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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Gemeinsam auf der Bühne

Weihnachtsmusical

Das Schicksal kann unbarmherzig sein. Doch stärker noch ist die zielgerichtete Barmherzigkeit aus unerschütterlicher Familienbande und gefestigtem Glauben. Ein Beispiel, das bewegt. von Ingeborg Jakl

Familie de Roja ist mit dabei: Birgit, Christopher, Bernadette und Roland (v.li.).  (© Foto: Eggenberger)
Familie de Roja ist mit dabei: Birgit, Christopher, Bernadette und Roland (v.li.). (© Foto: Eggenberger)

„Alle auf ihre Position“, schallt es durch den Probenraum in Kamilas Showdance Academy in Klagenfurt. Regisseurin Ilona Wulff-Lübbert dirigiert die Kindergruppe in die erste Reihe, die darstellenden Besucher des Weihnachtsmarktes dahinter, und dazwischen positioniert sie die Marktfrauen. „Ihr ward gut“, lobt Wulff-Lübbert und schaut hinüber zu Bernadette de Roja. Die Jugendliche spielt eine der Marktfrauen, die Kerzen und Gebäck feilbieten. Generalprobe des Weihnachtsmusicals „Es war einmal im Dezember“ frei nach Charles Dickens.


„Mir fehlt noch ein wenig Gefühl“, bringt es die Regisseurin auf den selbstkritischen Punkt. „Aber ansonsten passt es“, sagt sie und schaltet wieder den CD-Player ein. Die Musik beginnt und sogleich erklingt der Titelsong „Nur ein Tag und schon morgen ist Weihnacht“. Die Kindergruppe läuft fröhlich  nach vorn, das muntere Marktgeschehen zieht die Besucher in ihren Bann, sie flanieren um die Stände kaufen und verkaufen.
Bernadette de Roja singt begeistert ihren Part mit. Strahlend, fröhlich, energiegeladen. Für die 16-Jährige ist dieses Weihnachtsmusical mehr als nur eine Probe. Es ist für sie Bestätigung, dass sie dort anknüpfen kann, wo sie vor knapp vier Jahren aufgehört hat. Aufhören musste. Bernadette de Roja sang, tanzte und spielte damals erfolgreich in der Musikschule.


Doch dann kam der Unfall. Auf dem Nachhauseweg von einer Probe wird Bernadette wenige Meter vor dem Elternhaus in Villach überfahren. Lebensgefahr, Intensivstation, erschreckende erste medizinische Prognosen für die Eltern Birgit und Roland: Ihre Tochter, erfahren sie, wird nie mehr gehen können. Ein Leben im Krankenbett und eine Kommunikation mittels Sprachcomputer allenfalls. Die Eltern und Bruder Christopher können das Gehörte nicht glauben. Ihre fröhliche, tatendurstige Bernie ein Pflegefall? Sobald wie möglich wird die im Wachkoma liegende Tochter in eine Spezialklinik nach Süddeutschland verlegt.


Nie aufgeben
Für ihre Eltern war klar, in dieser Situation würden sie ihre Tochter nicht allein lassen. Sie zogen abwechselnd zu ihr ins Krankenhaus. Der Beruf und der bis dahin gewohnte Alltag wurden zurückgestellt. Alles konzentrierte sich nur noch auf Bernadettes Gesundheit. Die Therapie begann und für sie eine Zeit, die sie, wie sie heute rückblickend meint, nicht überstanden hätte, wenn nicht die Familie so eng neben ihr gestanden hätte. „Nie aufgeben“, ein in einem Krankenhaus allgemeingültiger Satz, der aber auf Bernie voll zutrifft. „Wir haben immer an sie geglaubt“, sagt Mutter Birgit. Auch Bruder Christopher, damals gerade neun Jahre alt, war von Anfang an überzeugt, „die Bernie wird wieder“. Und wie zum Beweis kletterte er bei jedem Besuch in der Klinik in ihr Bett und flüsterte ihr diese aufmunternden Worte ins Ohr. Die Eltern bemühten sich rund um die Uhr um sie, versuchten, sie aufzubauen und abzulenken und gaben ihr immer das Gefühl: „Du bist nicht allein.“
Freunde und Verwandte riefen an, schrieben Briefe, versicherten ihr, für sie zu beten und an sie zu denken. „Du liegst hier, um wieder auf die Beine zu kommen“, sagten die Eltern wiederholt.


Zu Weihnachten schließlich erwachte Bernie ganz langsam aus dem Wachkoma, suchte mit den Augen zum ersten Mal ihr Kuscheltier. Die Eltern waren überglücklich. Ihnen gelang es, die Tochter für wenige Stunden aus der Klinik in einem liegenden Rollstuhl in die angemietete Wohnung zu holen. Hier benetzten sie die Zunge der Tochter mit einem pürierten Cordon bleu, „ihrem Lieblingsessen“, wie Mutter Birgit erzählt.„Wir haben pausenlos überlegt, wie wir unserem Kind helfen können, wie wir sie motivieren und anspornen können.“ Sie wussten, ihre Tochter ist eine Kämpferin, gibt nicht auf. Eine Einstellung, die sich auszahlte. Ganz langsam stellten sich erste Erfolge ein. Die intensive Therapie war auch mit Hilfe der Spenden von vielen Seiten möglich.
Zunächst kam der Rollstuhl, den Bernie bald lernte, allein zu fahren. Heute braucht Bernadette gerade noch einen Vierpunktstock. Aber Bruder Christopher ist sich sicher, „der wird noch in die Ecke gestellt“. Die Gewissheit, nie allein zu sein, ließ Bernadette mutig nach vorn schauen. Alle waren sie da: die Eltern, die Familie, die Freunde. Ilona Wulff-Lübbert gab ihr im Schauspiel über die heilige Hemma eine Rolle, in der sich Bernadette quasi selbst spielt. Eine junge Frau, die ihre Gehhilfen einfach wegwirft und beherzt ihr neu gewonnenes Leben in die Hand nimmt.


Gemeinsam Musical spielen
Am vergangenen Wochenende gab Bernadette schon einmal eine kleine Probe ihres eisernen Willens ab. Ohne Stock, locker untergehakt bei den Eltern, spazierte sie in Villach langsam hinauf auf den oberen Kirchplatz. Denn hier steht der Weihnachtsbaum, den die Eltern der Stadt gespendet haben, und den wollte sie unbedingt in vollem Schmuck sehen.
Ein kleines Wunder! Heute geht Bernadette längst wieder in die Schule. Sie macht Pläne. Die Matura zählt dazu. Aber jetzt steht erst einmal die Premiere des Musicals auf ihrem Programm. Und die Geschichte beinhaltet auch ein kleines Weihnachtswunder. Ein hartherziger Geschäftsmann, der das Weihnachtsfest für Humbug hält, wird durch drei Geistervisionen zur Menschlichkeit bekehrt. Und das ist wohl das größte Vermächtnis der „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens: die Botschaft, dass Güte und Mitgefühl für die Mitmenschen zu den höchsten Gütern zählen. Nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über.


Für Bernie hat die Mitwirkung an diesem Musical eine ganz besondere Bedeutung. Denn die Jugendliche, die in dem Stück eine sehr beherzt agierende Marktfrau spielt, hat neben einer großen Schar von Mitspielern auch ihre Eltern Birgit und Roland sowie Bruder Christopher an ihrer Seite. Die schwere Zeit hat die Familie zusammengeschweißt, aber auch Prioritäten gesetzt. Und das heißt jetzt auch: gemeinsam Musical spielen.

„Es war einmal im Dezember ...“
Weihnachtsmusical von Werner Wulz frei nach Charles Dickens Weihnachtsgeschichte.
Sonntag, 8. Dezember, 18.30 Uhr, Casineum Velden.
Karten: Tel. 0463/5877-2431 oder 0676/8772-2436