Freistetter: “Eine Krise beinhaltet immer auch eine Chance”
Der Apostolische Administrator Bischof Werner Freistetter im SONNTAG-Gespräch

Herr Bischof, Sie sind seit zwei Monaten Apostolischer Administrator. Den August haben Sie für intensive Gespräche genutzt. Wie ist Ihr Eindruck von Kärnten?
Bischof Freistetter: Mein Bild von der Kirche in Kärnten ist sehr positiv. In den Gesprächen habe ich gespürt, dass vielen Menschen die Kirche und der Glaube ein großes Anliegen sind. Ich habe schon das Gefühl, dass ein neuer Bischof hier gut anknüpfen und etwas Neues aufbauen kann. Auch wenn es zweifellos eine Krise gibt – eine Vertrauenskrise in die kirchliche Autorität.
Eine Diözese im „Ausnahmezustand“ haben Sie also nicht vorgefunden?
Bischof Freistetter: Das habe ich nicht wahrgenommen. Es gibt Verunsicherung, Enttäuschung und teilweise auch Verbitterung, weil man sich eine raschere Klärung mancher Vorgänge gewünscht hätte. Man hat oft auch eine Taktik des Totschweigens und Aussitzens vermutet. Das hat das Klima hier sehr stark eingefärbt.
Wie erklären Sie sich die Ungeduld vieler Kärntner?
Bischof Freistetter: Es wurde die Erwartung geweckt, dass nach den Berichten eine sofortige Reaktion erfolgt. Ich meine aber, es ist wichtig, die Kirche in ihrer Gesamtheit zu sehen. Dass das nicht so rasch geht, hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Mir ist wichtig festzuhalten, dass eine Instanz, die etwas erhebt, nicht auch das Urteil fällen soll. Das ist ein wichtiger Grundsatz in einem Rechtsstaat. Bei uns ist es der Heilige Stuhl, der das letzte Wort hat und Vorgänge bewertet. Ich denke, dass man gerade Papst Franziskus vertrauen kann, dass er sich die Dinge genau anschaut und ernsthaft beurteilt.
Glauben Sie, dass mit einem Spruch aus Rom – wie immer er ausfällt – sich die Situation in Kärnten beruhigt?
Bischof Freistetter: Das glaube ich nicht, denn die ganzen Vorgänge sind emotional sehr tief in die Menschen eingedrungen, haben sie sehr beschäftigt. Manche sind aufgeregt, erzürnt, enttäuscht. Wobei ich Begriffe wie „Urteil“ oder „Spruch“ vermeiden möchte. Es handelt sich ja nicht um ein Gerichtsverfahren.
Was könnte dann beruhigen? Was würden Sie einem neuen Bischof empfehlen?
Bischof Freistetter: Ein neuer Bischof müsste die Situation zunächst in ihrer gesamten Widersprüchlichkeit sehr unvoreingenommen wahrnehmen und mit den Menschen das Gespräch suchen. Oft kann ein offenes Gespräch schon viel bewirken. Wir kennen das ja alle: Wenn wir in Krisen oder Schwierigkeiten stecken, ist es wichtig, dass jemand da ist, der zuhört. Das kann schon helfen.
Reichen Vier-Augen-Gespräche wirklich aus?
Bischof Freistetter: Das müsste sicher weiter gehen im Sinne eines gesamtdiözesanen Gesprächsprozesses. Dabei geht es nicht darum, schuldig oder frei zu sprechen. Ein Ausgangspunkt sollte sein, dass wir einfach fehlbare Menschen sind. Vielleicht könnte man auch einen Blick in die Heilige Schrift werfen, wie da mit Konflikten umgegangen wird. Das wäre sicher ein guter Leitfaden.
Aber kann ein Gesprächsprozess ohne eine entsprechende Aufarbeitung gelingen?
Bischof Freistetter: Ich frage mich, worin so eine Aufarbeitung bestehen soll? Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind sehr unterschiedlicher Meinung. Die einen sind schon mit einer Erklärung von Bischof Schwarz zufrieden. Anderen wäre das zu wenig. Ich zweifle, dass alles vollkommen aufgeklärt werden kann. Es sollten die schwierigen Punkte in einer guten Weise benannt und aufgearbeitet werden. Nicht umsonst wird uns in der Heiligen Schrift immer wieder die Bereitschaft zum Verzeihen und zur Versöhnung empfohlen.
Erwarten sich nicht viele vor einer Versöhnung ein Schuldbekenntnis?
Bischof Freistetter: Das ist schon richtig. Aber ein Schuldbekenntnis müssen wir doch alle sprechen. Ich meine natürlich nicht, dass etwas verschleiert werden soll. Aber moralische Urteile sind oft zu schnell gefällt. Manche Dinge sind nicht so klar, wie sie vielleicht auf den ersten Blick scheinen. Ich möchte die Schwierigkeit dieser Fragen nicht relativieren, warne aber davor, die Dinge zu leicht zu nehmen und zu rasch ein Urteil zu fällen. Auch wenn ich weiß, dass viele ungeduldig sind.
Welche Chancen sehen Sie in einem Gesprächsprozess?
Bischof Freistetter: Eine Krise beinhaltet immer auch eine Chance. Die Krisen des Volkes Gottes haben immer wieder zu einem Neuaufbruch geführt. Wir sehen in dieser Krise mit all ihren schmerzlichen Aspekten immer nur eine Spirale abwärts. Wenn man sich aber an der Heiligen Schrift orientiert, ist es die Chance, sich grundlegende Fragen zum Umgang miteinander zu stellen – wie wir als Christen, Priester und Bischöfe unser Leben führen. Daraus Kraft zu finden für einen Neuanfang wäre die Chance.
Kann die Kirche insgesamt aus der Kärntner Krise etwas lernen?
Bischof Freistetter: Es wurden in den Gesprächen immer wieder Punkte aufgezählt, die der gesamten Kirche heute Probleme bereiten. Insofern sind für mich Begriffe wie „Causa Schwarz“ und „Fall Kärnten“ inhaltsleere Floskeln. Die Gesellschaft stellt heute ganz besondere Anforderungen an unsere Glaubwürdigkeit. Wir brauchen daher eine Form des Handelns, der Auseinandersetzung in der Kirche, der Verwaltung und der Dienstleistung, die klar machen, dass wir den Auftrag Jesu erfüllen. Vor diesem Hintergrund hat die Kärntner Kirche eine große Chance. Ich stelle mir vor, dass daraus eine Beispielwirkung für die Kirche in ganz Österreich entstehen kann.
Sie haben in vielen Pfarren Messen gefeiert. Wie war die Begegnung dort?
Bischof Freistetter: Ich habe hier eine Liebe der Menschen zu ihrer Kirche festgestellt, wie ich es kaum wo gesehen habe. Die Leute kümmern sich um ihre Kirche, die Bildstöcke oder andere kirchliche Denkmäler in einer ganz besonderen Weise. Sie versuchen auch, ihre Tradition und ihr Brauchtum am Leben zu erhalten und immer wieder zu erneuern. Die Kirche in Kärnten darf stolz sein auf ihre lange Tradition und Geschichte. Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich am Grab der heiligen Hemma gebetet. Hier wird Glaube gelebt und gepflegt – das ist ein Geschenk und ein großer Schatz.
Man hört aus den Pfarren den Wunsch, Sie sollten gleich in Kärnten bleiben. Könnten Sie sich vorstellen, hier Bischof zu sein?
Bischof Freistetter: Mir wurde gesagt, dass ich nur für eine bestimmte Zeit hier bin. In der Militärdiözese stehen wir vor großen Herausforderungen und vieles wird neu strukturiert. In diesen Prozessen stecke ich natürlich mitten drin. Ich habe aber die Diözese Gurk in meinen Begegnungen mit den Menschen als wirklich kraftvoll erlebt. Ein neuer Bischof wird hier eine sicher herausfordernde, aber schöne Aufgabe haben.