Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Menschen eine Umgebung bereiten, die sie heilen lässt

Ein Gespräch mit Stationsschwester Bianca Brunner über das Schöne in Pflegeberufen, wie Menschen Heimat finden und wo Herausforderungen warten

Foto: Haab

Was ist Ihr Arbeitsbereich als Stationsschwester im Landeskrankenhaus Wolfsberg?
Brunner: Ich leite die Abteilung für die Pflege chronisch kranker Menschen. Wir haben 30 Bewohner:innen, sie sind hier aufgrund neurologischer oder unfallchirurgischer Erkrankungen nach einem Sturzgeschehen. Bei anderen war die Versorgung zu Hause nicht mehr gegeben, z. B. bei schwerst chronisch kranken Menschen.
Trotz meiner Leitungsaufgabe bemühe ich mich immer, auch direkt bei den Patient:innen zu sein. Ich bin täglich da und sehe dadurch sofort, wenn sie sich verändern. Ein großes Anliegen ist mir, in der Früh nach der Dienstübergabe das Frühstück zu machen. Das soll liebevoll zubereitet sein, man sagt ja, dass das Auge mit isst. Dass es schon aufgeschnitten ist, mundgerecht vorbereitet, nach den Vorlieben der Patient:innen – der eine hat gern Marmeladen, die andere lieber Schinken. Es immer wieder eine Freude zu sehen, wenn es ihnen schmeckt, wenn sie zulangen, das Stück selbst in die Hand nehmen oder den Löffel selbstständig zum Mund führen können.

Was ist die besondere Aufgabe einer Stationsschwester?
Brunner: Ein großes Anliegen ist mir der Teamzusammenhalt. Qualitätsmanagement, die Organisation der Station ... Dazu der Kontakt zu interdisziplinären Berufsgruppen wie Physio- und Ergotherapie, Logopädie, mit der Krankenhausseelsorge und ebenso Gespräche mit Angehörigen. Wir haben auch immer wieder kleine Erfolge, wenn z. B. wieder ein:e Patient:in imstande ist, nach Hause zu gehen – wir sind ja eine Station, aus der Menschen nicht immer in die häusliche Pflege entlassen werden können, aber jede Entlassung spricht auch für uns, für gute Pflege und Betreuung. Sehr wichtig ist mir auch die Schulung der Angehörigen, um gemeinsam mit dem Sozialdienst die Betreuung zu Hause auf gute Beine zu stellen.

Es ist spürbar, dass Ihnen Ihr Beruf Freude bereitet. Weshalb haben Sie ihn gewählt, was gefällt Ihnen daran besonders?
Brunner: Schon im Jugendalter habe ich gewusst, dass der Sozialbereich meines ist. Mich hat immer fasziniert, welchen Weg Kranke brauchen, um wieder gesund zu werden und in das tägliche Leben zurückzufinden. Nach der Arbeit auf vielen verschiedenen Abteilungen habe ich gemerkt: Ich möchte mehr wissen, möchte auch die organisatorischen Abläufe verstehen und habe in Eigeninitiative begonnen, mich weiterzubilden. 2018 habe ich als Stationsschwester in dieser Abteilung ein tolles Team übernehmen dürfen. Wir haben Abläufe verändert, haben viele Hilfsmittel angeschafft, haben evaluiert, wo wir stehen und wo wir hinwollen. Die Kolleg:innen machen Fortbildungen, sie bringen vieles davon in die Station ein.

Das heißt: Sie sind ein lebendiges, lernendes Team, das sich ständig weiterentwickelt?
Brunner: Es ist ganz wichtig, sich weiterzuentwickeln. Die Klient:innen haben sich in meiner 25-jährigen Berufszeit auch sehr geändert: Demenzerkrankungen haben zugenommen, ebenso gerontopsychiatrische Diagnosen, mit dem hohen Alter steigt der Pflegeaufwand.Im Team besprechen wir das und schauen, was es braucht, um den Arbeitsalltag kreativer und leichter zu gestalten.

Wir gehen auf die Individualität ein, Vorlieben der Bewohner:innen werden mit in die Pflege eingebaut.

Wie gehen Sie mit den Patient:innen um, die mehr Zeit und Nerven kosten und den Alltag herausfordernd machen?
Brunner: Vor Corona hatten wir sehr viele Ehrenamtliche. Danach haben wir einen Animationsdienst implementiert, damit die Menschen Beschäftigung haben. Wenn jemand gerne malt, ein Puzzle baut, dann stellen wir ihm das zur Verfügung. Es geht alles viel leichter, wenn Menschen eine Aufgabe haben. Das Gefühl, gebraucht zu werden, gibt ihnen einen Wert.
Wir gehen auf die Individualität ein, lassen Angehörige am Pflege-Alltag teilhaben. Vorlieben der Bewohner:innen werden mittels Biografiearbeit erhoben und dann mit in die Pflege eingebaut. Dazu gehört auch, dass jemand seine Tageszeitung haben kann. Auch wenn er/sie vielleicht nicht mehr alles versteht, ist es doch wichtig, das er/sie darin blättern kann.

Sie sehen Ihre Aufgabe darin, den Ihnen anvertrauten Menschen ein schönes Leben zu ermöglichen?
Brunner: Es ist der letzte Lebensabschnitt, den die Bewohner:innen bei uns haben, es ist ihr Zuhause. Das sollte so gut wie möglich auch als solches wahrgenommen werden, nicht als Pflegestation eines Krankenhauses.

In den Medien ist seit Corona immer öfter von der Pflege die Rede. Was läuft falsch? Was nimmt die Lust am Beruf?
Brunner: Wir haben zum Glück momentan keinen Personalmangel. Aber generell besteht er und wird durch Krankenstände verschärft. Wenn jemand im Schichtdienst ausfällt, muss wer anderes das kompensieren. Unser Beruf hat von Haus aus Wochenend-, Feiertags- und Nachtdienste. Die jungen Generationen wollen das zum Teil nicht mehr, die Work-Life-Balance hat bei ihnen einen ganz anderen Stellenwert – aber die Patient:innen müssen gut versorgt sein. Dazu kommt, dass es mittlerweile auch Patient:innen mit multiresistenten Keimen gibt, die Isolierzimmer brauchen. Das erhöht den Pflegeaufwand um ein Vielfaches. Aus diesen Gründen müsste z. B. der Pflegeschlüssel, der sicher seit 20 Jahren nicht verändert wurde, der neuen Situation angepasst werden.

Leidet die Berufszufriedenheit, weil die Belastung gestiegen ist?
Brunner: Ja, die Belastungen haben kontinuierlich zugenommen, Corona hat das aufgezeigt. Die Mitarbeiter:innen sind damals zusammengestanden, wir haben gewusst: Wir schaffen das als Team. Wenn sich das dann aber über Jahre zieht, ist irgendwann die Luft draußen.

Was bräuchte es über den Pflegeschlüssel hinaus, um dieser Herausforderung zu begegnen?
Brunner: Man könnte bestimmte Abläufe umstrukturieren: Das Beziehen und Reinigen der Betten z. B. könnte zu einem hauswirtschaftlichen Dienst ausgegliedert werden. Diese Zeit hätte das Pflegepersonal für die Patient:innen gewonnen. Ein ganz anderes Feld: Mir ist es sehr wichtig, Praktikant:innen und Auszubildende gut anzuleiten und ihnen die schönen Seiten des Berufs zu zeigen, es ist ja nicht alles negativ. Habe ich die mir Anvertrauten gut versorgt, gehe ich ja auch mit einem guten Gefühl nach Hause.

Welche Herausforderungen bringen die nächsten Jahre für Sie und Ihr Team?
Brunner: Die erste ist, den Personalstand zu halten und uns als Team ständig weiterzuentwickeln. Im Miteinander geben wir uns gegenseitig Stütze und Halt, immer mit dem Ziel, die Bewohner:innen optimal zu versorgen, die Angehörigen einzubeziehen. Und auch, dass die Ehrenamtlichendienste, die mit Corona weggeblieben sind, wieder kommen.

Was liegt Ihnen noch am Herzen?
Brunner: Dass die Pflege in der Gesellschaft einen anderen Stellenwert bekommt. Der Jubel zu Beginn der Corona-Zeit ist vergessen. Man könnte manches attraktiver gestalten.

Interview: Georg Haab

Zur Person: DGKS Bianca Brunner BA MSc, geb. 1980, hat die Schule für Gesundheits- und Krankenpflege besucht und auf verschiedenen Stationen mehrerer Krankenhäuser gearbeitet, Bachelor- und Masterstudium (medizinische Fachberufe bzw. Pflegemanagement). Seit 2018 leitet sie als Stationsschwester die Abteilung für die Pflege chronisch kranker Menschen des Landeskrankenhauses der KABEG in Wolfsberg.