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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Lateinamerika ist der Kontinent der Hoffnung

In Tainach tagten kürzlich vier Bischöfe aus Brasilien und Bolivien, die dem Franziskanerorden angehören.

In Tainach tagten kürzlich vier Bischöfe aus Brasilien und Bolivien, die dem Franziskanerorden angehören. Mit ihnen sprach Gerald Heschl.

Ein SONNTAG-Gespräch mit vier lateinamerikanischen Bischöfen aus Brasilien und Bolivien, die dem Franziskanerorden angehören und kürzlich im Bildungshaus Tainach/Tinje weilten. (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)
Ein SONNTAG-Gespräch mit vier lateinamerikanischen Bischöfen aus Brasilien und Bolivien, die dem Franziskanerorden angehören und kürzlich im Bildungshaus Tainach/Tinje weilten. (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)
v.l.n.r.: Bernardo Johannes Bahlmann OFM, Antoni Bonifacy Reimann-Panic OFM, Jorge Herbas Balderrama OFM, Leonardo Ulrich Steiner OFM (© Foto: Haab)
v.l.n.r.: Bernardo Johannes Bahlmann OFM, Antoni Bonifacy Reimann-Panic OFM, Jorge Herbas Balderrama OFM, Leonardo Ulrich Steiner OFM (© Foto: Haab)

Hier in Europa hört man immer wieder von großen Problemen der katholischen Kirche Südamerikas. Die Menschen sollen scharenweise zu evangelikalen Kirchen konvertieren. Stimmt dieses Bild?

Bischof Bahlmann: Was mich überrascht, ist, dass man hier in Europa immer liest, dass die evangelikalen Kirchen sehr im Wachsen sind. Das hat sich in den vergangenen Jahren massiv geändert. Wir stellen heute fest, dass die Evangelikalen sehr viele Kirchen schließen.

Bischof Steiner: Die Pfingstkirchen sind früher vor allem unter den Armen gewachsen. Dort, wo wir nicht hingekommen sind. Der Papst hat ja kritisiert, dass wir die Armen alleingelassen haben. Wir versuchen, diesen missionarischen Geist wieder aufzubauen und überall hinzugehen. Mit Papst Franziskus spüren wir, dass die Menschen wieder die katholische Kirche suchen.

Bischof Bahlmann: Die katholische Kirche Brasiliens wächst inzwischen wieder. Wir erleben viele Neugründungen auf Gemeindeebene. Als ich Bischof wurde, hatten wir neun Gemeinden innerhalb der Stadt. Jetzt haben wir schon 15 und werden auf 20 ausbauen. Das ist ein großes Wachstum. Man darf diese Gemeinden aber nicht mit österreichischen Pfarrgemeinden verwechseln. Wir haben derzeit zwei Pfarren, und eine dritte ist im Entstehen. Das heißt, in Brasilien wächst auch die katholische Kirche. Das wird häufig unterschätzt.

Bei uns wird der Erhalt der Pfarrgemeinden wegen des Priestermangels immer schwieriger. Ich nehme an, in Brasilien ist die Situation viel dramatischer?

Bischof Steiner: Wir arbeiten viel mehr mit Laien. Wir sehen, dass das Wort Gottes wichtig ist. In viele Gemeinden kommt der Priester nur einmal im Monat. Dennoch sind es lebendige Gemeinden. Die Laien erhalten immer mehr Verantwortung. Das ist wichtig und eine Perspektive. Wir haben mit dem Priesternachwuchs dieselben Probleme wie Europa. Aber die Kirche lebt nicht vom Priester, sie lebt vom Evangelium. Nur weil kein Priester da ist, löst sich die Gemeinde ja nicht auf. Papst Franziskus sagt, wir leben, als ob Gott nicht existiert. Wir leben viel zu wenig die Beziehung zu Jesus. Ich glaube, in diese Richtung sollte man die Diskussion rund um den Priestermangel vertiefen.

Bischof Bahlmann: Die Gemeinden werden viel zu sehr vom Priester her definiert. Natürlich ist die Eucharistie sehr wichtig. Aber eine Gemeinschaft lebt nicht nur von der Liturgie, sondern von der Nächstenliebe, der Caritas, auch von einer allgemeinen christlichen Haltung. Wir leben ja vom Wort Gottes. Da sollte man darauf achten, dass man sich täglich mit dem Wort Gottes auseinandersetzt. 

Diözesen in Südamerika sind ja viel größer als in Europa. Wie kann man sich Ihre Diözese vorstellen?

Bischof Bahlmann: Unsere Diözese ist doppelt so groß wie Österreich. Wir haben 600 Basisgemeinden, gegliedert in acht Pfarreien. Wir haben für 220.000 Katholiken 26 Priester. Knapp 90 Prozent unserer Gemeinden haben am Sonntag keine Eucharistiefeier, aber einen Wortgottesdienst. Wir reduzieren zu oft unseren Glauben auf die Liturgie. Der Glaube lebt ja nicht nur in den Momenten, wenn wir die hl. Messe feiern.

In Österreich ist es oft schwierig, Ehrenamtliche zu finden. Wie motivieren Sie die Laien, Verantwortung zu übernehmen? 

Bischof Steiner: Für uns ist wichtig, wie wir als katholische Kirche das Evangelium verkünden und auch leben. An Lateinamerika sehen wir, dass die ganze Kirche missionarischer werden muss. Das betrifft uns alle, denn wir sind alle getauft und haben als Kirche eine Mission: Jesus zu verkünden, ist unser Auftrag. Das bedeutet, dass wir zu den Menschen gehen. Dann machen die Leute – auch junge Menschen – mit. Dieser missionarische Geist wird mit Papst Franziskus gefördert.

Papst Franziskus kommt wie Sie aus Lateinamerika. In Europa hat er mit seinen Aussagen eine große Euphorie ausgelöst. Wie ist das in Lateinamerika?

Bischof Bahlmann: Für Europa sind seine Aussagen neu und teilweise erstaunlich. Für uns ist das eigentlich ganz normal. Da besteht ein enormer Unterschied in der Kultur.

Bischof Reimann: Wir identifizieren uns sehr mit dem Papst. Seine pastoralen Ansätze kommen ja aus der lateinamerikanischen Kirche.  

Bischof Balderrama: Dieser Papst ist ein Zeichen der Hoffnung. Wir sind ja der Kontinent der Hoffnung. Gerade mit seinem Aufruf zur Armut spricht der Papst eine sehr aktuelle Situation an. Seine Spiritualität gibt uns, gibt dem ganzen Kontinent, ja der Weltkirche Hoffnung. 

Brasilien steht immer wieder im Mittelpunkt, wenn es um Umweltprobleme geht. Wie ist die aktuelle Situation in Amazonien?

Bischof Bahlmann: Wir leben in einer enormen Spannung. Auf der einen Seite haben wir eine Weltwirtschaft, von der wir auch leben. Auf der anderen Seite sollten wir schauen, wie wir die Akzente setzen und welcher Werteskala wir folgen. Die Situation betrifft nicht nur die Indios, sondern alle Menschen, die hier leben und darunter leiden. Ich würde eher sagen, dass wir viel zu sehr auf die Entwicklung, den Wirtschaftsfortschritt und auf die Technologie schauen. Aber der Mensch bleibt auf der Strecke. Es geht heute viel mehr um Geld als um den Menschen. Da muss man sich schon fragen, wofür wir leben: für die Menschen oder für das Geld? Da muss eine neue Ethik kommen. Der Papst hat dies schon öfter angesprochen. Wir stellen den Menschen allzu oft in den Hintergrund. Das ist nicht nur in Amazonien so. Das ist ein globales Problem.

Bischof Steiner: Wenn man sieht, dass es immer nur um das Geld geht, schmerzt einen das sehr. Es ist eigentlich nicht zu verstehen, dass der Mensch zugunsten der Wirtschaft immer zur Seite geschoben wird. Daher dürfen wir als katholische Kirche keine Angst haben, dagegen aufzutreten und zu mahnen. Es geht um Menschen, um Söhne und Töchter Gottes. Sie müssen im Mittelpunkt stehen und nicht das Geld.

Bischof Bahlmann: Ich sehe einen wichtigen Ansatz einer neuen Ethik bei Papst Franziskus. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, wo etwas Neues entstehen muss. Eine Mentalitätsänderung, die auch unser Verhalten verändert. Bei uns bleibt das ganze Schul- und Ausbildungswesen auf der Strecke. Oder unser Gesundheitswesen. Ich konnte nicht mehr mitansehen, dass Menschen vor dem Spitalseingang sterben und andererseits diese Megaprojekte finanziert werden. Das gilt auch für Europa. Schauen Sie auf die großen Projekte in Deutschland wie den Stuttgarter Bahnhof oder den Berliner Flughafen. Und für bedürftige Menschen fehlt das Geld.

 

Zu den Personen:

Bernardo Johannes Bahlmann OFM, geb. 1960 in Visbek/Deutschland, kam 1983 nach Brasilien. 1991 trat er dem Franziskanerorden bei. Er ist Bischof von Óbidos in Amazonien, der Nachbardiözese von Bischof Erwin Kräutler. 

Antoni Bonifacy Reimann-Panic OFM, geb. 1952 in Oppeln/Polen, ist Bischof und Apostolischer Vikar von Nuflo de Chavez in Bolivien.

Jorge Herbas Balderrama OFM, geb. 1963 in Mizque/Bolivien, ist Bischof und Koadjutorprälat von Aiquile in Bolivien.

Leonardo Ulrich Steiner OFM, geb. 1950 in Forquilhinha, trat 1972 dem Franziskanerorden bei. Er ist Weihbischof von Brasilia und Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz.