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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Himmel und Erde verbinden

Der Titularorganist von Notre Dame de Paris, Olivier Latry, über Orgelmusik in der Liturgie, Berufung und sein Konzert in Klagenfurt

Olivier Latry an der Hauptorgel Orgel in Notre Dame de Paris
Foto: Deyan Parouchev

Sie haben Ihre Orgelkarriere in sehr jungen Jahren begonnen. Was hat Sie an diesem Instrument so fasziniert?
Latry: Es ist die Klangvielfalt, all die möglichen Farben, und auch die Fülle des Orgelklangs. Und außerdem: Jede Orgel hat eine eigene Persönlichkeit, und beim Spielen lernt man Neues über die Musik, die man vielleicht schon 30 oder 40 Jahre lang spielt. Momentan bin ich in London und gebe heute Abend ein Konzert auf einem historischen Instrument. Als ich kam, hatte ich meine Ideen, wie ich die verschiedenen Stücke registrieren wollte. Beim Hören der Orgel habe ich meine Meinung geändert. Diese stillschweigende Kooperation zwischen Instrument und Interpret ist für mich hochinteressant.

Die Orgel ist bei uns hauptsächlich im liturgischen Einsatz. In welchem Zusammenhang stehen für Sie Orgel und Liturgie?
Latry: Sie stehen in enger Beziehung: Seit Jahrhunderten begleiten Orgeln den Gottesdienst. In dieser Zeit hat sich die Orgel weiterentwickelt, aber auch die Liturgie, sie haben einander dabei wechselseitig unterstützt. Mir ist die Symbolik der Orgel wichtig: Sie ist die Stimme des Volkes. Wenn Sie mit dem Plenum spielen, erklingen viele Orgelpfeifen gleichzeitig, singen gemeinsam das Lob Gottes – schon das ist Gottesdienst. Die Orgel unterstützt den Gesang der Gläubigen und wechselt sich mit ihnen ab. Sie ist da, um das Geheimnis der Liturgie mitzutragen.

Sie sehen Ihre Aufgabe im Herzen einer lebendigen Liturgie?
Latry: Der Organist hat viele Möglichkeiten, Atmosphäre zu schaffen, ein Gebet aufzugreifen oder eine Predigt zu kommentieren. Wenn er sehr aufmerksam ist, kann er die Liturgie und die Feiernden miteinander in Einklang bringen: Das ist für mich die Berufung des liturgischen Organisten. In Notre Dame lese ich als Erstes die Tageslesungen, dann die Liedauswahl, um mich von ihnen für die Improvisationen inspirieren zu lassen. Würde ich das nicht tun, ginge das am Ziel vorbei. Ich kenne übrigens viele Priester, die dafür sehr offen sind: Wenn ich über dieses und jenes, was der Priester gesagt hat, improvisiere, greifen sie das wiederum ihrerseits auf und lassen sich davon inspirieren. Das ist eine Zusammenarbeit, die Freude macht.

Wie ist es für Sie, die Orgel als Konzertinstrument zu spielen?
Latry: Ich gebe wenig Konzerte in Notre Dame und bin damit sehr zufrieden. Diese Kirche ist der Ort, an dem ich die Liturgie gestalte. Es ist stimmig, wenn es sich um geistliche Musik handelt. Aber wenn es um irgendein Sommerkonzert für Touristen geht, fühle ich mich nicht so gut. Der Konzertsaal ist dafür der passende Ort. Aber umgekehrt ist es ganz gleich: Einmal habe ich die „Assomption“, also die „Himmelfahrt“ von Olivier Messiaen in der Walt Disney Hall in Los Angeles gespielt – auch das war nicht gut. Diese Musik ist für die Kirche geschrieben.

Die Symbolik der Orgel: Sie ist die Stimme des Volkes. Wenn die Orgelpfeifen erklingen, singen sie gemeinsam das Lob Gottes.

Um bei der Vielfalt von Musik zu bleiben: Vor allem die Marienorgel im Klagenfurter Dom ist auf romantisch-französischen Klang hin ausgelegt. Was unterscheidet die französische von der deutschen und österreichischen Orgeltradition?
Latry: Schon vom Soziologisch-Historischen her betrachtet gibt es Unterschiede: Im Unterschied zum im Deutschen sehr starken Protestantismus war Frankreich immer sehr katholisch. Die ausgeführte Musik ist von daher sehr stark von der Gregorianik beeinflusst, d. h. von der begleiteten Melodie. Die protestantische Musik basiert auf dem Choral, also der Polyphonie. Das ganze Repertoire, nicht nur das liturgische, wurde davon beeinflusst. Deshalb findet man in Deutschland eine Lehre vom Kontrapunkt, die sich grundlegend von der französischen unterscheidet. Wenn man Couperin nimmt, findet man viele Motetten mit einer oder zwei Melodiestimmen, aber Bach ist etwas ganz anderes. Generell ist die französische Musik eine Musik der begleiteten Melodie. Das wirkt sich auch auf den Klang aus.

Wie wirkt sich das auf das Orgelspiel aus?
Latry: Einen Bach-Choral kann man mit einer bestimmten Registrierung spielen, aber er klingt auch gut mit einem Plenum. Französische Musik dagegen ist so geschrieben, dass sie nur mit einer bestimmten Registrierung klingt, die Verbindung mit dem Klang ist viel wichtiger. Der Dirigent Michel Plasson hat dazu gesagt: Nehmen Sie irgendein Stück von Wagner, und es ist schwer, es schlecht zu spielen, denn es ist schon alles in der Musik enthalten. Zugegeben, das ist ein wenig schematisch. Aber wenn man deutsche Musik schlecht spielt, bleibt dennoch eine musikalische Substanz. Ein frappierendes Beispiel aus der Orgelmusik ist z. B. Jehan Alain: Seine Musik ist nicht beendet; es liegt am Interpreten, sie zu vervollständigen.

Was erwartet die Zuhörerinnen und Zuhörer, die zu Ihrem Konzert in den Klagenfurter Dom kommen?
Latry: Ich beginne an der Chor-Orgel mit Präludium und Fuge Es-Dur von Bach, darauf folgt französische Musik verschiedener Epochen: vom Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein Choral von César Franck, dann das „Clair de Lune“ von Debussy, dessen Todestag sich heuer zum 100. Mal jährt, in einer Transskription für Orgel, die noch zu seinen Lebzeiten entstanden ist, darauf Präludium und Fuge g-moll von Marcel Dupré, etwa aus der gleichen Periode. Dann wechsle ich zur großen Mathis-Orgel und zu einem anderen Repertoire, Musik ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ein Stück von Escaich, eines von Grégoire Rolland, das er zum 150-Jahr-Jubiläum der Orgel in Notre Dame geschrieben hat; darin verbirgt sich ein wenig das Motiv von „Happy Birthday“. Mit einer Improvisation an der Chor-Orgel endet dann das Konzert.

Um auf Ihre Faszination für das Instrument zurückzukommen: Was möchten Sie als Musikpädagoge den jungen Menschen weitergeben, die Sie unterrichten?
Latry: Ich möchte Leidenschaft weitergeben. Was der jungen Generation nach meiner Einschätzung fehlt: Sie machen vieles, sie tun es auch gern, aber durch die Möglichkeit, so vieles gleichzeitig zu tun, ist es für sie schwierig, sich auf etwas zu konzentrieren. Ich würde ihnen wünschen, dass sie sich mit Leib und Seele auf etwas stürzen, dass sie es als Berufung sehen können.

Was möchten Sie den Lesern des „Sonntag“ besonders ans Herz legen?
Latry: Ich möchte gerne noch etwas zu Konzerten wie diesem im Klagenfurter Dom sagen. Der Ort ist sehr wichtig. Ein Konzert in einer Kirche wie dieser kann nicht entsakralisiert werden. Ich lade die Zuhörerinnen und Zuhörer also zu einer emotionalen, musikalischen Erfahrung ein, aber ebenso einer geistlichen, die mit dem ausgewählten Programm und dem Ort zusammenhängt.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Olivier Latry, geb. 1963 in Boulogne-sur-Mer, begann im Alter von 7 Jahren Klavier zu spielen, wurde mit 19 Jahren Domorganist in Meaux und mit 23 in Paris/Notre Dame. Er unterrichtet am Conservatoire National Supérieur de Paris und ist einer der weltweit angesehensten Organisten.

 

Veranstaltungstipp:

Im Rahmen des Carinthischen Sommers: Olivier Latry an den Orgeln im Dom zu Klagenfurt. Samstag, 25. August, 20 Uhr. Karten: www.carinthischersommer.at
Auftakt: Sa., 25.8.2018, 18.30 Uhr: Olivier Latry im Gespräch mit Domorganist Klaus Kuchling und Melissa Dermastia (Dompfarre, Franziskussaal). Eintritt frei!