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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Frauen müssen wählen können

SONNTAG-Interview mit der nicaraguanischen Schriftstellerin und Lyrikerin Giaconda Belli

Gioconda Belli und die Schauspielerin Brigitte Karner bei der Lesung in Klagenfurt (Foto Karner)
Gioconda Belli und die Schauspielerin Brigitte Karner bei der Lesung in Klagenfurt (Foto Karner)

Ihre Lesung hier in Klagenfurt stand unter dem Motto „100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich“. In diesen 100 Jahren wurde viel erreicht. Wird es die volle Gleichberechtigung von Frau und Mann je geben – und was ist aus heutiger Sicht das größte Hindernis dafür?
Belli: Das größte Hindernis ist für mich die Rolle der Frau als Mutter, wie sie heute noch immer gelebt wird. Das Erziehen der Kinder, ihre Begleitung ins Leben, gilt noch immer ausschließlich als Aufgabe der Frauen. Sogar in den entwickelten Ländern fällt mehr als drei Viertel der Erziehungsarbeit auf die Mutter. Das ist so selbstverständlich, dass die ganze Gesellschaft daraufhin ausgerichtet ist. Daher haben derzeit Frauen in Wahrheit keine Wahlmöglichkeit.
Was müsste geschehen, damit sich das ändert?
Belli: Die Verteilung der Arbeit und die Organisation der Familie müssten sich massiv verändern. Denn es ist für Frauen furchtbar, wenn sie sich entscheiden müssen, ob sie Kinder haben oder sich beruflich weiterentwickeln wollen. In den Industriestaaten führt das dazu, dass die meisten Frauen sich gegen die Kinder entscheiden. Schauen Sie sich doch Ihre demografische Entwicklung an! Österreich, Deutschland,  ganz Europa, wird immer älter. Die jungen Menschen gehen Ihnen schon dramatisch ab. Das alles ist kein Naturgesetz, sondern von einer Gesellschaft gemacht, die Frauen keine wirkliche Freiheit lässt.

Glauben Sie wirklich, dass es alleine an der gesellschaftlichen Rollenverteilung liegt?
Belli: Das ist erwiesen. Dort, wo Frauen die Familienarbeit abgenommen wird – sei es durch ihre Männer oder die Gesellschaft –, beobachten wir diesen Effekt nicht. Im Hinblick auf die volle Gleichberechtigung, aber auch für die gesamte Gesellschaft wäre das ein wichtiger Schritt. Denn wie soll es eine gute Zukunft geben, wenn es keine Jugend mehr gibt? Hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel zu viel versäumt.

Sie kritisieren auch, dass in Politik und Wirtschaft zu wenige Frauen den Aufstieg schaffen. Sind Sie für Quotenregelungen?
Belli: Es braucht keine Quote, sondern entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Es sollte für Frauen leichter werden, Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik zu erreichen. Die Macht liegt ja immer noch in den Händen von Männern. Selbst wo dies nicht unmittelbar der Fall ist, werden die Regeln der Macht von Männern bestimmt.

Wie beurteilen Sie diesbezüglich die internationale Entwicklung?
Belli: Sehr besorgniserregend.Es kommen immer mehr Populisten an die Macht, die ständig davon reden, dass die Werte der Familie bewahrt werden müssen. In Wirklichkeit wollen sie keinerlei Veränderungen. Dabei übersehen sie aber, dass es diese alte Familienstruktur längst nicht mehr gibt. So verspielt man seine Zukunft, überdeckt dies aber mit einer sehr populistischen Sprache. Leider geht das Hand in Hand mit einer menschenverachtenden Politik, die sich gegen bestimmte Gruppen wendet. Wir erleben das auch in Nicaragua sehr schmerzhaft.

Wie ist die aktuelle Situation in Nicaragua?
Belli: Präsident Daniel Ortega hat sich zu einem populistischen Diktator gewandelt. Er wirbt noch immer mit dem Image des sandinistischen Revolutionärs, benimmt sich in Wirklichkeit aber wie ein faschistischer Machthaber. Er hat sogar eine eigene Miliz gegründet, die auf demonstrierende Studenten schießt. In den letzten zwei Monaten wurden mehr als 150 Menschen von den Truppen Ortegas ermordet.

Wie ist die Haltung der Kirche in diesem Konflikt?
Belli: Zunächst hat die Kirche Ortega unterstützt, weil er ihr viele Zugeständnisse gemacht hat. Aber jetzt haben sich die Bischöfe distanziert und helfen den demonstrierenden Studenten. So etwa sorgt der Weihbischof von Managua, Silvio Jose Baez, in seinem Internet-Blog, dafür, dass die Gräueltaten der Regierung international bekannt werden. Die Kirche öffnet auch ihre Pforten, um den Studenten Kirchenasyl zu gewähren. Die Kirche hat auch angeboten, einen Dialog zwischen der Opposition und der Regierung zu moderieren. Zunächst hat Ortega der Kirche noch mit seinen paramilitärischen Gruppen gedroht. In der Zwischenzeit musste er das Dialogangebot akzeptieren. Ich hoffe sehr, dass ein Neuanfang in Nicaragua möglich ist. Die Menschen sind aber noch sehr skeptisch.

Wie reagieren die Menschen in Nicaragua auf die Regierungsgewalt?
Belli: Sie haben im Gegensatz zu uns in den 70er-Jahren keine Waffen. Aber der zivile Ungehorsam hat einiges erreicht. Die Kleinbauern haben Straßen mit Traktoren blockiert. Man kann diese Regierung nur mit solchen Mitteln in die Knie zwingen. Es gab einen Protestmarsch der Mütter der ermordeten Jugendlichen. Mit ihnen waren Hunderttausende auf der Straße. Und was tat die Regierung? Sie ließ Scharfschützen auf die Marschierenden schießen. Das ist für uns ein Horror, weil wir mit Ortega gemeinsam für die Freiheit des Landes gekämpft haben.

Die weltweite mediale Resonanz auf diese Lage ist bislang sehr schwach …
Belli: Deshalb erzähle ich in all meinen Lesungen über die Situation in Nicaragua und bin über jedes Interview sehr dankbar. Viele Journalisten in Europa denken beim Namen Daniel Ortega noch immer an den Sandinisten-Führer, der gegen die Diktatur gekämpft hat. Man will nicht wahrhaben, dass sich dieser Mensch so gewandelt hat und nun selbst als Diktator herrscht.

Sie gehen zurück nach Nicaragua. Haben Sie keine Angst?
Belli: In dieser Situation muss ich einfach den Menschen zu Hause beistehen. Ich hoffe sehr, dass die nun beginnenden Gespräche etwas bringen und dass es uns gemeinsam wieder gelingen wird, Nicaragua auf einen friedlichen Weg zu führen.