Ich bin in die innere Emigration gegangen
Engelbert Obernosterer im SONNTAG-Gespräch
Der Kärntner Literat über den Ruhm des Schriftstellers, das Verhältnis zum Gail- und Lesachtal – und über sein neues Buch „Der Kampf mit dem Engel“.


Herr Obernosterer, kürzlich erschien Ihr Buch „Der Kampf mit dem Engel“. Sind Sie nach langer Schaffenskraft mit diesem Werk innerlich angekommen?
Obernosterer: Ich wüsste nicht, wo ich ankommen soll. Ich bin und bleibe ja auf meinem bisherigen Weg. Man könnte sagen, dass ich weitergekommen bin. Ich bin auf dem alten „Obernosterer“-Pfad geblieben. Viel mehr kann man nicht verlangen.
Sie betrachten in diesem neuen Buch die Welt in Fragmenten…
Obernosterer: Ich habe es „Mosaik“ genannt; man kann auch Fragmente sagen. Es sind kleine Einheiten, die im Ganzen wieder eine große Einheit ergeben. Das ist im Titel gegeben. Das ganze Leben ist ein unentwegter Kampf.
Sie assoziieren Ihr „Dasein mit Jakobs nächtlichem Kampf mit dem Engel, wie er in der Bibel steht“ ...
Obernosterer: Oft meint man, dieser oder jener Gegner müsse besiegt oder beseitigt werden, dann herrsche Friede und Glück. Aber schon packt irgendeine andere Beklemmung zu, verwickelt die Kräfte in eine zähe Auseinandersetzung, just wie der biblische Jakob, von dem berichtet wird, dass er in der Nacht mit einem Engel gerungen habe, der sich im Morgengrauen – es gibt keinen Sieg – dem Zugriff entzogen habe.
Also Versöhnung?
Obernosterer: Eigentlich schon. Bei Tag, also bei Einsetzen des Verstandes, hat sich der Gegner verflüchtigt. Man kann sehen oder verstehen, dass das sogenannte Böse nur aus dem Nichtverstehen einer anderen Person resultiert. Anstatt rasch zuzuschlagen, schaut der aufgeklärte Kämpfer dem Gegner ins verängstigte Auge und lässt die Keule sinken, denn er beginnt zu verstehen. Die Versöhnung erfolgt oft erst im Alter und nicht in jungen Jahren.
„Als Schriftsteller vermittle ich den Lesern Baugründe, die außerhalb ihres Horizonts liegen. Bauen müssen sie selber“, heißt es darin. Wie soll der Leser dies realisieren oder hilft ihm Literatur weiter, wenn man vielleicht ein Gestrandeter ist?
Obernosterer: Das Schreiben geht so, dass man aus der Wirklichkeit, der Banalität herauskommt, und man dort den Leser einlädt, selbst weiterzugehen und weiterzudenken und dort seine eigene Gedankenwelt aufzubauen – eine Gedankenbrücke aus dieser banalen Welt. Letztendlich will der Schriftsteller den Leser nicht bevormunden, sondern nur einen Anreiz geben, weiterzudenken. Der Literat muss letztlich offen lassen, was der Leser daraus macht.
In einem Ihrer ersten Bücher „Mythos Lesachtal“ befassen Sie sich mit der Realität dieses Kärntner Tales und mit dessen Mythen. Sie kehren als Literat in späteren Werken immer wieder dahin zurück. Ist das Lesachtal Halt und Trost des Engelbert Obernosterer?
Obernosterer:Wurzel würde ich sagen. Es werden immer neue Motive aus dieser Gegend wach. Was ich schon geschrieben habe über das Lesachtal, das ist geschrieben und vorbei. Aber es gibt so viele Erinnerungen, Berichte, Meldungen, Ansichten, dass es immer reizt, aufbauend, eine neue Sicht zu entwickeln. Der Stoff stammt bei mir aus der Kindheit, sprich aus dem Lesachtal und aus meiner jetzigen beobachtbaren Umgebung (Gailtal, Anm. d. Red.).
Was sind Ihre literarischen Zukunftspläne?
Obernosterer: Ich habe keine großen Pläne mehr. Ich versuche so zu tun, als ob ich noch weitere Bücher schreiben wollte. Aber es muss nicht sein. Ich denke, ich habe das Wesentliche in meinen sechzehn, siebzehn Büchern geschrieben. Wenn mich etwas drängt, etwas zu Papier zu bringen, schreibe ich. Es muss nicht an die Öffentlichkeit. Es wird sich ergeben.
Was bedeutet für Sie Ruhm?
Obernosterer: Das mit dem Ruhm ist so eine Sache. Ich bin schon daran interessiert, dass mehr Menschen meine Sachen lesen. Wenn es jedoch nicht passiert, dann kann ich auch gut damit leben, wenn nur ein paar Gleichgesinnte meine Sachen lesen. Letztlich muss ich froh sein, wenn ich etwas, das unklar war, ins Klare gebracht habe. Schreiben ist, etwas vom Unklaren ins Klare zu bringen.
Definieren Sie sich als Landmensch?
Obernosterer: Nicht typisch. Die Frage ist nur, lebst Du in dieser gängigen Sprache in der gewöhnlichen Welt oder setzt du dich ab in die literarische Ebene?
In eine innere Emigration?
Obernosterer: Könnte man fast so sagen. Man nimmt immer weniger Anteil an der äußeren Welt. Ich kenne nicht viele Menschen. Gewisse Dinge bleiben ganz stark hängen. Das Schauen und das Denken entwickeln eine Eigendynamik.
Ist es die Melancholie des Geistesmenschen?
Obernosterer: Es ist vielmehr das Exil des Denkenden – dass man sich absondert. Melancholie eigentlich nicht. Ich arbeite eher mit dem Verstand als mit Stimmungen. Ich bin eher ein Analytiker als ein Stimmungsmaler.
Sie haben mit Sicherheit die gläserne Decke der Gegenwartsliteratur durchbrochen …
Obernosterer: Wie die Wahrnehmung ist, weiß ich nicht. Das ist eine schwer beantwortbare Frage. Es ist auch eigentlich gar nicht so wichtig. Am Anfang war es mir schon einmal wichtig, ob man irgendwo wahrgenommen wird in Österreich. Das ist ein eigenes Spiel. – Das Spiel des Marktes.
Was bedeutet für Sie Religiosität?
Obernosterer: Für mich gehört es zur Menschenwürde zu versuchen, mir über mein individuelles Verhältnis zum Transzendenten klar zu werden.