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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

IS – eine neue Form des Terrors

Die Nahostexpertin Petra Ramsauer im Gespräch mit Gerald Heschl

Die bekannte Autorin und Dschihad-Expertin über die Faszination des IS, Österreich als Drehscheibe für Terroristen und was man gegen den IS unternehmen sollte

Nahost-Expertin Petra Ramsauer im SONNTAG-Gespräch über die Attraktativität des “Islamischen Staates“ für europäische Jugendliche und die Ursachen, warum sich so viele - auch in Österreich - vom “Dschihad“-Terror anstecken lassen. (© Foto: Stögmüller / News (Collage: KHK-Internetredaktion))
Nahost-Expertin Petra Ramsauer im SONNTAG-Gespräch über die Attraktativität des “Islamischen Staates“ für europäische Jugendliche und die Ursachen, warum sich so viele - auch in Österreich - vom “Dschihad“-Terror anstecken lassen. (© Foto: Stögmüller / News (Collage: KHK-Internetredaktion))
Dschihad-Expertin Petra Ramsauer (© Foto: Stegmüller/News)
Dschihad-Expertin Petra Ramsauer (© Foto: Stegmüller/News)

Die Terroranschläge in Paris versetzen Europa in Angst und Schrecken. Sie haben soeben das Buch „Die Dschihad-Generation“ veröffentlicht. Hätte man diese Anschläge verhindern können?
Ramsauer: Nein. Es ist viel verhindert worden, aber der IS ist als Terrorgruppe eine völlig neuartige Bedrohung. Die ehemaligen Al-Kaida-Kämpfer im IS haben ihre Lehren aus dem Vorgehen der westlichen Sicherheitskräfte nach den Anschlägen vom 11. September gezogen und Strategien entwickelt, um die Fehler zu vermeiden. Nun setzen sie den Hebel genau dort an, wo wir am empfindlichsten sind.

Wie weit sind der IS und seine Faszination von der Religion her erklärbar? Oder stehen Gewalt und der Ausbruch aus prekären Lebensverhältnissen im Mittelpunkt?
Ramsauer: Wir schauen immer auf die Jugendlichen, die Attentäter. Wen wir zu wenig im Blick haben, sind die Hintermänner, die rekrutieren. Ihnen ist es gelungen, eine Gegenwelt zu schaffen. Dort kann man seine eigene Minderwertigkeit beim Eingang abgeben und erhält das Gefühl, jemand Besonderer zu sein. Die Rekrutierer sind sehr gute Sozialarbeiter. Sie geben den jungen Menschen zunächst einmal das Gefühl, stark und wertvoll zu sein. Erst im nächsten Schritt geht es um den Dschihad. Das ist für Jugendliche, die ihr ganzes bisheriges Leben als Scheitern erlebt haben, verlockend.

Aber es kommen ja nicht alle aus ärmlichen Verhältnissen ...
Ramsauer: Es kommt auch vor, dass Jugendliche aus wohlhabendem Haus bzw. jene mit einer guten Ausbildung das Gefühl der Ausgrenzung erfahren. Ganz deutlich wurde das bei meinen Recherchen in Dänemark, wo ich mir die Biografie von 22 Dschihadisten angeschaut habe. Als besonders gefährdet erschienen dabei Personen mit Migrationshintergrund, die anspruchsvolle Studien abgeschlossen hatten und sich trotzdem am Arbeitsmarkt sehr schwer getan haben.

Aber wo liegt die Attraktivität des IS?
Ramsauer: Wir müssen uns klar sein, dass die Attentäter von Paris für diese Jugendlichen Ikonen sind. Je mehr wir in die Knie gehen, umso mehr jubeln sie. Sie sagen: Uns ist es gelungen, Paris und die europäische Hauptstadt Brüssel in die Knie zu zwingen. Die fühlen sich extrem stark. Das ist auch eine Anfrage an uns, an unsere Vorgehensweise. Es gibt nicht 100 Prozent Sicherheit, wie wir Europäer so gerne glauben. Der IS weiß, dass er uns damit zu Gefangenen unseres Perfektionsstrebens macht. Ich will die Attentate keineswegs kleinreden, aber die „Washington Post“ schrieb unlängst: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Europäer oder Amerikaner von einem schlecht fixierten Möbelstück erschlagen wird, ist deutlich höher, als von einem Terroristen getötet zu werden.

Wie steht es generell um die religiöse Dimension des IS?
Ramsauer: Ich habe vor ein paar Tagen gelesen: Wir erleben momentan nicht eine Radikalisierung des Islamismus, sondern eine Islamisierung des Radikalismus. Die meisten Jugendlichen, die von uns nach Syrien gehen, haben nur sehr geringe Kenntnisse vom Islam. Sie holen sich einzelne Versatzstücke aus dem Koran oder aus der Überlieferung des Propheten und basteln sich daraus eine eigene Ideologie.

Als normaler Mensch müsste man doch meinen, dass die Gräueltaten des IS in Syrien und im Irak eher abschreckend sind?
Ramsauer:  Im Gegenteil. Der IS versucht, die Fassade der Unbesiegbarkeit aufzubauen. Je barbarischer man vorgeht, desto stärker wird dieses Bild betont: Es entsteht das Gefühl, dass es diese Gruppe den anderen „so richtig zeigt“. Dazu kommt, dass der Nachrichtenwert von besonderer Brutalität sehr hoch ist. Kaltblütig wird dieser Mechanismus der Medien instrumentalisiert, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Die bereits radikalisierten Jugendlichen glauben an die Ideologie des IS. Hier greifen der Sektencharakter und die damit verbundene Gehirnwäsche. Demnach „verdienen“, wird ihnen eingetrichtert, Abtrünnige des Glaubens exakt diesen Umgang.


Wie könnte ein Gegenmittel gegen diese Radikalisierung aussehen?
Ramsauer: Ein Ereignis dieses Herbstes hat den Rekrutierungen des IS massiv geschadet: die Willkommenskultur. Plötzlich hat sich jemand um die Muslime, die zu uns als Flüchtlinge kommen, gekümmert. Das war ganz ungeplant eine der wichtigsten „Maßnahmen“ gegen die Radikalisierung. Da ist gerade von kirchlicher Seite so viel Wichtiges und Richtiges passiert. Darum hat sich der IS mit der Re-krutierung sehr schwer getan.

Stimmt es also, dass die vermehrten Terroranschläge daher kommen, weil der IS in die Defensive gerät?
Ramsauer: Dass jetzt diese Anschläge passiert sind, ist aus Sicht des IS ein logischer Schritt. Es geht darum, diese Willkommenskultur zu sabotieren. Dazu kommt, dass diese Attentäter Werbeträger für den IS sind. Das ist für die Rekrutierung ein ganz starkes Signal. Unsere Aufgabe ist es daher, sie nicht in Kampfanzügen als Helden darzustellen.

Ist Österreich auch eine Drehscheibe des IS?
Ramsauer: Wir haben in Österreich viele Tschetschenen, die nach Syrien gegangen sind. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie radikale Moslems sind. Für sie ist der Krieg gegen Assad ein Krieg gegen Putin, den sie als Erzfeind betrachten. Ich denke daher, dass diese tschetschenischen Jugendlichen hier in Österreich keine große Gefahr darstellen. Was mich viel mehr besorgt, sind die bosnischstämmigen Hassprediger, denen wir in Österreich viel zu viel Raum gegeben haben. Sie haben etwa die beiden Mädchen beeinflusst, die nach Syrien gegangen sind. Die meisten davon sind jetzt im Gefängnis. Aber dieses Netzwerk bosnischer Hassprediger hätte viel früher zerschlagen gehört.

Diese Netzwerke wurden ja von extern finanziert ...
Ramsauer: Die Golfstaaten sind zentrale Geldgeber für den IS. Ich bin sehr für den Dialog der Kulturen. Aber den Raum, den wir dem saudischen Königreich in Österreich geben – etwa mit dem Wiener Dialogzentrum –, muss man schon sehr kritisch betrachten. Wir können ja nicht einen Staat unterstützen, der Menschen steinigt. Was für ein Signal ist das an Jugendliche, die sich gerade radikalisieren und denen man erklärt, dass dies der falsche Weg ist? Eine Werteschule würde ich mir nicht nur für die Flüchtlinge wünschen, sondern auch für unseren Außenminister. Gerade von ihm erwarte ich mir eine klare Haltung gegenüber den Golfstaaten.

Wie kann es gelingen, den Rekrutierern das Handwerk zu legen?
Ramsauer: Der IS zeigt uns brutal, wo unsere Probleme liegen. Es gelingt uns offenbar nicht, am Rand stehenden Jugendlichen Perspektiven anzubieten. Da spreche ich nicht nur von Moslems. Es gibt auch genug österreichische Jugendliche, die jede Perspektive verloren haben. Wir haben in unserer Leistungsgesellschaft für jene keinen Platz, die nicht in der Lage sind, diese Leistungen zu erbringen. Diese werden an den Rand gedrängt und offen für Radikalismen aller Art.