Passion: Standhaftigkeit aus der Kraft Gottes
Interview mit dem Grazer Neutestamentler Peter Trummer
Hat Gott das Leiden Jesu gewollt? Nein, er ist Jesus im Unrecht zur Seite gestanden und hat ihn auf einzigartige Weise rehablitiert. - Biblische Impulse zum Verständnis der Osterbotschaft.


In der Bibel begegnen uns immer wieder Tiergestalten und übermitteln eine bildliche Botschaft. Was „sagt“ uns der Palmesel?
Trummer: Der Palmesel hat eine ganz besondere Botschaft. Er ist ein Kommentar zu den Seligpreisungen, besonders zur Seligpreisung der Gewaltlosen, die die Erde erben werden. Die Frage der politischen Gewalt ist zur Zeit Jesu ja eine ganz wichtige wegen der Römer, die das Land besetzt hielten. Aber Jesus beschreitet den Weg der Gewaltlosigkeit, er bezeugt einen nicht gewalttätigen Gott. Die liebevolle Schilderung, wie der Esel besorgt wird, ist darüber hinaus wichtig für das Verständnis der ganzen Passion: Jesus geht nicht als Opfer in diesen Konflikt hinein, sondern er gestaltet seinen Weg und vermittelt so die Botschaft: Ich mache das freiwillig.
Gerade wir Katholiken haben eine lange Tradition, seinen Weg als Opfer zu verstehen ...
Trummer: Schon die Übergabe durch Judas wird bei Johannes so dargestellt, dass Judas völlig zur Randfigur wird. Jesus tritt aus dem Garten am Ölberg heraus und übergibt sich selber. Er offenbart sich mit dem umwerfenden „Ich bin“. Das ist ein wörtlicher Anklang an das „Ich bin“ der griechischen Bibel, mit dem sich Gott dem Mose im brennenden Dornbusch zu erkennen gibt. Damit zeigt uns Jesus etwas von seinem wahren Wesen. Das ist seine Souveränität im Leiden, die von den Evangelien bis zum Tod Jesu festgehalten wird. Er besteht das Leiden nicht in der Opferrolle, obwohl er den ganzen physischen und seelischen Schmerz zu erdulden hat, sondern er gestaltet damit sein Leben bis zuletzt.
Sagt nicht die Bibel, dass Jesus gestorben ist für unsere Sünden?
Trummer: Dieses „Ich bin“ zeigt einen ganz anderen Weg. Wenn man den Konflikt, der Jesus in den Tod führt, näher zu verstehen sucht, geht es ja genau darum. Jesus glaubt an einen Gott, der nicht durch Opfer gütig gestimmt werden muss. Da opponieren die Tempelpriester, die um den Kult besorgt sind. Sie sind die eigentlichen Gegner Jesu. Sie brauchen dieses andere Gottesbild, damit der Betrieb und auch das politische Arrangement mit Rom weiter funktionieren. Aber wenn Jesus überzeugt ist, dass Gott vorbehaltlos gütig ist, kann er nicht meinen, er müsse ihn durch sein Lebensopfer versöhnen. Wenn wir meinen, dass Gott Opfer braucht, können wir nie mehr an seine Güte glauben.
Wenn es nicht der Wille Gottes war, dass Jesus leiden und sterben musste, sondern der Wille seiner Gegner, und Jesus hat das mit Gottes Hilfe ausgehalten: Was bedeutet das für uns heute?
Trummer: Ich muss kulturgeschichtlich vorausschicken, dass gerade mit dem Kreuzestod ein vermeintlicher Fluch Gottes verbunden war. Es geht also in der Passion um nichts Geringeres als um die Wahrhaftigkeit des Gottesbildes. Wenn es den Hohenpriestern gelingt, Jesus ans Kreuz zu bringen, dann ist er mit seinem Gottesbild aus ihrer Sicht bleibend desavouiert. Umgekehrt: Jesus begegnet dieser Herausforderung mit seinem Glauben an Gott. Doch da wurde der Tod Jesu von uns lange falsch interpretiert: Wenn Jesus am Kreuz nach Markus und Matthäus Psalm 22 zitiert: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, dann wendet er sich gerade in dieser Notsituation an Gott. Und wenn wir den Psalm weiterlesen: Er schließt mit der Erhörungsgewissheit, mit dem Dank für die Hilfe Gottes.
Wenn wir meinen, dass Gott Opfer braucht, können wir nie mehr an seine Güte glauben.
Was bedeutet es für uns, dass Jesus den Kräften von Hass und Gewalt seinen unerschütterlichen, aber scheinbar machtlosen Glauben an einen liebenden Gott entgegenstellt?
Trummer: Liebe und Leid sind mir ein großes Anliegen: dass wir endlich – auch im zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehen – aus dieser ständigen Schuldmanipulation von Beschuldigung und Entschuldigung herauskommen und verstehen lernen, dass die Leidensfähigkeit in uns die Voraussetzung zur Liebesfähigkeit ist. Wir können nicht lieben, wenn wir nicht leiden können. Wenn ich nur den Charakterpanzer um mich herum habe, spüre ich nichts, aber ich kann auch nicht lieben. Mit-Leiden, „Sym-Pathie“, ist die Bereitschaft Gottes, uns zu lieben, aber auch mit uns zu leiden. Erst wenn es gelingt, im Schicksal Jesu so etwas wie Mitleid und Mitleiden auch in Gott auszumachen, fallen in die Dunkelheit des Todes einige Sternschnuppen, die etwas ganz Wesentliches für uns aufleuchten lassen, nämlich, dass es auch in Gott so etwas gibt wie die Fähigkeit und Bereitschaft, mit seiner ganzen Schöpfung und all ihren Wesen mitzufühlen.
Irdisch gesehen bleibt der Tod am Kreuz, aus dem Glauben heraus der Sieg der Liebe?
Trummer: Die Kreuzwegbeschriftungen unterscheiden das in der Barockzeit zum Teil sehr klug: Nicht Jesus wird ins Grab gelegt, sondern der heilige Leichnam. Oder das geniale Hochaltarbild von Mariazell: Das Kreuz schwebt frei im Raum zwischen Himmel und Erde. Gott Vater reicht dem Sohn im Tod die Hand. Das ist der springende Punkt: Kreuz und Auferstehung werden eins. Wir müssen zwar ein gewisses Maß an Leiden, auch zeitlich gesehen, aushalten, bis wir zur Erfahrung der Hilfe Gottes kommen. Aber die Hilfe Gottes ist genauso definitiv wie die Todeserfahrung. An einem ganz konkreten Beispiel: Unsere Trauerarbeit für ein verstorbenes Familienmitglied ist am Ziel, wenn wir zur Erkenntnis gekommen sind: Hier im Grab ruht nicht meine Mutter, die noch lange auf die Auferstehung warten muss, sondern: Meine Mutter ist bei Gott aufgehoben, im Grab liegt ihr Leichnam. Wenn etwas von dem erahnt wird, feiern wir Ostern anders.
Auf Ihren Buchtitel zurückkommend: Was ist das Aufständische an Ostern?
Trummer: Ich greife dazu auf die Heilungswunder zurück. In fast jeder Heilungsgeschichte kommt das Aufstehen als tragendes Element dazu. Sogar das, was wir bei der Blindenheilung mit „wieder sehend werden“ übersetzen, heißt im Originaltext „aufschauen“. Es ist mir überlassen, ob ich sage „Steh auf“ oder „Auferstehe“. Es ist immer dasselbe Wort. Es ist auch dasselbe Wort, wenn einer gegen den anderen aufsteht und einen Aufstand macht: Der biblische Sprachgebrauch ist eindeutig, aber wir verbinden damit Verschiedenes. Das ist mehr als Rhetorik: Es muss etwas Standhaftes in der Auferstehung sein, nicht schon wieder in die Knie brechen. Deshalb sagt z. B. schon das erste Konzil von Nicäa: Am Sonntag und in der Osterzeit werden im öffentlichen Gottesdienst die Knie nicht gebeugt. Knien ist nicht der körperliche Ausdruck von Auferstehung, sondern Stehen und Standhaftigkeit. Das kann natürlich auch in vielen Dingen Aufstand bedeuten: dass die niederdrückenden Verhältnisse so nicht mehr ertragen werden. Auferstehung jetzt, jeden Tag. Das Tauflied im Epheserbrief sagt: Erwache, der du schläfst, auferstehe aus den Toten, und aufstrahlen wird dir Christus als Licht! Da ist genügend Bedarf gegeben, die Auferstehung nicht auf den Jüngsten Tag zu verschieben.
Interview: Georg Haab
Zur Person:
Univ.-Prof. i. R. Dr. Peter Trummer, geb. 1941 in Bruck a. d. Mur, studierte Theologie in Graz, Tübingen und Regensburg. Nach Promotion (1966) und Habilitation (1976) lehrte er bis zu seiner Emeritierung 2006 als Professor für Neues Testament an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Trummer, der auch künstlerisch tätig ist und sich in der Bildungsarbeit engagiert, war im März auf Einladung der Katholischen Hochschulgemeinde in Klagenfurt.
Buchtipp:
Peter Trummer, Auferstehung jetzt – Ostern als Aufstand. Theologische Provokationen.
Herder (2016), gebunden mit Schutzumschlag, 196 Seiten, € 25,70.