Ich schaue auf das, was in der Kirche wächst
Anna Hennersperger, die neue Seelsorgeamtsleiterin, blickt nach vorne
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Sie sind erst seit ganz kurzer Zeit in Kärnten. Haben Sie schon einen ersten Eindruck des Landes?
Hennersperger: Es ist ganz wunderbar, was Gott hier geschaffen hat. Leider war das Wetter bisher nicht so gut. Ich hoffe auf einen schönen Herbst, um die ganze Schönheit des Landes erfassen zu können.
Und die Leute?
Hennersperger: Ich verstehe die Sprache sehr gut, weil sie ja dem Bayrischen sehr verwandt ist. Aber ich bin eben erst beim Ankommen und freue mich auf viele Begegnungen.
Kärnten wurde von Bayern aus missioniert. Fühlen Sie sich als Missionarin?
Hennersperger: Als Missionarin fühle ich mich überhaupt nicht. Kärnten hat eine lange Glaubensgeschichte, eine stark verwurzelte Volksreligiosität.
Kärntens Spezifikum ist die Zweisprachigkeit. Freuen Sie sich schon auf Begegnungen mit der slowenischen Volksgruppe?
Hennersperger: Ich habe mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen, dass etwa in der Liturgie die Zweisprachigkeit sehr offen praktiziert wird. Das ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Ich freue mich schon darauf, diese Vielfalt und diesen kulturellen Reichtum zu entdecken.
Welche Aufgabe hat das Bischöfliche Seelsorgeamt innerhalb der Diözese?
Hennersperger: Es steht natürlich in enger Abstimmung mit dem Diözesanbischof. Grundsätzlich sehe ich drei Dimensionen. Erstens ist es computertechnisch gesprochen ein „Server“, also in einer dienenden Funktion zur Unterstützung der Pfarren und anderer pastoraler Einrichtungen. Das ist aber keine Einbahn, denn das Seelsorgeamt kann viel von den Pfarren lernen. Zweitens sollte es angesichts der massiven Veränderungen in Gesellschaft und Kirche eine Art „Zukunftslabor“ sein. Offen, etwas Neues auszuprobieren. Hier arbeiten sehr kompetente Menschen, die ihren Erfahrungsreichtum und ihr Wissen einbringen. So ist es drittens auch ein Kompetenzzentrum. Da denke ich an den ganzen Bereich der Aus- und Fortbildung der Ehrenamtlichen oder Bereiche der kategorialen Seelsorge, wie etwa die Krankenseelsorge. Aber ich möchte mich einmal umschauen. Dann wird sich zeigen, wo Schwerpunkte zu setzen sind.
Eine besondere Herausforderung für die Seelsorge ist der Priestermangel – wohin geht der Weg?
Hennersperger: Der Priestermangel ist sicher kein Segen. Aber ich sehe die Chance, dass das Kirchenbild des 2. Vatikanums besser zum Tragen kommt. Stärker noch als bisher, wo der Versorgungsgrad doch sehr hoch ist und eher zur Bequemlichkeit verführt. Wenn Laien ihre Berufung entdeckt haben, ist es vielleicht durch weniger Priester eher möglich, dass sie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen einbringen. Ich sehe die Zukunft aber nicht in riesigen Seelsorgebereichen, weil dann die Nähe verlorengeht. Das würde auch unserem Leitbild widersprechen.
Manche meinen ja, die Pfarre hätte ausgedient ...
Hennersperger: Dass die Pfarre ausgedient hat, halte ich für eine gravierende Fehleinschätzung. Über das Pfarrnetz ist die Kirche im ganzen Land präsent. Aber natürlich muss sich eine Pfarre weiterentwickeln. In einer groß angelegten Umfrage unter Pfarrgemeinderäten haben wir gesehen, dass diese eher dafür sorgen, dass das Bestehende erhalten bleibt. Ich würde mir noch mehr eine Zukunftsorientierung wünschen. Pfarrgemeinderäte gibt es jetzt seit etwa 50 Jahren, und seit damals arbeiten sie relativ ähnlich. Da kann ich mir eine Entwicklung etwa hin zu konkreten Projekten gut vorstellen.
Die Katholische Aktion (KA) ist im Seelsorgeamt beheimatet. Welche Rolle spielt sie?
Hennersperger: Ich meine, dass die KA den Auftrag hat, das Salz des Evangeliums in die Gesellschaft und Kultur zu bringen. Meine Wahrnehmung ist, dass man noch stark an der Vergangenheit hängt. Das betrifft vor allem die Fixierung auf die Mitgliedszahlen. Zu sagen: Wir haben nur noch 200 Mitglieder und können daher nichts bewirken, kann es nicht sein. Wenn das Dach offener wird, kann vielleicht der Himmel stärker hereinschauen. Derzeit nimmt man nur wahr, dass es hereinregnet – aber es kann ja auch die Sonne besser herein. Mir ist schon klar, dass es heute nicht einfach ist. Aber wir haben meiner Meinung nach die beste Botschaft der Welt. Diese prophetisch-kritisch in die Gesellschaft zu bringen, ist eine zentrale Aufgabe.
Wie wichtig ist das gesellschaftspolitische Engagement der KA, der Kirche insgesamt?
Hennersperger: Ich halte das gesellschaftspolitische Engagement für unabdingbar. Die Kirche kann nicht sagen: Wir feiern Tod und Auferstehung Jesu, nehmen aber nicht wahr, was an Tod und Auferstehung in der Gesellschaft vor sich geht. Wo Menschen Unterstützung brauchen, einen Rückhalt oder eine Lobby, dort muss Kirche sein. Wenn man sich die aktuelle Euthanasie-Debatte anschaut, da muss die Kirche ihre Stimme erheben. Papst Franziskus ist für mich ein großes Beispiel – etwa im Umgang mit Flüchtlingen, junge Menschen ohne Arbeit, der Schere zwischen Reich und Arm. Die Kirche muss sich auf die Seite der Armen stellen, unbequem sein. Das ist uns vom Evangelium her aufgetragen.
Bei den Pastoraltagen ging es um die verschiedenen Milieus. Braucht es eine Öffnung in neue Gesellschaftsschichten?
Hennersperger: Wir dürfen uns nicht in einer Wagenburg verbarrikadieren, sondern müssen uns auch in andere Richtungen hin öffnen. Es ist aber auch eine Frage der Kultur, wie wir Öffnung praktizieren.
Gibt es etwas, das Sie unseren Leserinnen und Lesern noch ans Herz legen möchten?
Hennersperger: Ich nehme eine gewisse Verzagtheit überall in der Kirche wahr. Viele sehen nur eine Abwärtsspirale. Ich komme eher von der anderen Seite. Ich bin dankbar dafür, wie Menschen vom Glauben erfasst sind, wie sie ihren Glauben leben. Ich frage eher, wie man mit diesem Kapital gut weiterwirtschaften kann. Der Blick zurück sitzt bei vielen zu tief drinnen. Da denke ich: Dreht euch um! Schaut nach vorn! Ich halte das auch für den biblischen Auftrag. Wir arbeiten miteinander in der Zuversicht, dass Gott in dieser Zeit mit uns unterwegs ist. Wir sind nicht allein gelassen, sondern Gott ist mit uns. Da brauchen wir nicht zu verzagen. Wenn wir das Unsere dazu einbringen, wird der Übergang, den wir derzeit erleben, auch gelingen. Es ist kein Abbruch, sondern ein Umbruch, eine Veränderung. Es geht mit der Kirche nicht zu Ende, auch wenn sie ihre Gestalt verändert. Daher schaue ich lieber auf das, was wächst und nicht auf das, was vergeht!
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