Mind Change: Zeit zum Umdenken
Haben Menschen mit Behinderung den Platz in der Gesellschaft, der ihnen zusteht?

Sina gilt als „schwerstbehindert“. Damit sie und viele andere dennoch am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, startet ihr Vater eine besondere Initiative.
von Georg Haab
Die Geburt seiner Tochter Sina und ihre schwere Behinderung waren ein Wendepunkt im Leben von Thomas Stenitzer, Unternehmer mit Geschäftsverbindungen in Europa und darüber hinaus. Er gibt die Position als Geschäftsführer auf, um die Wohnung der Familie an die neuen Erfordernisse zu adaptieren und Sina zu ermöglichen, zu Hause bei der Familie zu leben. Aufgrund der gemachten Erfahrungen beschließt er, berufliches Know-how und den persönlich erlebten Wandel zusammenzuführen und für andere Menschen fruchtbar zu machen.
Wegen ihrer Behinderung, einer umfassenden Muskellähmung, hat Sina die ersten beiden Lebensjahre auf der Intensivstation verbracht. Ihr Kind nach Hause zu nehmen, war eine finanzielle und organisatorische Herausforderung für die Familie, bei der es auch etliche bürokratische Hürden zu überwinden galt. Z. B. für die 24-Stunden-Pflegerin, eine der ersten in Kärnten: Sie ist nicht nur für die alltäglichen Belange der Pflege unabdingbar, sondern vor allem, um die ungestörte Funktion der Beatmungsmaschine sicherzustellen. Tritt ein Problem auf, muss rund um die Uhr innerhalb von Minuten gehandelt werden.
Lebensfreude durch Unterstützung
Dass Familie Stenitzer trotz der behindernden Umstände sagen kann: „Unsere Tochter ist ein aufgewecktes, lebensfrohes Mädchen“, verdankt Sina vielen Menschen, die zusammenstehen und der Familie helfen, vom Ärzteteam über die Verwandten bis hin zu einem engagierten Freundeskreis.
Durch Sina hat das Leben der Familie Stenitzer eine Wendung erfahren. Die breite Unterstützung hat ihnen umdenken geholfen. Sie haben erfahren, was der sperrige Begriff „soziale Inklusion“ bedeutet: Dass Leben eben vielfältig ist, dass Krankheit, Behinderung und Leid dazu gehören. Dass Menschen, auch mit Behinderungen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Und dass das Leben dabei nicht nur an Belastung, sondern auch an Freude und Freunden reicher werden kann.
Umdenken – Mind Change
Vielleicht liegt das Grundproblem im System: Normalität und Regeln geben eine Ordnung vor, die nicht allen Raum gibt. Sobald aber der Mensch in den Mittelpunkt rückt, verwandelt sich etwas. Umdenken – Mind Change – braucht es, damit Familien in Not sich die notwendige Unterstützung nicht mehr mühsam erkämpfen müssen. Thomas Stenitzer hat sich entschlossen, sein berufliches Wissen für diesen Änderungsprozess einzusetzen.
Gemeinsam mit Primararzt Dr. Heinz Lackner und der Fachhochschule Feldkirchen als wissenschaftlichem Partner gründete Stenitzer im Frühjahr 2011 den Verein „Mind Change“. Seine Ziele sind die Förderung der sozialen Inklusion sowie der Abbau von sozialen Barrieren.
Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch sind wichtige Schritte in diese Richtung: Wie gehen andere Länder mit Inklusion um? Was können wir voneinander lernen? Welche gesetzlichen Maßnahmen sind notwendig und möglich?
Vom 2. bis 4. Mai 2012 findet in Villach der erste Europäische Mind-Change-Kongress statt, der diese Schritte setzen will. Hochkarätige Referenten aus
elf europäischen Ländern werden in 50 Fachbeiträgen politische, juridische und gesellschaftliche Aspekte des Themas diskutieren.
Im Rahmen der Konferenz wird auch der 1. Mind-Change-Award vergeben, der gesellschaftliche Initiativen zur sozialen Inklusion honoriert.
Drei Fragen an Thomas Stenitzer, Mind-Change-Gründer
„Alle Menschen sind gleich geboren, alle sollen ein Leben lang gleich sein: Packen wir‘s an“, ist Ihr Motto, frei übersetzt.
Stenitzer: Mir ist klar geworden, dass jeder Mensch gleich wertvoll ist und es sein ganzes Leben lang bleibt, unabhängig davon, ob er mit oder ohne Behinderung geboren wird oder später im Leben eine erwirbt. Es muss unser Bestreben sein, unabhängig von Geschlecht, Aussehen, Behinderung etc. Menschen als gleich wertvoll anzusehen.
Welchen Beitrag können Politik und Gesellschaft zur sozialen Inklusion leisten?
Stenitzer: Willkommen zu sein und zur Gesellschaft dazu zu gehören, sind wichtige Bausteine für ein erfülltes und lebenswertes Leben. Für die meisten Menschen ist dies selbstverständlich, für Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen und deren Familien jedoch wird es zur Herausforderung. Obwohl eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung jeden Menschen und jede Familie täglich treffen kann, müssen Betroffene um gesellschaftliche Integration und finanzielle Unterstützung kämpfen und sind oft auf Gnade angewiesen. Wichtig ist also, Mindeststandards für gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen: Wenn es Rechtsanspruch auf soziale Inklusion gibt, kann man sich auf ausreichende finanzielle und gesellschaftliche Hilfe verlassen und muss nicht immer wieder neu darum kämpfen.
Welches sind die Höhepunkte der Mind-Change-Konferenz Anfang Mai?
Stenitzer: Wir haben Kapazitäten und Praktiker aus elf europäischen Ländern zu Gast. Anhand von Best-Practice-Beispielen tauschen wir Wissen und Erfahrungen aus, zum Beispiel zu einer Politik, die neue Maßstäbe setzt; zur Umsetzung der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung; im Bereich Gesundheit und Lebensqualität. Wir haben auch hervorragende Beispiele aus Unternehmen, die Vorreiter in Sachen Inklusion in der Arbeitswelt sind.
Es ist noch möglich, sich zur Konferenz anzumelden.
Zur Mind-Change-Homepagehttp://www.mindchange.org