Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Populismus als Ideologie

Der Politikwissenschafter Reinhard Heinisch über Populismus und Ausgrenzung

Der Salzburger Professor für Politikwissenschaft spricht über fehlende Konzepte, die Ausgrenzung kritischer Stimmen, mangelnde Gesprächskultur und Werteverfall.

Der Politikwissenschafter Reinhard Heinisch über Populismus, Spezialitäten der Kärntner Politik und Zukunftschancen des Landes. (© Foto: privat)
Der Politikwissenschafter Reinhard Heinisch über Populismus, Spezialitäten der Kärntner Politik und Zukunftschancen des Landes. (© Foto: privat)
Der Salzburger Politologe Reinhard Heinisch (© Foto: privat)
Der Salzburger Politologe Reinhard Heinisch (© Foto: privat)

Sie sind Politikwissenschafter mit Schwerpunkt Populismusforschung. Heute wird generell immer wieder von populistischer Politik gesprochen. Was bedeutet eigentlich der Begriff „Populismus“?
Heinisch: Es ist ein neues Phänomen, bei dem man den Populismus als Politikstil und den Populismus als Ideologie unterscheiden muss. Als Ideologie geht er von einem einheitlichen Volksbegriff aus. Das ist nicht selbstverständlich, denn in der Bevölkerung gibt es Jung und Alt, Frauen und Männer, Land- und Stadtbewohner. Und je nachdem gibt es unterschiedliche Bedürfnisse. Das nennt man Pluralismus. Der Populist aber sagt: Das Volk hat eine Meinung und ein Ziel und alle Unterschiede werden von außen hineingetragen. Die Populisten sagen, dass sie den Volkswillen kennen und vertreten. Alle, die anderer Meinung sind, werden als Landesverräter oder Nestbeschmutzer verunglimpft.

Also ein krasser Mangel an Gesprächs- und Diskussionskultur.
Heinisch: Jede Diskussion, jeder Abgleich von Interessen, wird als Mauscheln abgetan. Aber der Populismus sucht auch nach Sündenböcken. Daher gibt es Begriffe wie den „echten Kärntner“, und wer kritisch ist, wird als „unecht“ abqualifiziert. Allerdings ist der Populismus an sich weder Links noch Rechts. Es geht nicht um Inhalte, sondern einzig und allein darum, gewählt zu werden. Dafür wirft man alle Grundsätze über Bord und läuft dem Wähler nach.

Offenbar wird nicht nur die Ideologie über Bord geworfen, sondern auch moralische und finanzielle Bedenken. Zur Not versucht man, Stimmen eben zu kaufen.
Heinisch: Was Sie hier ansprechen, bezieht sich auf die ganz spezielle Kärntner Situation. Populistische Parteien sind in der Regel Oppositionsparteien. Es ist natürlich leicht, ohne Verantwortung einfach nur gegen alles zu sein. Aber Kärnten ist einer der ganz wenigen Fälle, wo eine populistische Partei an die Regierung gekommen ist. Wenn man aber regieren muss, dann muss man die vielen Versprechen, die man gemacht hat, irgendwie finanzieren. Besonders geschickt funktioniert das dann, wenn man ideologiefrei Koalitionen wechselt und so seine Politik durchsetzt bzw. manches sicher auch verdeckt.

Sie sprechen die Korruptionsfälle an: Skandale gibt es ja nicht nur in Kärnten, sondern etwa auch in Salzburg. Warum wird dann immer auf Kärnten herumgehackt?
Heinisch: Da würde ich trennen. In Salzburg gibt es keinerlei Indizien für die Bereicherung einzelner Politiker oder Parteien. Warum man in diese Situation schlitterte, ist auch aus der abenteuerlichen Investitionspraxis vor zehn Jahren zu erklären. Das ist ein großer Unterschied zu einer Politik, die einer Bank wissentlich eine Garantie gibt, die ein Vielfaches des Landesbudgets ausmacht, und sich dann ihre Versprechen finanzieren lässt. Kärnten ist so gesehen ein Sonderfall.

Spielen solche Dinge eigentlich bei Wahlen eine Rolle? Anders gefragt: Wie ausgeprägt ist das Kurzzeitgedächtnis der Menschen?
Heinisch: Einmal werden Wahlen von aktuellen Ereignissen beeinflusst und nicht von weiter zurückliegenden. Dann ist die Stimmung gegenüber der Politik so negativ, dass man nicht mehr im Detail auseinanderhält, wer wofür verantwortlich ist. Irgendwie sind ja die meisten Parteien betroffen. Die gefährlichste Folge ist ein generelles Abrücken von Politik. Das betrifft sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Weigerung von immer mehr talentierten Menschen, selbst in die Politik zu gehen.

Hat man sich nicht schon an die Skandale gewöhnt? Hat diese Politik auf die Bevölkerung abgefärbt?
Heinisch: Bis zu einem gewissen Grad sicher. Ich habe ja den direkten Vergleich mit Salzburg. Dort ist die Bevölkerung entsetzt und kann es nicht verstehen, dass so etwas in ihrem Land passiert. In Kärnten hat ja im Monatsrhythmus ein Skandal den nächsten abgelöst – da hat man sich schon daran gewöhnt. Vielleicht sogar mit einem gewissen Unterhaltungswert.


Manche meinen, das habe auch mit einem Werteverfall in der Politik zu tun. Kann man mit Werten Wahlen gewinnen?
Heinisch: Ja, das glaube ich schon. In Krisenzeiten wie diesen sehnen sich viele nach anderen Inhalten. Daher können Parteien, die glaubwürdig Werte vertreten, durchaus Zustimmung finden. Zum Beispiel fährt man heute mit Sozialthemen relativ gut, weil immer mehr Menschen betroffen sind.

… was gerade in Kärnten ziehen müsste, wenn man sich die Arbeitslosenstatistik anschaut oder das vergleichsweise niedrige Durchschnittseinkommen. Was sind die Ursachen dafür?
Heinisch: Gerade eine populistische Politik, die auf dem gegenseitigen Ausspielen von Personengruppen und Regionen aufbaut, verschreckt Talente und Ressourcen. Dazu kommt eine Wirtschaftspolitik, die nur auf die eigenen Mehrheiten schielt. So werden etwa Ausgaben vervielfacht – siehe FH-Standorte, Sportstätten etc. –, anstatt mit vernünftigen Konzepten zielgerichtet zu investieren. Da liegen schon auch Wurzeln, denn eigentlich hätte das Land durch seine Lage und seine infrastrukturelle Anbindung an Italien oder Slowenien ideale Voraussetzungen für eine hohe Wirtschaftsleistung.

Was müsste passieren, damit dies auch entsprechend genutzt wird?
Heinisch: Zunächst müsste man alle Talente, die im Land vorhanden sind, zusammenbringen. Die Regionen müssten kooperieren. Nehmen Sie das Beispiel der Schnellbahnen und des regionalen Nahverkehrs. Jede Stadt, jede Region hat unterschiedliche Systeme, die alle nicht koordiniert sind, die unterschiedlich finanziert werden etc. Ich merke das schon, wenn ich von Villach-Völkendorf nur zum Bahnhof möchte. Dabei müsste es doch möglich sein, einheitliche Verkehrssysteme und einen Verkehrsverbund zu schaffen. Dafür braucht es aber ein Konzept, das auf Gemeinde- und Landesebene koordiniert und dann umgesetzt wird. Denken Sie auch an die FH-Standorte oder den Tourismus, wo alle ihre eigenen Süppchen kochen. Oder: Warum hat die internationale Schule so lange gedauert und erst eine Privatinitiative gebraucht? Auf internationaler Ebene muss man sich Gedanken über das Image des Landes machen, wie will man Kärnten positionieren und was dafür tun? Da muss noch vieles verbessert werden, damit Leute von außen kommen, hier investieren oder wenigstens hier arbeiten wollen.

Was kann die Politik machen? Wie kann sie solche Prozesse fördern?
Heinisch: Sie kann einerseits Rechtssicherheit bieten, aber auch über diese Dinge sprechen. Die Aufgabe der Politik ist es, Themen immer wieder zu behandeln. Sie muss den Leuten auch erklären, warum gewisse Schritte oder Entscheidungen wichtig sind. Natürlich kann man nicht erwarten, dass die Bevölkerung von allem begeistert ist und mitgeht. Aber das gehört zum Führungsanspruch von Politik dazu. Das ist nicht immer populär, aber es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.