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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Gerechtigkeit, Zukunft und Verantwortung

Caritas-Präsident Michael Landau zu Caritas als Grundhaltung, was Flüchtlingen hilft und zu Christen als Vorbildern

Caritas-Präsident Michael Landau zu Caritas als Grundhaltung, was Flüchtlingen hilft und zu Christen als Vorbildern

Caritas-Präsident Michael Landau im SONNTAG-Interview über Caritas als Grundhaltung, über Hilfe für Flüchtlinge und Christen als Vorbilder (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Caritas-Präsident Michael Landau im SONNTAG-Interview über Caritas als Grundhaltung, über Hilfe für Flüchtlinge und Christen als Vorbilder (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
 (© Foto: Michael Appelt)
(© Foto: Michael Appelt)

Die Caritas hilft Menschen. Aus welchem Beweggrund?

Landau: Ich halte für ganz wichtig, was auch der Kärntner Caritas-Direktor Josef Marketz in einem Sonntag-Interview gesagt hat: Caritas ist nicht zuerst eine Institution, sondern eine Haltung, eine Haltung aller Christen. Der Einsatz der Christen für die Armen war schon in den Anfängen der Kirche Unterscheidungsmerkmal und Kennzeichen der jungen Kirche: „Seht, wie sie einander lieben!“, wie die Apostelgeschichte überliefert. Ganz klar ist auch der erste Johannesbrief: „Wer seinen Bruder, seine Schwester nicht liebt, die er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.“ Für das Verständnis heute halte ich für wesentlich, dass auch das Bemühen um Gerechtigkeit dazugehört. 

Mögen Sie das ein wenig erläutern?

Landau: Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu im Dekret über das Laienapostolat gesagt: Man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Man muss die Ursachen der Übel bekämpfen, nicht nur die Symptome. Wenn in unserem Land zum Beispiel 229.000 Menschen ihre Wohnung im Winter nicht angemessen warm halten können, geht es in den vielen Einrichtungen zuerst um ganz konkrete Hilfe, aber auch darum, sich als Land dem Thema Energiearmut zu stellen. Hier ist auch Papst Franziskus sehr klar, wenn er sagt: Wir gehören hinaus zu den Menschen. Das heißt für die österreichische Kirche nichts weniger, als die Lehrsäle der Theologischen Fakultäten und die kirchlichen Häuser und Gebäude zu verlassen, um mit den Armen und bei den Armen zu sein. So wichtig die Lehrsäle sind – auch die Begegnung mit den Armen gehört dazu und ebenso das Hinterfragen unseres Lebensstils und die Erinnerung daran, dass Hunger kein Naturgesetz ist, sondern großteils gemacht wird.

Beispielsweise mit Lebensmittelspekulationen, oder indem man die Schere Arm-Reich weiter aufgehen lässt ...

Landau: Auch da kommt es auf jeden und jede Einzelne an: Es hängt auch an uns, wie wir mit Lebensmitteln umgehen. Nehmen wir zur Kenntnis, dass in Wien so viel Brot weggeworfen wie in Graz gegessen wird? Wenn wir bewusst mit der Schöpfung, mit den Ressourcen umgehen, ändert unser Verhalten etwas. Aber es geht zugleich um eine gesamtgesellschaftliche Haltung der Aufmerksamkeit, des Respekts, der Nachhaltigkeit – auch dafür setzen wir uns als Caritas ein.Wir machen uns für Nachbarschaftlichkeit ebenso stark wie für eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins. Es geht um das gemeinsame Bemühen, unsere Gesellschaft ein Stückchen armutsfester und damit zukunftstauglicher auszugestalten, aber auch um Verantwortung im Weltmaßstab.

Was wäre notwendig, um Österreich armutsfester und zukunftstauglicher zu machen?

Landau: Ich glaube, dass wir für eine zukunftstaugliche Gesellschaft Aufmerksamkeit an den Rändern der Gesellschaft und an den Rändern des Lebens brauchen: dort, wo es für den Menschen brüchig wird. Dazu gehört eine flächendeckende Hospiz- und Palliativ-Versorgung ebenso wie die Sorge um Mütter mit kleinen Kindern. Und wenn wir wissen, dass es einen engen Zusammenhalt zwischen Armut und Bildung gibt, müssen wir uns als Caritas für das Bildungsthema engagieren, damit alle Kinder eine faire, gleiche Chance erhalten, auch ihre Begabungen und Talente zu entfalten. Dabei geht es nicht um Ideologie, sondern um die konkrete Not konkreter Menschen.

Ich wünsche mir von den politisch Verantwortlichen, dass sie sich von der Hilfsbereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher anstecken lassen.

Papst Franziskus weist sehr stark auf die Flüchtlingsproblematik hin. Es sterben ja tausende Flüchtlinge vor den Türen Europas, und wir halten die Türen zu. Wo sollte man anpacken?

Landau: Der Papst hat mit seiner ersten Reise, die ihn nach Lampedusa führte, ein sehr klares Zeichen gesetzt. Das Sterben im Mittelmeer und in vielen Regionen der Welt geht uns in Europa und in Österreich etwas an. Wir müssen hinschauen. Und wenn wir nicht sehr rasch handeln, machen wir uns mitschuldig am Tod von Menschen. Österreich hat eine starke humanitäre Tradition. Wenn die Bundesländer zugesagt haben, dass sie ihre Aufnahmequoten gemäß der eingegangenen Verpflichtung bis Ende Jänner 2015 vollständig erfüllen werden, ist das ein begrüßenswerter, aber längst überfälliger Schritt. Da müssen sich alle am Riemen reißen, in einem breiten Schulterschluss.

Die Bilder aus den Krisengebieten zeigen Menschen unter katastrophalen Lebensbedingungen. Wie können wir unsere Verantwortung gegenüber den jetzigen und den kommenden Flüchtlingen wahrnehmen?

Landau: Wer nach Syrien schaut, in den Libanon, nach Jordanien oder in die Türkei, der weiß, wie dramatisch die Situation der Menschen dort ist. Syrien ist die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, es sind Millionen Menschen auf der Flucht, und nur ein ganz kleiner Teil kommt nach Österreich. Die Caritas bringt derzeit österreichweit mehr als 3.100 Asylwerberinnen und Asylwerber im Rahmen der Grundversorgung unter, darunter viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder Personen mit erhöhtem Betreuungsbedarf. Rund 8.000 Menschen, die nicht bei der Caritas untergebracht sind, werden zusätzlich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas betreut. Es gibt aber auch zunehmend mehr Solidarität von Einzelpersonen sowie engagierten Gemeinden und Pfarren. Ich war kürzlich in Vorarlberg, wo sieben Pfarrgemeinden Flüchtlinge aufnehmen, und es gibt auch in anderen Bundesländern eine Reihe von Pfarren, die Menschen aufnehmen und ganz konkret helfen. Ich wünsche mir von den politisch Verantwortlichen, dass sie sich von dieser Solidarität und Hilfsbereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher anstecken lassen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie da?

Landau: Zum Beispiel, indem sie Menschen, die hier im Asylverfahren sind, nicht jahrelang zur Untätigkeit zwingen, sondern ihnen zumindest nach einer gewissen Zeit auch die Möglichkeit geben, legal zu arbeiten. Es kann nicht sein, dass Menschen im Rahmen des Asylverfahrens jahrelang zum Nichtstun gezwungen sind und im Wartesaal des Lebens verharren müssen. So könnten viele Menschen auch für sich selbst sorgen und wären nicht mehr auf eine Grundversorgung angewiesen.

Eine letzte Frage: Als Christ, der einen jüdischen Vater hat: Was ist Ihnen am Tag des Judentums, dem 17. Jänner, besonders wichtig?

Landau: Heute ist klar: Christ und Antisemit sein, ist unvereinbar. Historisch aber gab es hier viel Dunkelheit. Da gilt es wachsam zu sein und zu bleiben. Oder wie es Paulus gesagt hat: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Michael Landau, geb. 1960, ist der Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter. Während des Studiums der Biochemie, das er 1988 mit dem Doktorat abschloss, konvertierte Landau in die katholische Kirche. 1986 begann er zusätzlich das Studium der Theologie und trat 1988 ins Priesterseminar ein. 1992 erfolgte in Rom seine Priesterweihe, 1995 wurde er mit der Leitung der Caritas Wien betraut. 1999 beendete Landau sein Doktoratsstudium in Kirchenrecht, seit November 2013 ist er Präsident der Caritas Österreich. Für seine Verdienste wurde Landau mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Wien und dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.