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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Frieden kommt nicht von allein

Die Pfarre von P. Moses im zentralafrikanischen Bangui liegt im Kampfgebiet zwischen dem muslimischen und dem christlichen Viertel. Über Seelsorge in Krisenzeiten.

Fotos: Maria Biedrawa und Georg Haab; Montage: Haab
P. Moses Otii Alir vor der Pfarrkirche Unserer Lieben Frau von Fatima in Bangui/Zentralafrika

Sie waren bis 2021 in Bangui, der Hauptstadt Zentralafrikas, tätig?
P. Moses: 2012 bin ich als Diakon nach Bangui gekommen und dann als Kaplan dort geblieben. Mit dem Pfarrer und einem älteren Mitbruder waren wir zu dritt. Das Gelände der Pfarre ist etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Wir haben sonntags drei hl. Messen gefeiert, normalerweise im Freien, denn die Kirche fasst nur 1.000 Menschen.

Welche politische Situation haben Sie damals vorgefunden?
P. Moses: Zentralafrika ist reich an Bodenschätzen. Das macht das Land für ausländische Kräfte interessant, natürlich auch für die alte Kolonialmacht Frankreich. Im März 2013 stürzte eine Rebellenallianz den Präsidenten. Muslime, die mit den Rebellen aus dem benachbarten Tschad gekommen sind, haben das Land mit Gewalt überzogen und ausgeraubt. Ein weiteres Problem war: Einfache Menschen ohne Ausbildung kamen so an die Macht. Sie wussten nicht, wie man ein Land regieren oder Ordnung bringen kann.

Welche Folgen hatte das?
P. Moses: Man hat Konflikte sehr schnell mit Gewalt gelöst. Es wurden Menschen umgebracht, es war wie in einer Anarchie. Bis 2013 sind Christen und Moslems gut miteinander ausgekommen, Jugendliche beider Religionen kamen zu uns. Dann aber nutzten Politiker die Religion, um ihre Ziele zu erreichen.

Wie hat sich die Situation weiterentwickelt?
P. Moses: Die Gewalt nahm zu. Im Dezember 2013 verloren viele Menschen ihre Häuser, Flüchtlinge kamen, 6.000 waren auf unserem Gelände. Rundherum haben Häuser gebrannt, es wurde geschossen. Anfangs waren auch Muslime dabei, dann bekamen sie Angst, weil viele sagten, dass die Muslime für die Lage verantwortlich seien.

Auch mit Blick auf die Ukraine: Wie ist das, sich in so einer Situation wiederzufinden?
P. Moses: Ich habe Philosophie und Theologie studiert und nicht gedacht, dass ich einmal Frauen bei der Geburt helfen muss. Aber wenn Not im Land ist ... Wir haben gewartet und gehofft, dass es irgendwie irgendwann vorbeigeht. Anfangs dachten wir, dass nach zwei, drei Wochen alle wieder nach Hause können, es gab immer wieder Grund zur Hoffnung. Trotz der internationalen Truppen kam leider nichts heraus, es wurden Jahre.
Es war schwierig, Essen für alle zu finden. Durch Hilfsorganisationen und mit finanzieller Unterstützung unseres Ordens konnten wir immer wieder Nahrungsmittel kaufen. Sie haben uns auch geholfen, Toiletten zu errichten, unser kleines medizinisches Zentrum auszubauen, einen getrennten Bereich für die Frauen. Und es gab immer wieder Freiwillige, Medizinstudenten, die geholfen haben.

6.000 Menschen auf engem Raum ohne entsprechende Infrastruktur – das allein ist ja schon ein Pulverfass, dazu noch die Gewalt rundherum ...
P. Moses: Menschen, die alles verloren haben, haben nichts mehr zu verlieren, und die Versuchung, in Rachegedanken zu verfallen, ist groß. Mit den Studenten haben wir begonnen, regelmäßig Runden zu gehen und mit ihnen zu sprechen, damit sie zu Wort kommen konnten. Sie waren traumatisiert und wussten nicht weiter. Am Anfang war das nicht leicht, manche haben auch ihre ganze Wut herausgelassen. Aber die Gespräche haben ihnen gutgetan.

Wie konnten Sie und Ihre jungen Helfer damit umgehen?
P. Moses: Wir haben immer wieder Zeit zum Gebet gefunden, aber die jungen Leute selbst sind auch immer wieder mit neuen Ideen gekommen. Einer hat ein Drehbuch zu schreiben begonnen für einen Film, „La Colombe“, die Taube. Es geht dabei um zwei Jungen, einer Christ, einer Moslem. Sie sind sehr gute Freunde, gehen gemeinsam zur Schule. Dann kommt die Krise, und sie können nicht mehr miteinander reden. Der Film zeigt, wie Menschen da manipuliert werden. Am Ende gibt es eine Versöhnung. Wir haben zu filmen begonnen mit den Mitteln, die wir hatten. Das war eine sehr schöne, kreative Beschäftigung mitten im Krieg. Mit Castings, mit Unterbrechungen wegen Schusswechseln, bei denen wir 30 Minuten am Boden lagen, um dann weiterzumachen.

Solche Gewaltausbrüche gab es immer wieder?
P. Moses: Immer wieder, und immer wieder mussten wir von vorne beginnen. Im März 2014 gab es während eines Totengebets einen Überfall, 27 Menschen kamen ums Leben. Zwei Monate später gab es wieder einen Überfall mit vielen Toten. Solche Anschläge gab es immer wieder, vor allem 2015 war ein schlimmes Jahr; nach einer Attacke konnten wir die Pfarre einen ganzen Monat lang nicht verlassen. Wir haben trotzdem versucht, stark zu bleiben und weiterzumachen. Die jungen Menschen z. B. haben den Film zu Ende gebracht. Wir schauen ihn jetzt mit Flüchtlingen an, diskutieren mit ihnen darüber: Das ist Friedensarbeit.

Welche positiven Impulse haben Ihre Friedensarbeit unterstützt?
P. Moses: Ganz wesentlich war der Besuch von Papst Franziskus in Afrika Ende 2015. Man wollte erst nicht, dass er kommt und schob Sicherheitsbedenken vor. Papst Franziskus kam trotzdem, er eröffnete von Bangui aus das Jahr der Barmherzigkeit. In unsere Pfarre durfte er aus Sicherheitsgründen tatsächlich nicht kommen. Aber er besuchte die muslimische Gemeinde, wo es Menschen gab, die wie unsere Flüchtlinge schon lange eingeschlossen waren. Er verließ die Moschee über eine Straße, die seit Jahren versperrt gewesen war. Die Menschen gingen ihm einfach nach. Seitdem ist diese Straße wieder offen. Sie sind ihm gefolgt bis ins Fußballstadion – die Moslems! – und sind während der hl. Messe dort geblieben.

Von da an ging es aufwärts?
P. Moses: Es folgte eine relativ friedliche Zeit, in der Pfarre kam wieder Leben auf. 2017 bin ich Pfarrer geworden. Am 1. Mai 2018 feierten wir eine hl. Messe mit Mitgliedern der Josefsgemeinschaften der ganzen Stadt, ungefähr 3.000 Menschen, 25 Priester. Bei der Gabenbereitung hörten wir Schüsse, Handgranaten flogen. Der ältere Priester, der mir riet, die Messe zu Ende zu feiern, wurde von einer Kugel getroffen und starb. Deshalb läutete ich nicht mehr die Glocken, um keine Versammlung von Menschen in Gefahr zu bringen. Aber am nächsten Tag zur Zeit der Messe waren wieder so viele Menschen da. Auch das Datum von Firmung und Erstkommunion wollte ich verschieben oder in eine andere Pfarre verlegen. Aber ein 12-jähriges Mädchen sagte zu mir unter dem Applaus hunderter Jugendlicher: Wenn ich schon sterben muss, dann lieber getauft und gefirmt.

Das hat die Kraft gegeben weiterzumachen?
P. Moses: Damals haben wir von einem Zentrum für junge Menschen zu träumen begonnen, wo sie etwas lernen können, um Geld zu verdienen, in dem man Filme macht, mit einer Bücherei, in der Menschen aus beiden Vierteln am Abend gemeinsam studieren können, weil es Elektrizität gibt und Licht ... Wir haben angefangen, Geld zu suchen. Bald hatten wir genug für einen ersten Stock. Dann begannen die Menschen in der Pfarre selbst zu sammeln, und schließlich kamen noch zwei weitere Stockwerke dazu: Hier ist nun ein Zentrum für Trauma- und Friedensarbeit.

Interview: Georg Haab

Zur Person: P. Moses Otii Alir MCCJ, geb. 1979 in Uganda, Comboni-Missionar. 2006-2011 Studium in Innsbruck. Kam Anfang 2012 als Diakon in die Pfarre „Unsere Liebe Frau von Fatima“ am Rand von Bangui, der Hauptstadt Zentralafrikas; Priesterweihe am 4. Mai 2013, 2017-2021 Pfarrer der Gemeinde. Lebt jetzt in der Niederlassung des Ordens in Graz-Messendorf.
Zentralafrika ist reich an tropischen Regenwäldern, einer Vielzahl von mineralischen Bodenschätzen und natürlicher Schönheit, aber seit dem Ende der Kolonialzeit politisch instabil. 2,5 Mio. der ca. 6 Mio. Einwohner leben in Bangui.