Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Erinnern und Vergessen

Demenz kennt keine Auszeit

Geschmückte Christbäume, der Duft nach süßen Keksen, alte Lieder. Für Menschen, die an Demenz erkrankt sind, hält die Weihnachtszeit oft kleine Wunder parat: So manche verloren geglaubte Erinnerung lässt sich durch die vertrauten Rituale wieder wecken. Ein Besuch in Österreichs erster zertifizierten, altersfreundlichen Gesundheitseinrichtung, dem Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt. von Katja Kogler

Ausgeschnittene Filzsterne, eine Bienenwachskerze, eingerollt in einem Weihnachtsgedicht, ein frischer Tannenzweig und fleißige Hände – Michaela Kohlmayr, Seniorenanimateurin am Department für Akutgeriatrie und Remobilisation im Elisabethinen-Krankenhaus in Klagenfurt, ist mit Bastelarbeiten vielbeschäftigt. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit herrscht hier eine besondere Stimmung. Hell, freundlich und vor allem bunt zeigt sich der Gemeinschaftsraum des Ordensspitals. Bunt vor allem deswegen, weil überall die von den älteren Menschen gefertigten kleinen Weihnachtsgeschenke zu sehen sind. Dreimal die Woche besucht die Beschäftigungstherapeutin die Station. Die Gruppengröße ist individuell und wird an die kognitiven Ressourcen und Erkrankungen der Patient:innen angepasst. Im interdisziplinären Team der Seniorenanimateurin und Ergotherapeuten wird gemeinsam gebastelt, gebacken und gesungen.

Aktiv gegen das Vergessen

Stets griffbereit rund um die Weihnachtszeit sind auch ein paar getrocknete Nüsse und frische Äpfel aus ihrem Garten. „Wenige, einfache Dinge sind oft ausreichend, um Erinnerungen zu wecken, was sich vor allem in der Sinnesarbeit zeigt“, erzählt Michaela Kohlmayr. Jede/r Patient:in, der/die an der Gruppenaktivität im interdisziplinären Team teilnimmt, leistet einen Beitrag und erfreut sich am Ende über die selbstgebastelten Sterne, die rund um Weihnachten anderen Patient:innen im Krankenhaus geschenkt werden. Seit Jahren werden handgefertigte Weihnachtsgeschenke für jene Patient:innen, die den Heiligen Abend im Elisabethinen-Krankenhaus verbringen müssen, hergestellt und durch Mitglieder des Pastoralrates ausgeteilt. Nach dem Motto: „Von Patienten – für Patienten“ trägt dieser Brauch zu einer weihnachtlichen Stimmung bei.

„Wie in alten Zeiten“

Es ist Freitag. Hier im Gemeinschaftsraum läuft im Hintergrund Musik. Vertraute Lieder, bekannte Klänge. Gerne greift Michaela Kohlmayr auch selbst zur Gitarre und stimmt mit den Senior:innen bekanntes Liedgut an. Oft können die Patient:innen noch viele Strophen von bekannten Liedern auswendig. Das schenkt ihnen ein Erfolgserlebnis und wirkt identitätsstiftend. Traditionell verankerte Erinnerung ist im Menschen gut abgespeichert und weckt positive Erinnerungen, weiß die Feldkirchner Seniorenanimateurin.

Emotionen – das Tor zur Welt

Im Elisabethinen-Krankenhaus werden Erkrankte trotz eines fortgeschrittenen demenziellen Verlaufes betreut. Departmentleiter Oberarzt Walter Müller stattet der Runde rund um Michaela Kohlmayr gerne mal einen Besuch ab. „Gerade eine Demenzerkrankung kann die Erinnerungen durcheinanderbringen oder sie ganz auslöschen. Eine neue Umgebung, fremde Menschen und unbekannte Abläufe im Krankenhausalltag stellen für Betroffene meist eine große Belastung dar. „Während aktuelle Bezüge und Erfahrungen bei den Patient:innen verloren gehen, lassen sich alte Erinnerungen, wie jene an die guten alten Zeiten, oft noch wachrufen“, sagt der Geriater.

„Die Gefühle bleiben. Das Herz wird nicht dement“, meint Michaela Kohlmayr. Neben den kognitiven Beeinträchtigungen zeigen Patient:innen auch häufig andere Symptome wie nächtliche Unruhe, aber auch herausforderndes Verhalten. Die Teams der Stationen sind speziell auf den Umgang mit den Betroffenen sowie deren Angehörigen geschult. Sowohl die akutgeriatrische, als auch die neuen internen Stationen des Elisabethinen-Krankenhauses erfüllen bereits die Vorgaben einer demenzsensiblen Gestaltung. „Ziel ist es, die Reizüberflutung im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Krankenhaus zu verringern und eine wohnliche Umgebung zu schaffen, um ein Wohlgefühl in den Patient:innen auszulösen“, weiß Prim. Hans Jörg Neumann, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin.

Gruppensinn stärkt Gemeinschaft

Am besten gelingt dies, wenn man die Patient:innen über die Gefühlswelt und Emotionen erreicht – etwa über vertraute Rituale. Auch das Teilhaben, Erleben, Mitempfinden und Sich-Erfreuen sind dabei von Bedeutung. Die Gruppenarbeit – zu jeder Zeit im Jahr – stärkt den Gemeinschaftssinn. Eine besondere Stimmung herrscht in der Weihnachtszeit, stellt Michaela Kohlmayr fest: Kekse genießen, Lieder singen, basteln, Sinnesarbeit durch Düfte und Klänge, Gespräche um die besondere Jahreszeit und vor allem um die gelebte Erinnerung an Damals.

Schatzkisten voller Erinnerungen

So wurden an den Stationen auch „Demenzschatzkisten“ eingeführt. Die Erinnerungskisten mit Utensilien wie Demenzpuppen und Greifzöpfe bieten ein großes Einsatzspektrum. Durch gezielte Bewegungen wie dem Öffnen und Schließen von Verschlüssen und Druckknöpfen, Binden von Maschen und Bändern werden motorische Fähigkeiten trainiert, geistige Anregung und Abwechslung geschaffen – und somit auch Erfolgserlebnisse erzielt. Die Pandemie hat bei älteren Menschen Spuren hinterlassen, stellt Michaela Kohlmayr fest. „Gerade sie haben in den vergangenen zweieinhalb Jahre ihre sozialen Kontakte massiv eingeschränkt, sind vereinsamt in ihren vier Wänden und tun sich nun schwer, wieder mit Menschen in Kontakt zu treten.“

Die gemeinsamen Aktivitäten im Elisabethinen-Krankenhaus sind oft eine erste Annäherung, Abwechslung und Freude zugleich und das nicht nur rund um das Fest der Liebe.

Information: Etwa 100.000 Österreicher:innen leiden an einer dementiellen Erkrankung. 2050 wird diese Zahl auf etwa 230.000 angestiegen sein – denn mit dem Alter steigt die Häufigkeit einer möglichen Erkrankung (Österreichische Alzheimergesellschaft, 2022).

Auszeichnung: Für die vielen medizinischen, pflegerischen und baulichen Maßnahmen für ältere Patient:innen wurde das Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt kürzlich österreichweit zur ersten altersfreundlichen Gesundheitseinrichtung ernannt. Verdient hat sich das Krankenhaus diese Zertifizierung durch seine jahrelangen Bemühungen um Innovationen.

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