Gott möchte in mir Mensch werden
Linda Jarosch im Sonntags-Gespräch
Maria als Urbild zeigt der Kirche, welche Macht darin liegt, auf die Stimme Gottes in sich zu hören und aus dieser Kraft zu handeln


In Tainach haben Sie neulich ein Seminar über Mutter-Tochter-Beziehungen gehalten, und Sie schreiben viel über Frauen-Themen. Was bedeutet der Marienfeiertag am 8. Dezember für Sie?
Jarosch: Welchen Bezug hat die Aussage des Festes, nämlich dass Maria von Anfang an frei von jeder Sünde war, zu unserem heutigen Leben? Ich deute es für mich so: In jedem Menschen gibt es einen Teil, der nicht in Sünde verstrickt ist, der trotz seiner Verletzungen heil ist. Der Feiertag spricht die Sehnsucht an, diesen Teil in mir wiederzuentdecken. So kann ich das Festgeheimnis in meinem Leben nachvollziehen.
Wie haben Sie zu dieser Deutung gefunden?
Jarosch: In der Kirche habe ich meistens Männer über Maria reden hören. Aber die Bilder von ihr, die sie mir vorgestellt haben, haben nicht zu mir gesprochen. Sie hatten mit meinem Mensch-Sein, meinem Frau-Sein nichts zu tun, sie waren sehr idealisiert und überhöht: Maria als die reine, junge Frau, als ein Bild für Asexualität – das alles ergibt etwas, dem ich nicht nachleben kann. Das hat mich nachdenklich gemacht: Vielleicht hat es auch mit Angst zu tun, wenn jemand sich ein so überhöhtes Bild einer Frau macht, Angst vor der wirklichen Frau und ihrer Vitalität. Je näher ich mich mit ihr befasst habe, desto mehr habe ich gespürt, dass Maria ein Bild ist für kraftvolle Weiblichkeit. Welche Macht in dieser Frau steckt, indem sie ganz diese weiblichen Kräfte lebt! Nämlich: zu hören, ganz nach innen zu gehen und bei sich selbst zu sein, und dann danach zu handeln. Der Gedanke war mir ganz vertraut.
Maria als Urbild des Hörens auf Gott?
Jarosch: Maria hat sich im Hören ganz auf Gott eingelassen, hat alle äußeren Stimmen draußen gelassen, die sagen, was richtig wäre und wie wir zu leben hätten. Sie hat in der Stille Gottes Wort gehört und in sich bewegt. Aus diesem Bewegen und sich den Weg zeigen lassen, ging der Messias hervor. Das kann ich gut mit meinem Leben nachvollziehen: Wenn wir diese heilende Kraft entdecken in der Stille und im Hören, dann haben wir auch die Möglichkeit, etwas in die Welt zu bringen, was uns stärker, freier, liebender macht. Ich halte das Hören für einen höchst weiblichen Teil im Menschen – der übrigens im Mann genauso vorhanden ist wie in der Frau.
Können Sie das noch etwas erläutern?
Jarosch: Das Hörende, das Weibliche ist für mich vor allem das Empfangende, das Bereit-Sein, etwas zu empfangen. Ich habe in einem Besinnungsjahr erfahren, wie wichtig es ist, einmal nicht zu geben, sondern zu empfangen: etwas, was mich weiterführt in meinem Reifeprozess, mich weiter zur Ganzheit führt. Es ist das Sich-Einlassen auf eine Weisheit, die einmal nicht die sichtbare Welt betrifft, das Machbare. Eine Sehnsucht, der wir nachgehen müssen, eine Sehnsucht nach mehr Ganzheit, mehr Liebe, nach eigener Kraft.
Papst Franziskus ruft die Kirche auf, wieder neu fruchtbar zu werden. Müsste sie dazu – in diesem Sinne – weiblicher werden?
Jarosch: Fehlende Fruchtbarkeit bedeutet, dass ich mich trocken fühle und nichts wächst, dass ich keine Fantasie mehr habe, keine Träume. Das stellt mich vor die Frage: Was fehlt mir, was mich nährt und lebendiger macht? Was ist mein Wesen? Wenn ich mich mit meiner innersten Wahrheit in Verbindung setze, werde ich Gott finden; denn wo die Wahrheit ist, da ist Gott. Im Alltag müssen wir oft Anpassungsleistungen bringen, das entfremdet uns von uns selbst. Wir vertrocknen und sagen am Ende: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ Wenn wir aber wieder unsere innere Stimme hören und spüren, werden wir das tun, was uns mehr entspricht. Das ist für mich Fruchtbarkeit aus der Kraft des Geistes: Auf diese Weise wächst neues Leben.
Gerade der Advent ist eine Zeit, um still zu werden und neues Leben in mir kommen zu lassen, das mich freier, stärker und liebender werden lässt.
Einer Ihrer Buchtitel lautet: „Königin und wilde Frau“ ...
Jarosch: In der wilden Frau ist genau diese Fähigkeit vorhanden, immer wieder aus der Aktivität herauszugehen, sich nach innen zu wenden und zu fragen: Was stimmt jetzt für mich? Dazu schaltet sie alle äußeren Stimmen erst einmal aus. Und wenn sie ganz in ihrem Kern ist und spürt: Das bin jetzt ganz ich, dann wird ihr Handeln kraftvoll. Dann sind auch die Stimmen von außen ganz egal. So hat auch Maria die Kraft gehabt, sich gegen alle Konventionen zu richten in ihrer geistigen Schwangerschaft, die nicht in der Norm ihrer Zeit war. Dann können wir auch einmal Regeln und Normen hinter uns lassen und aus innerer Freiheit heraus ganz souverän handeln. Die wilde Frau ist die freie Frau: Das ist Maria. Sie war vorher ein unscheinbares Mädchen, bis sie dieses neue Leben hervorgebracht hat. Dadurch wurde sie revolutionär, selbstbewusst und umstürzlerisch. Sie hat von der Umkehrung aller Werte gesprochen. Das ist faszinierend! Wenn wir ganz von innen heraus handeln, halten wir auch Unverständnis und Kritik aus – wir wissen, dass dieser Weg stimmt.
Was können wir auf Weihnachten hin von Maria lernen?
Jarosch: Wenn wir uns nach innen wenden, begegnen wir einem anderen Geist, der das bisher Gelebte vielleicht hinterfragt. Vielleicht will sich etwas in mir weiten oder wachsen. Die Fähigkeit, es zu hören und dann daraus zu handeln; das Zutrauen, dass Gott an uns handelt, wenn wir bereit sind zu empfangen: Gott kann uns verwandeln, aber er braucht unsere Offenheit dafür – dann kann er wirken, dann werden wir fruchtbar. Das können wir von Maria lernen: offen werden. Gerade der Advent ist für mich eine Zeit, um still zu werden und sagen zu können: Ja, ich bin bereit, neues Leben in mir kommen zu lassen, das mich freier, stärker, liebender werden lässt.
Das setzt aktives Hören voraus?
Jarosch: Das setzt voraus, mit Gott in Beziehung zu treten. Zu sagen: Wir haben eine Beziehung zueinander, in der ich meinen Teil geben kann. Das kann sein, zu erspüren, was mir zur Lebendigkeit, zur Freude, zur Liebe fehlt, und es vor Gott bringen. Dazu gehört, mich auch vom Leid berühren zu lassen und es anzusprechen. Dieses Bild hat uns Maria mit ihrer weiblichen Kraft, ihrer Spiritualität gegeben. Und sie hat wesentlich am Heilsgeschehen mitgewirkt!
Ihr Bruder, P. Anselm Grün: Kommen Sie mit ihm auch ins Philosophieren? Und wenn, worüber?
Jarosch: Ja, besonders über die Rolle der Frau in der Kirche. Wir sind beide der Meinung, dass es patriarchalische Bilder gibt, die Frauen verletzen, sie minderwertig machen. Aber wir dürfen die Kraft der Frauen in der Kirche nicht klein machen, wir müssen sie herausheben und mit der männlichen Kraft verbinden; nur gemeinsam sind sie fruchtbar.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten ...
Jarosch: Dann würde ich mir Gottesdienst und Gottesdienstformen wünschen, die die Menschen wieder berühren, die lebensrelevant sind. Opferung, Wandlung: Das sind doch wichtige Phasen auch im Leben von uns: Wenn ich bereit bin, etwas herzugeben und mich wandeln zu lassen! Und gerade das ist erstarrt in Formen. Das könnte viel lebendiger sein. Ich wünsche mir, dass die Messe nicht mehr „gelesen“ bzw. „besucht“ wird, sondern dass Männer und Frauen Messe gemeinsam vorbereiten und feiern; dass wir dort etwas erfahren, was uns stärkt auf unserem Weg.
Zur Person:
Linda Jarosch, geboren 1947, ist eine der leiblichen Schwestern von Anselm Grün. Die Ehefrau, Mutter und Großmutter arbeitet als selbstständige Bildungsreferentin für Teams im Auftrag unterschiedlicher Organisationen und Firmen. Daneben begleitet und berät sie Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Als beliebte Referentin ist sie auch immer wieder im Bildungshaus Sodalitas/Tainach zu Gast.
Buchtipp:
Linda Jarosch/Anselm Grün: Königin und wilde Frau. Lebe, was du bist! 192 Seiten, dtv, € 9,20.
Linda Jarosch: Ab morgen trage ich rot. Frauen entdecken ihre Freiheit, 150 Seiten, Vier-Türme-Verlag, € 17,40.