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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Gott finden. Wie geht das?

Interview mit Matthias Beck

Prof. Matthias Beck (Foto: Karl-Heinz Kronawetter)
Prof. Matthias Beck (Foto: Karl-Heinz Kronawetter)

Ihr Buch hat den Titel: Gott finden – wie geht das? Sie gehen dabei auch auf die aktuelle Corona-Krise ein. Ist es heute noch schwieriger oder leichter als zuvor, Gott zu finden?
Beck: Sowohl als auch. Wir sind durch die Pandemie auf uns selbst zurückgeworfen. Viele Menschen werden dadurch einsam. Das ist die tragische Seite der Medaille. Auf der anderen Seite können Sie sagen: Ich benutze die Zeit! Lesen Sie wenigstens die Psalmen im Alten Testament. Das ist große Literatur in einem religiösen Zusammenhang. Menschen schreien zu Gott in ihrer Not. Jede Medaille hat also zwei Seiten: Ich kann vereinsamen oder ich kann sagen, ich bin wert geschätzt und kann auch dazu beitragen, dass sich das Virus nicht weiter ausbreitet.

Sie vertreten in Ihrem Buch einen sehr individuellen Ansatz. Welche Bedeutung hat dabei die Gemeinschaft der Gläubigen?
Beck: Ich glaube, wir haben als Kirche zu viel von der Gemeinschaft gesprochen, vom Volk Gottes. Dabei haben wir den Blick auf den Einzelnen verloren. Wenn man sich die Kirchengeschichte anschaut, sind immer einzelne Personen berufen. Wir haben uns zu sehr auf Massenphänomene konzentriert, bis hin, dass wir sonntags die Kirchenbesucher gezählt haben. Das trifft aber den Punkt nicht. Der Punkt ist: Gott und ich.

Wir sind aber doch auf den Nächsten, das Du hin orientiert. Wie wichtig ist also die Gemeinschaft, auch die Religionsgemeinschaft auf der Suche nach Gott?
Beck: Natürlich können wir ohne das Du nicht leben. Unsere Gesellschaft hat aber im Drang nach immer mehr und größeren Events den Blick auf den Einzelnen verloren. Derzeit können viele mit ihrer Einsamkeit nicht umgehen. Ich glaube, das Pendel ist im Laufe der Geschichte etwas zu sehr Richtung Gemeinschaft gekippt. Sie sehen das auch in der Medizin: Wie unterschiedlich sind die Krankheitsverläufe, und sogar die Ansteckungsrisiken sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der Einzelne muss in den Blick genommen werden. Auch wenn es klar ist, dass die Gemeinschaft lebenswichtig ist, müssen wir den Blick auf den Einzelnen schärfen. Das müssen wir wieder lernen.

Als eine Schule, wie man Gott finden kann, bezeichnen Sie die Ignatianischen Exerzitien. Wie weit sind diese heute noch aktuell?
Beck: Die Exerzitien sind einer der größten Schätze der christlichen Spiritualität. Sie haben eine bestimmte Methodik. Im Grunde geht es darum, sich selbst wahrzunehmen. Was geht in mir vor? Ignatius hat erkannt, dass überall dort, wo ich mit dem göttlichen Willen in Einklang bin, ein tieferer Friede in mir aufkommt. Wenn ich meinen Weg verfehle, kommt Unruhe, Trauer, Ängstlichkeit. Es geht also um eine spirituelle Wahrnehmung. Das ist gerade heute, wo so vieles zusammenbricht, von größter Aktualität.

Der Advent ist die Zeit der Erwartung. Gott ist in Bethlehem in der Krippe zu uns gekommen. Er hat uns aufgesucht …
Beck: So ist es! Gott kommt uns entgegen. Er will uns dienen, wenn er sagt: Zu eurem Heil bin ich auf die Welt gekommen. Am Gründonnerstag wäscht er den Jüngern die Füße. Aber er sagt, und das ist der entscheidende Punkt: Weil ich euch diene, deswegen sollt ihr den Nächsten dienen und dadurch wieder Gott dienen. Gott ist gekommen, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben. Dieser Logos, das Wort Gottes, ist Mensch geworden, um uns zu zeigen, wie Leben geht. Davon sind wir aber weit entfernt. Indem wir aber daran Maß nehmen, wird auch unser Leben gelingen und zu größerer Freude führen. Das ist der zentrale Punkt der Menschwerdung Gottes.

Gehört dazu neben dem Gebet auch das Handeln?
Beck: Im letzten Kapitel meines Buches zeige ich genau das: Spiritualität und Ethik müssen Hand in Hand gehen. Zunächst muss ich erkennen: Was geht in mir vor, was bewegt mich. Dann kommt die Umsetzung, wie ich das ins Tun bringen kann. Beides müssen wir stärken. Einmal die spirituelle Erfahrungswelt und dann die ethische Umsetzung. Das bringt dem Einzelnen etwas aber natürlich auch der gesamten Gesellschaft.

Ist das Ziel, Gott zu finden, überhaupt in diesem Leben erreichbar?
Beck: Im Grunde ist Gottes-Findung Selbstfindung. Das haben schon die mittelalterlichen Mystiker erkannt. Es ist die Stimme des heiligen Geistes, die mich in mich in mein innerstes Zentrum führt, damit ich dort mich und Gott finde. Ignatius formuliert dies so: Zur Ehre Gottes und zum Heil der eigenen Seele. Meine Botschaft für Weihnachten wäre: Finden Sie Gott – nicht nur in dem Kind in der Krippe, sondern in sich selbst. Angelus Silesius hat einen Satz gesagt, der mir sehr wichtig ist: Wäre Jesus tausend Mal in Bethlehem geboren und nicht in mir, dann wäre es umsonst. Es geht aber eben nicht alleine um eine egoistische Selbstfindung. Das Finden Gottes in mir heißt, dann nach außen gehen und Taten folgen lassen. Bei den Benediktinern heißt das: Ora et labora. Beten und dann wieder hinausgehen ins Leben.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für die Leserinnen und Leser?
Beck: Ziehen Sie sich einfach täglich ein paar Minuten zurück. Denken Sie übers Leben nach. Ignatius nennt es das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Zu Mittag den Vormittag kurz betrachten: Wie ist er gelaufen, wie waren meine Begegnungen und Gespräche? Dann wieder zurück in die Arbeit und am Abend dasselbe noch einmal. Das ist kein großer Aufwand, aber es führt zu einem bewussteren Leben und damit auch zu einem besseren Leben.