Fronleichnam - ein Fest für unsere Zeit?
Jan-Heiner Tück zum Fronleichnamsfest, dessen theologischen Impulsen und die Schwierigkeit der liturgischen Form
Der Wiener Theologe zum Fronleichnamsfest, dessen hochaktuellen theologischen Impulsen und die Schwierigkeit, sie in der überkommenen liturgischen Form zu verstehen

Der „Leichnam“ im Namen des Festes klingt nicht zukunftsweisend ... Wovon lebt dieses Fest in unserer Zeit?
Tück: Die deutsche Bezeichnung „Fronleichnam“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen: „Fron“ bedeutet „Herr“ und „lichnam“ meint, anders als die heutige Assoziation, den lebendigen Leib. Lateinisch ist es das Fest „Corpus Christi“: Es ist im 13. Jahrhundert aufgekommen, zunächst in frommen Frauenkreisen, die eine gesteigerte Verehrung der Realpräsenz vorangetrieben haben. Den Anlass hat eine Vision der hl. Juliana von Lüttich gegeben, die in einer Vision den Mond gesehen hat, der eine Bruchstelle aufwies. Auf die Frage, was dieses Zeichen bedeute, hat ihr Christus geantwortet: Die Bruchstelle verweist auf ein Fest, das im liturgischen Festkalender noch fehlt; ein Fest, das anders als am Gründonnerstag, wo das Letzte Abendmahl und die Passion im Zentrum stehen, die dankbare Freude über die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie zum Ausdruck bringen soll. Papst Urban IV. hat das Fest 1264 für die lateinische Westkirche vorgeschrieben.
Es gibt Orden, die aus einer Not heraus entstanden sind und sich nach deren Ende erübrigt haben. Ist Fronleichnam ein Fest, das in diesem Sinn seine Aufgabe erfüllt hat?
Tück: Die Botschaft für den modernen Menschen ist vor allem: Im Zeichen der Brotes schenkt Christus seine verborgene Gegenwart, und das Volk der Gläubigen zieht, versammelt um diese verborgene Gegenwart, durch die Straßen. Das macht deutlich: Christus, der hier verborgen da ist, ist derjenige, der mit uns unterwegs ist. Kirche
ist eine dynamische Größe, sie ist geschichtlich unterwegs und bedarf immer wieder des „viaticums“, des geistlichen Proviantes – in beiden Wörtern steckt das lateinische „via“ – „Weg“. Durch die eucharistische Speise werden wir hineingenommen in die Lebenswirklichkeit Christi, zugleich ist sie Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit. Wichtig scheint mir auch: Papst Urban hat in der Bulle, die das Fest verkündet, zwei Anliegen genannt. Das erste: die Freude und Dankbarkeit, diese Gabe empfangen zu dürfen, neu bewusst zu machen. Dann: Bestreitungen der Realpräsenz abzuwehren, denn damals gab es Bewegungen, die gesagt haben: Das Brot ist nur ein Symbol, das ist nicht Christus. Gegen diese spiritualistische Verflachung sollte gesagt werden: Nein, Christus selbst schenkt sich in den Zeichen von Brot und Wein, er ist real da, und wir, die Zerstreuten, lassen uns um seine Gegenwart sammeln. Darin liegt auch ein Anstoß für unsere schnelllebige Gegenwart. Dieser Einbruch des Ewigen in die Zeit, vermittelt durch Zeichen, das ist die Pointe.
Das zweite Vatikanum hat sehr stark den Gedanken des Volkes Gottes und der communio, der Mahlgemeinschaft, betont. Leistet Fronleichnam in seiner derzeitigen Form nicht eher der Schaufrömmigkeit Vortrieb?
Tück: Sie sprechen eine wichtige Veränderung im Eucharistieverständnis an: Im Mittelalter gab es eine große Ehrfurcht, den Leib des Herrn würdig zu empfangen. Was oft dazu führte, dass man die Kommunion durch die Schau der konsekrierten Hostie ersetzt hat. Man hat gerade den Augenblick der eucharistischen Wandlung als Augenblick des Einbruchs des Ewigen in die Zeit verstanden, darauf fokussierte sich alles. Von damals stammen auch das Läuten der Glocken zur Wandlung, die Kniebeuge und ähnliches, um diesen feierlichen Augenblick besonders hervorzuheben. Dabei wurde der Mahlgedanke in den Hintergrund geschoben. Durch Pius X., die liturgische Erneuerung und schließlich die Liturgiekonstitution des II. Vatikanums wurde dieser Communio- und Mahlgedanke wieder neu betont.
Fronleichnam: ein Fest, das die dankbare Freude über die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie zum Ausdruck bringen soll.
Das ist wichtig. Aber ich glaube, dass heute, wo die Kommunion selbstverständlich geworden ist, eine Neubesinnung nötig ist. Oft ist uns nicht wirklich bewusst, was wir tun, wenn wir kommunizieren, hier kann der Gedanke von Fronleichnam auch zu einer Gewissenserforschung werden: Ist uns eigentlich bewusst, dass wir in der Eucharistie Christus selbst empfangen? Und dass dieser Empfang der gewandelten Gaben zu einer Gabe der Wandlung für uns führen soll, so dass wir selbst die Botschaft Christi weiter in die Welt tragen? Ich glaube, dass das Sensorium für die Realpräsenz Christi in den Gaben von Brot und Wein etwas ist, was wir neu zu entdecken haben, ohne dass wir in eine verfehlte Schaufrömmigkeit zurückfallen sollten.
Das heißt: Das Fest an sich ist hochaktuell, aber das Verständnis und die Zeichen des Festes verlangen nach einer Schärfung?
Tück: Das mittelalterliche Eucharistieverständnis wird oft kritisiert, es habe eine Engführung auf die Hostie vorgenommen und den Mahl- und Gemeinschaftscharakter verdunkelt. Wenn man sich jetzt die Hymnen des Thomas von Aquin anschaut, der ja für Papst Urban die liturgische Partitur des Fronleichnamsfestes komponiert hat, muss man feststellen, dass dieser Vorwurf nicht ganz zutreffend ist. Ich denke vor allem an den Hymnus „Gottheit tief verborgen“, wie er in der deutschen Übersetzung im Gotteslob heißt. Thomas hat alle Motive, die für die Eucharistie relevant sind, zusammengeführt: sowohl Mahl und Gemeinschaft wie das Mysterium der Wandlung, die Realpräsenz und – das ist eine Besonderheit bei Thomas – die eschatologische Ausrichtung: dass die eucharistische Speise eine Art geistlicher Proviant ist, das uns hilft auf dem Weg durch das Leben und den Kompass auf das Reich Gottes hin ausrichtet. Mit den Kirchenvätern gesagt: Die Eucharistie ist das Pharmakon – das Heilmittel – der Unsterblichkeit. Keine Biowissenschaft kann das ewige Leben produzieren, das uns in der Gestalt des gewandelten Brotes anfanghaft bereits geschenkt wird.
Fronleichnam, Fest der Freude über die Gegenwart Christi in Brot und Wein: Wie können wir das angemessen feiern?
Tück: Ein Philosoph hat gesagt: Danken heißt, den Geber in der Gabe anerkennen. Das ist die Haltung, die die Hymnen des Thomas von Aquin hervorrufen. In „Gottheit tief verborgen“ kommt sogar Thomas, der Zweifler, vor. Wie Thomas den anderen Aposteln nicht geglaubt hat, dass Jesus auferstanden ist, so kann es auch vorkommen, dass jemand Zweifel an der eucharistischen Realpräsenz hat. Deshalb bittet er im Hymnus darum, dass sein Glaube tiefer werde, fester die Hoffnung und treuer die Liebe. Thomas war nicht nur ein gelehrter Theologe, sondern auch ein kontemplativer Beter, der jeden Tag die Messe gefeiert und die Schrift betrachtet hat. In den Hymnen, die eine poetische Verdichtung seiner Eucharistietheologie bieten, wird diese andere Seite des Meisters der Scholastik deutlich, seine Spiritualität. Die Prozessionen, die sich später herausgebildet haben, haben die Funktion, die Hostie in der Monstranz öffentlich zur Schau zu stellen. Man wollte anzeigen: Hier ist Christus, der verborgene Mittelpunkt der Gesellschaft. Wir sind mit ihm unterwegs und hoffen, das Ziel auch erreichen zu können.
Wie könnte man diesen Gedanken heute entfalten?
Tück: Der Prozessionsgedanke mag heute etwas verblasst sein, aber Fronleichnam bietet einen produktiven Anstoß, neu über Eucharistie nachzudenken: Über das gemeinsame Mahl hinaus hat sie eine Tiefendimension, die zurückgeht auf die Selbsthingabe Christi am Kreuz; sie hat eine Gegenwartsdimension, indem sie uns Kraft für unseren Weg gibt; und sie hat eine Zukunftsdimension, insofern sie Vorausgeschmack der kommenden Herrlichkeit ist.
Zur Person:
Jan-Heiner Tück, geb. 1967, studierte Katholische Theologie und Germanistik. Er promovierte bei Peter Hünermann in Tübingen, 2007 habilitierte er sich in Freiburg/Breisgau. Seit 2010 steht Tück dem Institut für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien vor. Er ist Schriftleiter der Zeitschrift „Communio“. Tück ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
Buchtipp:
Jan-Heiner Tück, Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin.
Herder (2014), 496 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, € 39,10.