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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ohne Wurzeln kann der Mensch nicht existieren

Sabine Ladstätter, eine der weltweit führenden Archäologinnen, im Gespräch mit Gerald Heschl

Die Archäologin spricht über Wurzeln, die Demut im frühchristlichen Ephesos, Vergänglichkeit und weiße Flecken in Kärntens Archäologie

Die Archäologin Sabine Ladstätter im SONNTAG-Gespräch über die Demut im frühchristlichen Ephesos, Vergänglichkeit und weiße Flecken in Kärntens Archäologie. (© Foto: Österreichisches Archäologisches Institut)
Die Archäologin Sabine Ladstätter im SONNTAG-Gespräch über die Demut im frühchristlichen Ephesos, Vergänglichkeit und weiße Flecken in Kärntens Archäologie. (© Foto: Österreichisches Archäologisches Institut)

Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Abenteuer Archäologie“. Wie viel Abenteuer steckt im Ausgraben?

Ladstätter: Am Image der Archäologie als „Abenteuer“ sind Filme wie Indiana Jones mit schuld. Viele Kinder fasziniert die alte Zeit, weil sie von Natur aus neugierig sind und natürlich einen Schatz erhoffen. Aber auch rein wissenschaftlich betrachtet bleibt ein Stück Abenteuer, weil man bei Ausgrabungen in der Früh nicht weiß, was man am Abend gefunden haben wird. Dieses Überraschungsmoment ist das Abenteuer.

Moderne Archäologinnen sind also keine Schatzsucher? 

Ladstätter: Nein, es ist die Suche nach Erkenntnis. Aber auch diese Suche bleibt spannend.

Was war Ihr spannendster Moment beim Graben?

Ladstätter: Das war am Hemmaberg in Kärnten. Wir haben dort bereits drei frühchristliche Kirchen ausgegraben und in der Nähe ein Mosaik gefunden, das wir uns nicht erklären konnten. Dann kam noch eine Mauer zutage, die nicht gerade war, und da sagte der Grabungsleiter: „Das ist schon wieder eine Apsis!“ So hatten wir noch eine vierte Kirche. Es ist ein Glücksgefühl, in dem Moment zu wissen, dass man etwas ganz Besonderes gefunden hat.

Wissenschaften wie der Archäologie wird oft vorgeworfen, sie seien nur rückwärtsgewandt und bringen nichts für die Gegenwart oder gar Zukunft.

Ladstätter: Ich glaube auch nicht, dass die Archäologie Antworten auf Zukunftsfragen geben kann. Aber die Menschen brauchen Sicherheit, um existieren zu können. Der Menschheit als Ganzes hilft der Blick zurück. So erkennt man, dass Menschen schon immer mit ähnlichen Dingen konfrontiert waren, dass sie aber Wege etwa aus einer Krise gefunden haben. So kann der Blick in die Vergangenheit Zukunftsängste nehmen. 

Wie wichtig sind dann die eigenen Wurzeln für den Menschen?

Ladstätter: Ich habe mich oft gefragt, warum Millionen Menschen zu Ausgrabungen gehen. Ich denke, das ist genau diese Suche nach den Wurzeln. Die Archäologie zeigt für das menschliche Kollektiv auf, woher wir kommen und damit auch, wer wir sind. Es ist einfach wichtig, ein gesellschaftliches Fundament zu haben. Dazu trägt die Archäologie bei.

Lernt der Mensch aus der Geschichte?

Ladstätter: Ich würde es mir wünschen, aber ich glaube es nicht. Sehr häufig sind die Protagonisten keine historisch denkenden Menschen. Eigentlich ist das traurig.

Archäologie wurde oft ideologisch vereinnahmt ...

Ladstätter: Die Archäologie ist eine konservative Wissenschaft und eine Bodenwissenschaft. Das wurde für Blut-und-Boden-Ideologien oft instrumentalisiert. In Kärnten sollte etwa mit den „Führergrabungen“ in Karnburg das Germanentum nachgewiesen werden. 

Sie haben Ihre Laufbahn am Hemmaberg begonnen. Was gäbe es in Kärnten noch für archäologische Herausforderungen?

Ladstätter: Ich denke etwa an das Jauntal, das ja nach Südosten offen ist. Dadurch gab es aus diesem Raum seit Jahrtausenden Einflüsse. Da würde es sich auszahlen, historische, archäologische und volkstümliche Forschungen anzustellen. Das reicht vom Beginn bis in die Gegenwart.

Ephesos in der heutigen Türkei, wo Sie Grabungsleiterin sind, war ein Schmelztiegel zahlreicher Völker. Ist dies die Voraussetzung für die Entstehung von Hochkulturen?

Ladstätter: Auf jeden Fall! Ephesos ist eines der besten Beispiele für eine antike Großstadt und ein Handelszentrum. Solche „Schmelztiegel“ sind dynamisch und bringen Neues hervor.  

Sie erforschen alte Hochkulturen, die alle vergangen sind. Müssen Hochkulturen vergehen?

Ladstätter: Man sagt, Kulturen seien zyklisch mit Aufstieg, Höhepunkt und Verfall. Ich glaube auch, dass es diesen Kulturzyklus gibt. 

Was bedeutet Vergänglichkeit für Sie?

Ladstätter: Vergänglichkeit ist die Antriebsfeder unseres Schaffens. Antike Kulturen zeigen, wie stark der Mensch gegen das Vergessen ankämpft. Die Pyramiden sind Monumente gegen die Vergänglichkeit, und die Pharaonen waren damit erfolgreich. Auch an der Celsus-Bibliothek in Ephesos kann man ablesen, wie viel die Erinnerung den Menschen wert war und ist.

In Ephesos bewegen Sie sich auf urchristlichem Boden: Maria, Paulus, Johannes lebten dort. Es war der Schauplatz eines bedeutenden Konzils. Was fühlen Sie, wenn Sie dort arbeiten dürfen?

Ladstätter: Es macht demütig. In der Marienkirche zu stehen und zu wissen, dass genau in diesem Raum eines der bedeutendsten Konzilien stattgefunden hat, ist einzigartig. Immerhin hat dieses Konzil alle christlichen Konfessionen geprägt.   

Wie viel bekommt man als Besucher davon mit?

Ladstätter: Das spätantike Christliche ist ja am besten erhalten. Man sieht hier auch schön, wie das Christentum antike Kulte eingebaut hat – aber auch, wie der Islam das dann aufgreift. Heute sind die meisten Pilger zum Grab der Maria von Magdala und zum Sterbehaus von Maria Moslems. Die beiden Frauen werden im Islam sehr verehrt. 

Wie erleben Sie diese christlichen Stätten ganz persönlich?

Ladstätter: Ich habe oft die Apos-telgeschichte bei Führungen dabei und lese daraus vor. Dass man die Geschichte hier so verorten kann, ist schon sehr eindrucksvoll. Das berührt mich persönlich sehr stark. 

 

Zur Person:

Sabine Ladstätter wurde 1968 in Klagenfurt geboren und wuchs in Tainach/Tinje auf. Sie studierte in Graz und Wien Klassische Archäologie, Alte Geschichte sowie Ur- und Frühgeschichte. Nach ersten Grabungen am Hemmaberg und in Carnuntum nahm sie seit 1996 jährlich an den von Österreich geleiteten Grabungen in Ephesos in der heutigen Türkei teil. Seit 2009 ist Ladstätter Leiterin des Österreichischen Archäologischen Institutes (ÖAI) und seit 2010 Leiterin der Grabungen in Ephesos. 2011 wurde sie als „Wissenschafterin des Jahres“ geehrt.

Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen. Zuletzt erschienen: „Knochen, Steine, Scherben – Abenteuer Archäologie“, Residenz-Verlag; 200 Seiten, € 21,90