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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Katholische Kirche und Frauen: Vorreiter oder Verhinderer?

Die Grazer Religionswissenschaftlerin über Frauen in der Kirche, falsche Romantik und das Fehlen männlicher Vorbilder

Die Grazer Religionswissenschaftlerin über Frauen in der Kirche, irreführende Romantik und das Fehlen männlicher Vorbilder

Die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl im SONNTAG-Interview über Frauen in der Kirche, irreführende Romantik und das Fehlen männlicher Vorbilder (© Foto: Sonntag / Haab)
Die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl im SONNTAG-Interview über Frauen in der Kirche, irreführende Romantik und das Fehlen männlicher Vorbilder (© Foto: Sonntag / Haab)
 (© Foto: Haab)
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Ihr Buch „Andere Wesen – Frauen in der Kirche“: eine humorvoll-pointierte Auseinandersetzung mit patriarchalischen Gedankenwelten, die sich bis in jüngste Zeit in lehramtliche Texte hinein ausdrücken. Weshalb lohnt es sich, dieses Buch zu lesen?
Heimerl: Es ist wichtig, nicht nur die Einzelsituationen von Frauen in der kirchlichen Praxis zu sehen und die damit oft verbundenen Frustrationen, Wünsche und Anliegen, sondern zurückzutreten und zu schauen: Woher kommt es, dass Frauen immer wieder gesagt wird, was sie tun dürfen und was nicht, was sie sind und was nicht? Das hört man in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, aber genauso in der Kirche, und es lohnt sich, die Theorie dahinter anzuschauen. Der konkrete Anlass zum Buch war dann das 50-jährige Jubiläum des Konzilsendes mit der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, aber auch die gerade zu Ende gegangene Familiensynode in Rom.

Welche Bewegungen stellen Sie vom Konzil zum Arbeitspapier der Synode fest?
Heimerl: Um das Vorbereitungsdokument in seiner zweiten Fassung schätzen zu können, muss man wissen, was davor an Texten war. Da hat sich sehr viel getan. Am besten greifbar ist das an der Rede von „der Frau“ im Allgemeinen, die in den früheren Texten üblich war: Die eine Frau als Wesen gibt es nicht mehr. Jetzt spricht man von konkreten Frauen in sehr unterschiedlichen Lebenskontexten, von Lateinamerika, Afrika, Asien bis Europa. Das ist sehr viel, wenn man die Vorgängerdokumente anschaut.

Hat also eine andere, neue Sicht Einzug gehalten? Wobei ja noch aussteht, dass Frauen auch in der Kirche sichtbarer würden.
Heimerl: Man muss schon ganz nüchtern feststellen: Was Frauen in Weiheämtern betrifft, rührt sich überhaupt nichts. Das war auch nicht Thema der Synode. Wo sich aber etwas geändert hat: Es wird von der Kirche zur Kenntnis genommen, dass Frauen nicht automatisch zu Hause sind für Mann und Kind, sondern auch in verschiedenen Arbeitssituationen, und dass sie dort Rechte haben. Es gab zwar schon 1963 in der Enzyklika „Pacem in terris“ eine sehr klare Ansage der Kirche: Das katholische Christentum muss Vorreiter sein und zeigen, dass Gleichberechtigung und Emanzipation von Frauen verwirklicht werden. Das hat man dann dezent wieder vergessen.

Wenn ich auf Frauen in der Kirchengeschichte zurückschaue, waren dort sehr selbstständige und selbstbewusste Frauen.
Heimerl: Da sind Frauen wie eine Hildegard von Bingen oder eine Mechthild von Magdeburg, die sehr selbstständig sind und auch eine massive Kleruskritik üben. Am bekanntesten, auch was kirchen- und ordenspolitische Aktivität angeht, ist sicher Teresa von Ávila. Das sind Frauen, die überhaupt nicht diesem Bild entsprechen von braver und demütiger Ehefrau und Mutter. Das ist für mich der springende Punkt, der in den letzten 50 Jahren gerne übersehen worden ist: dass das Christentum die einzige Religion war, die Frauen eine Alternative geboten hat zum Leben als Ehefrau.

Kloster wird heute eher nicht mehr als Freiheit wahrgenommen ...
Heimerl: Aus heutiger Sicht ist das Leben in einem mittelalterlichen Kloster nicht erstrebenswert. Im Mittelalter aber, wo die Alternative war, einen Mann zu heiraten, den man nicht haben wollte, oder ins Kloster zu gehen oder als Tertiarin zu leben wie die hl. Katharina von Siena und dort ein vergleichsweise selbstbestimmtes Leben zu führen und wie die genannten Frauen für den Orden viel bewegen zu können, war das ein großer Fortschritt.

Woher kommt es, dass Frauen immer wieder gesagt wird, was sie tun dürfen und was nicht, was sie sind und was nicht?

Auch die Bibel hat einen sehr freien, realitätsnahen Blick auf Frauen in allen möglichen Situation.
Heimerl: Die Bibel kennt da ein weites Spektrum. Wenn ich Frauen anschaue wie Judith und Esther, ist das Lichtjahre entfernt vom demütigen, zartfühligen, weiblichen Wesen, und doch sind sie Heldinnen des Volkes Israel. Oder auch die Frauen um Jesus ... da gibt es viel mehr, als das kirchliche Frauenbild der letzten 50 Jahre uns suggerieren will.

Wurde nicht bei vielen Heiligen in der Verehrung ein ganz anderes Bild gezeichnet, als sie in Wirklichkeit waren? Auch bei Maria, die uns durch den Advent auf Weihnachten hin begleitet, durch die Gott ja Erlösung gewirkt hat ...
Heimerl: Das Marienbild hat in der Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts sicher eine Verkitschung erfahren. Man kann mit Blick in die Bibel festhalten: Sie war keine bürgerliche Frau, sondern eine unverheiratet schwangere junge Frau, derer sich ein Mann erbarmt. Das ist ja nicht die brave katholische Ehelehre. Und auch das Verhältnis zu ihrem Sohn, der es ihr nicht immer ganz einfach gemacht hat, wird sehr realistisch geschildert. Es ist keine Familienidylle, dass er sich mit 12 Jahren absetzt und sie später fast verleugnet. Theologisch kann man festhalten: Wenn Inkarnation ermöglicht wird durch die Geburt durch eine Frau, ist das auch ein Statement, mit dem viele von Beginn an bis heute ihre Probleme haben – dass Gott da zu viel Körperliches anhaftet, war vom Frühchristentum an immer wieder ein Stein des Anstoßes.

Wenn ich auf die Flüchtlinge schaue, die zu uns kommen: Vor welche Herausforderung stellen uns diese Menschen, die aus Kulturen kommen, wo Frau, Mann, Ehe und Familie ganz andere Werte tragen als bei uns?
Heimerl: Hier gilt wiederum die in „Pacem in terris“ zitierte Vorreiterrolle des Christentums bezüglich der Emanzipation der Frau. Der falsche Weg wäre, aus falscher Rücksichtnahme zu sagen: Bei uns ist das ja traditionell auch nicht so ... Es reicht nicht, dass die Menschen Deutsch können und die erste Strophe der Bundeshymne wissen. Da braucht es ganz klar etwas wie Kurse in deutscher Grammatik, aber auch eine Vermittlung unserer verbindlichen Werte in puncto Geschlechterrollen.

Wie bewusst sind wir uns unserer Grundwerte? Wären sie so selbstverständlich, würden ja keine Männer und sogar Frauen aus unserer Gesellschaft zum IS gehen, wo all das nicht gilt.
Heimerl: Man muss sich den sozialen Hintergrund derer anschauen, die das machen: Es sind in der Regel sehr junge Burschen und Mädchen aus Migrantenfamilien, die bei uns geboren sind, aber irgendwie das Gefühl haben, nur dazwischen zu stehen. Wenn das Angebot des IS das verlockendste ist, ist da jahrelang etwas schief gelaufen. Der IS wirbt ja, zumindest im westlichen Umfeld, mit ikonischen Inszenierungen, die an Hollywood erinnern. Z. B. mit einem dieser bekannten Shooter-Games: „Komm zu uns, bei uns kannst du das in echt tun.“ Das sind Erfahrungen, die von Pädagogen und Pädagoginnen jahrzehntelang verteufelt worden sind: Damit beschäftigen wir uns nicht, weil brave Buben das nicht spielen. Das war der falsche Zugang. Wir müssen uns damit auseinandersetzen und schauen, was daran so faszinierend ist. Verbote tun es nicht, wir müssen darüber reden. Auch die Konstruktion von attraktiven, für junge Männer interessanten Männlichkeitsbildern ist hoch an der Zeit.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:
DDr. MMag. Theresia Heimerl, geb. 1971, studierte Deutsche und Klassische Philologie und Katholische Theologie in Graz und Würzburg. Seit 2003 ist sie außerordentliche Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Graz; Forschungsschwerpunkte: Körper – Gender – Religion, Europäische Religionsgeschichte, Religion – Literatur – Film/TV.

Buchtipp:
Theresia Heimerl, Andere Wesen – Frauen in der Kirche. 192 Seiten, gebunden, styria premium 2015, € 24,90.