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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Kräutler zu Amazonas-Synode: Kirche braucht Reformen

Die Erwartungen an die Amazonien-Synode im Oktober sind groß. Bischof Erwin Kräutler war kürzlich in Rom zu den Vorbereitungsarbeiten. Ein Gespräch über die vielen Fragen, die in der Weltkirche und am Amazonas anstehen.

Erwin Kräutler war Bischof vom Xingu im Amazonasgebiet Brasiliens (Foto: ON)
Erwin Kräutler war Bischof vom Xingu im Amazonasgebiet Brasiliens (Foto: ON)

Herr Bischof Kräutler, Sie waren in Rom, um das Grundlagendokument zur Synode zu erarbeiten. Schält sich darin schon eine große Linie heraus?
Bischof Kräutler: Für Unruhe wird sorgen, dass da zwei pastorale Linien aufeinanderprallen. Denn die Europäer sehen viele Dinge ganz anders als wir. Wir kommen von der Basis her, und das ist ein ganz anderer Zugang zu den Fragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jetzt ins 19. Jahrhundert zurückfallen. Wir sind auch gewachsen, und verschiedene Dinge sieht man heute ganz anders. Aber in Europa geht das viel langsamer als bei uns. Die Leute fordern das von uns: Die Berücksichtigung ihrer besonderen Art und ihrer besonderen Ausdrucksform ist ihnen wichtig. Der Bischof muss hier zuerst ein hörender Bischof sein.

Eine zentrale Rolle spielen in Ihren Ortskirchen Frauen in der Gemeindearbeit, in der Pastoral. Wie wird sich das in der Synode spiegeln?
Bischof Kräutler: Hundertprozentig wird dies ein besonderer Punkt sein. Ich kann mir unsere Kirche da drüben ohne die Frauen nicht vorstellen. Sie machen mit und werden nicht einfach von oben diktiert. Nein: Die Frauen haben ihre eigene Art und kommen in bestimmte Realitäten und Situationen hinein, wo wir als Männer gar nicht hineinkommen. Ich glaube, man muss einfach sagen: Es gibt eine Kirche, wo Männer und Frauen gleichberechtigt sind in der pastoralen Arbeit, und das muss berücksichtigt werden. Ich denke, bei der Synode wird die Wertschätzung der Frau ganz besonders herausgeschält werden. Ich persönlich denke auch an den Diakonat.

Das ist ein großer Streitpunkt derzeit in der katholischen Kirche. In Deutschland ist es auch gerade so, dass Katholikinnen streiken. Wäre so etwas im Amazonas-Gebiet auch vorstellbar?
Bischof Kräutler: Wenn bei der Synode wirklich nichts herauskommt, dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Frauen auf die Barrikaden gehen und sagen: „Also, wir hätten uns schon viel mehr erwartet.“ Wir haben eine unendliche Verantwortung! Der Papst hat die Synode einberufen aus Liebe zu Amazonien. Wir können jetzt nicht einfach so tun, als wäre das nur eine Versammlung, wo ein paar Bischöfe zusammenkommen und sagen: „Ich bin dieser Meinung und du bist jener Meinung“. Ich glaube, wir müssen uns schon „zusammenraufen“, damit wir zu einer Lösung auch für die Frauen in der Kirche kommen.

Entspricht nicht das, was die Frauen in Ihrer Ortskirche am Amazonas machen, ohnehin schon der Tätigkeit einer Diakonin?
Bischof Kräutler: Eigentlich ja. In der Diözese, in der ich tätig bin, werden ungefähr 800 Gemeinden von Frauen geleitet. Das sind etwa zwei Drittel aller Gemeinden. Der Priester kommt zwei oder drei Mal im Jahr dorthin. Das ist eine Herausforderung sondergleichen. Selbst in unserer „machistischen“ Gesellschaft sind die Männer eigentlich froh, dass Frauen Wortgottesdienste leiten, weil sie etwa besser lesen können. Meistens sind sie auch Lehrerinnen und übernehmen diese Verantwortung für die Gemeinden. Sie leiten den Wortgottesdienst mit allem Drum und Dran. Sie machen auch Predigten auf ihre Art. Ich bin ganz begeistert davon. Auch im Altarraum sind die Frauen. Ich könnte mir nie vorstellen, dass man jetzt sagt: „Es ist nicht euer ‚Business‘, ihr müsst jetzt wieder zurück“, das geht einfach nicht.

Das zweite große Anliegen der Amazonassynode ist die ökologische Frage. Es geht um eine ganzheitliche Ökologie, und das ist auch eine Lebens- und Überlebensfrage für die Bevölkerung am Amazonas.
Bischof Kräutler: Amazonien hat eine klimaregulierende Funktion für den ganzen Planeten Erde, und das ist auch eine größere Verantwortung. Da möchten wir als Kirche nicht sagen: „Das gehört irgendeiner politischen Partei.“ Nein. Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wir sind nach dem Genesis-Bericht verantwortlich für diese Schöpfung. Jeder meint, es kommt ohnehin nichts Schlimmes, aber wenn wir so weitermachen wie bis jetzt, haben wir keine schöne Zukunft.

Die Politik in Brasilien ist derzeit auf einem Weg, der der katholischen Kirche sicher große Sorgen machen muss, gerade im ökologischen Bereich. Wie positioniert sich die Bischofskonferenz, die katholische Kirche zu den Aktionen, die Präsident Bolsonaro trifft und die gerade den Amazonas anlangen?
Bischof Kräutler: Ja, wir leben in einer schwierigen Situation. Man weiß eigentlich nicht, was Bolsonaro will. Ich sage auch ganz klar, er kennt Amazonien gar nicht. Er denkt nur von der wirtschaftlichen Dimension her. Amazonien muss geöffnet werden. Für wen? Für die internationalen Unternehmen und Gesellschaften, also multinationale Unternehmen. Die Indios existieren für ihn eigentlich nicht. Und als katholische Kirche: Es gibt einen bischöflichen Rat für indigene Völker. Ich war 17 Jahre Vorsitzender dieses Rates. Bolsonaro will ihn beschneiden oder überhaupt rückgängig machen. Das ist eine Katastrophe. Da brauchen wir internationale Solidarität. Es kann nicht sein, dass wir statt nach vorne zurückgehen und sagen, die Indios sollen integriert werden – das war früher der Fall – in die sogenannte nationale Gesellschaft. Sie sind die Ersten, die in Brasilien gelebt haben!

Wie sehen indigene Menschen gerade in diesem Kontext, den Sie da aufgeblättert haben, Jesus Christus?
Bischof Kräutler: Es gibt Völker, die schon vor Jahrhunderten mit dem Christentum zusammengekommen sind. Und es gibt Völker, gerade in unserer Gegend, die erst vor Kurzem davon erfahren haben. Ich bin überzeugt davon, dass unser Zugang ganz neu sein muss. Ich komme mit dem Kreuz zu diesen Indios? Nein, ich muss davon ausgehen, was sie bereits haben. Wie sehen sie den lieben Gott? Der liebe Gott war vor uns da. Sie haben auch ihr „Altes Testament“. Beispielsweise die Sintflut oder Kain und Abel. Das erzählen sie natürlich ganz anders, aber man sieht sofort: Es sind „urreligiöse Erfahrungen“. Manchmal können wir sehr viel von ihnen lernen. Sie haben immer noch das Wir-Empfinden, und der Natur gegenüber sind sie ganz anders eingestellt als wir.

Sehen Indigene Jesus Christus als jemand, der an ihrer Seite steht und ihre Freiheit möchte?
Bischof Kräutler: Ganz entschieden ja. Wir sind in einer Situation, in der wir immer geknechtet wurden und werden. Und Jesus Christus, den wir verkünden, ist der Gott, der befreit. Er sagt nicht: „Tut was für die Armen!“, er sagt: „Ich war arm. Ich war durstig. Ich war hungrig. Ich war krank.“

Das ist eine Stelle, die auch Papst Franziskus sehr oft nennt.
Bischof Kräutler: Gott sei Dank, ja! Er wird sich nicht als Befreiungstheologe outen, aber er hat genau diesen Ansatz: Er will eine Kirche, die bis zu den äußersten Peripherien geht – nicht nur zu den geografischen, sondern den existenziellen. Da muss die Synode ein paar Schritte weitergehen. Das hoffen wir einfach.