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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Gott begibt sich auf die Augenhöhe der Menschen

Jozef Niewiadomski, Innsbrucker Dogmatiker, über die Menschwerdung Gottes und wie er persönlich Weihnachten feiert

Die Kirche in Kärnten durchlebt gerade eine schwere Zeit. Es wäre Augenwischerei, ein liebliches Weihnachtsinterview zu führen, so als ob nichts wäre. Was kann Trost und Hoffnung geben?
Niewiadomski: Wenn ich es fromm sage: Es gibt nichts anderes, als was der klassische Rorate-Gesang sagt: Rorate coeli desuper ..., also: Der Himmel möge sich öffnen und den Gerechten herabregnen. Ganz gleich, wer wofür verantwortlich ist: Die Situation gleicht einer Wüste. Alles wird mühsam, und man verdurstet, auch das Glaubensleben verdurstet. Und ganz gleich, wer in welche Richtung zieht und wer womit schachert, als Christen bleibt uns, was auch die klassische Adventfrömmigkeit sagt: zu beten und zu hoffen, dass die Wolken den Gerechten herabregnen, damit Leben wiederersteht. Das Volk Israel hat jahrhundertelang gewartet. Irgendwie fehlen mir die Worte ...

Wie feiern Sie Weihnachten?
Niewiadomski: Ein verhältnismäßig einfaches Abendessen, und dann feiere ich am Höttinger Bild, das ist eine Kapelle etwa 300 m oberhalb von Innsbruck im Wald, die Christmette. Da

Foto: Georg Haab
Foto: Georg Haab

rauf freue ich mich, da kommen jedes Jahr ganz viele Menschen. Einmal bei Vollmond und Neuschnee waren wir etwa 800. Sie stehen zwischen den Bäumen im Wald. Es spielt eine Blasmusik, viele haben Laternen, Kinder sind dabei. Die Stimmung ist schon sehr einmalig.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Weihnachten?
Niewiadomski: Bei uns zu Hause hatten wir zwar einen Christbaum, aber nur mit einigen Wachskerzen, die nicht so oft angezündet wurden. Für elektrische Beleuchtung hatten wir kein Geld. Im Pfarrhof aber stand im Fenster ein Christbaum, der hat geleuchtet. Und ich habe geträumt: Wenn ich einmal groß bin, möchte ich so einen Baum haben. Und auf dem Tisch zu Hause lag Heu. Dahinter steht eine tief theologische, bäuerliche Überlegung: Das Zimmer verwandelt sich in den Stall von Bethlehem, und um den Tisch ist die Familie versammelt. Deshalb haben wir zuhause immer auf dem Heu gegessen. Das mache ich bis heute so. Ich besorge mir jedes Jahr von einem befreundeten Bauern aus dem Stubaital Heu. Das Heu liegt auf dem Tisch, und dann brechen wir nach polnischer Tradition Oblaten miteinander. Die Oblaten sind wie Hostien, nur größer, und jeder bricht mit jedem die Oblate zum Zeichen, dass all das, was zwischen uns steht, was uns voneinander trennt, gebrochen wird, ausgelöscht gewissermaßen. Ich breche beim Anderen ein Stück ab, der Andere bei mir, man wünscht einander frohe Weihnachten, und man isst dieses Stück. Damit man wirklich, im besten Sinne des Wortes, Weihnachtsfrieden hat. In jedem Weihnachtsbrief, den ich aus Polen bekomme, ist ein Stück Oblate.

Was sagt Weihnachten Ihnen persönlich?
Niewiadomski: Mit dem Oblaten-Brechen verbinde ich persönlich, wie ich das Fest auch theologisch sehe: Wir waren in der Familie zu viert, Vater, Mutter mein älterer Bruder und ich, die beiden Schwestern waren da schon tot. Und meine erste bewusste Erinnerung an das Oblatenbrechen ist mein Vater, wie er seine Oblate in die Hand nimmt und sagt: Ich bitte euch, eure Oblate mit mir zu brechen. Jeder hatte seine in der Hand. Dann ging der Vater zu der Mutter, sie flüsterten ein paar Worte, küssten sich, dann ging der Vater zum Bruder, das Gleiche, und da ich so ein kleiner Stöpsel war, hat sich der Vater vor mir hingekniet. Hingekniet, damit wir uns in die Augen schauen konnten, nicht von oben herab. Dieser einfache polnische Bauer hat das Weihnachtsgeheimnis bestens verstanden: Gott steigt hinunter auf die Augenhöhe von Menschen, um mich so anzunehmen, wie ich bin. Da assoziiere ich auch den schönen Satz von Christine Lavant: Kniet sich der Himmel nieder, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen. Weihnachten ist für mich von daher, auf die Augenhöhe eines anderen Menschen herunterzusteigen.

Wenn alle Würdenträger das so sehen möchten ...
Niewiadomski: Die Kirchenväter hatten für Weihnachten den Begriff „Humilitas Dei“. Humilitas: Da steckt der Begriff Humus drin, Boden. Gott wird bodenständig. Man hat Humilitas irgendwann mit Demut übersetzt. Das gibt nicht den kernigen Inhalt des Begriffes wieder. Natürlich ist es der Abstieg, aber der bodenständige: Gott wird bodenständig. Im Stall, in der Krippe, im Dreck.

Die Situation der Heiligen Familie war nicht rosig. Wenn Sie bei der Christmette am Höttinger Bild draußen in der Kälte frieren, nimmt das etwas von der Weihnachtsromantik, in die wir uns gerne verlieren?
Niewiadomski: Es vergrößert sie sogar auf eine bestimmte Weise ... Zuerst: Für mich ist es faszinierend, wie viele Menschen sich da auf den Weg machen. Ja, sie wollen an diesem Abend etwas Außergewöhnliches erleben, sie nehmen etwas in Kauf. In einem Jahr hat es am Heiligen Abend bereits in der Früh geregnet, überall war Matsch. Es waren trotzdem etwa 200 Menschen da im Matsch. Und bei den liturgischen Antworten habe ich verstanden, dass das eher nicht Kirchgänger waren. Die aber gespürt haben: Man geht hinaus, man erfährt Kälte und wird sensibel, dass die Wärme des Wohnzimmers nicht selbstverständlich ist. Dass man das schätzen soll. Und wenn man sieht, dass andere frieren, man miteinander teilt. Das ist für mich nicht Romantik. Wenn Weihnachten ein Fest der Menschlichkeit ist, gibt es die Menschlichkeit in jedem menschlichen Gesicht.

Mögen Sie das ein wenig erläutern?
Niewiadomski: Ein befreundeter Pfarrer hat einmal eine geniale Krippe gebaut, die hat mit Spuren von großen Schritten vor der Kirche begonnen und in die Kapelle geführt, wo die eigentliche Krippe stand. Die Kulisse war sehr groß und hoch, sehr naturalistisch. Aber um die Krippe zu sehen, musste man sich ganz hinunterbeugen, um zu sehen, was darunter lag. Und in der Krippe lag … ein Spiegel. Jeder hat sein eigenes Gesicht erblickt. Das war zuerst einmal ein Gag, aber wenn du es deutest, heißt es: Du sollst die Spuren Gottes auch in deinem eigenen Gesicht erkennen. Ich ergänze: Schauen Sie einmal die Frau an oder den Mann, mit der oder dem Sie verheiratet sind, und versuchen Sie, außergewöhnliche Züge auch im vertrauten Gesicht zu entdecken; etwas, das Sie vielleicht bis jetzt nie gesehen haben. Wie es Karl Rahner gesagt hat: Wo entdecke ich Gott? Im Gesicht des Menschen, der mir entgegenkommt. Und ich würde dazu sagen: auch im eigenen Gesicht.

Stellt sich die Frage, ob das dann immer so erfreulich ist, was man da sieht ...
Niewiadomski: Es geht nicht nach dem Motto: Ich bin ein toller Hecht, sondern gerade um meine Schwäche. Ich brauche keine Maske mehr, um meine Verletzungen, meinen Scherbenhaufen zu verbergen. Mensch werden heißt, sich selbst als Versager anzunehmen. Das kann ich nur, weil Gott mich in dieser Form annimmt.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Józef Niewiadomski, geb. 1951, ist Professor für Dogmatik und Systematische Theologie und langjähriger Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.