ehe wir uns versehen, werden es noch richtige Brotrevolten, wie seinerzeit die Französische Revolution. Ich befürchte ein brutales anarchisches Durcheinander.

Seit Jahren tobt der Krieg in Syrien. Nun wurden Waffenlieferungen an die Opposition erlaubt. Kann das eine Lösung sein?
Kneissl: Ich hoffe, dass keine Waffen geliefert werden. Es gibt in Syrien ja schon viele, die überzeugt davon sind, dass Assad freie Wahlen gewinnen würde. Die Loyalitäten haben sich gedreht. Die Leute haben erlebt, was es heißt, von Dschihadisten „befreit“ zu werden, die Kinder auf dem Dorfplatz enthaupten, weil sie mit der Playstation gespielt haben. Und das wollte in Syrien niemand.