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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ein Chor als Friedensprojekt für Bosnien-Herzegowina

Mit dem interreligiösen Chor "Pontanima" leistet P. Ivo Marković seinen eigenen Beitrag zum Frieden in der Region. Der Franziskaner über Bosnien, Musik und die Bedeutung der Religionen für den Frieden.

Foto: Samac
Foto: Samac

Wie ist die derzeitige Lage in Ihrer bosnischen Heimat?
Marković: Meine bosnische Heimat, der Staat Bosnien-Herzegowina, ist ein normaler Staat ähnlich wie Österreich oder andere europäische Staaten. Die Bürger aller Nationen und Religionen, die hier leben, leben normal, d. h. sie leben im Frieden, kommunizieren, handeln, viele Touristen kommen hierher, und sie haben keine Probleme. Was Bosnien-Herzegowina problematisch macht, ist die Politik. Nationale Parteien haben politische Macht, und systematisch drängen sie die Menschen in eine Umgebung der Angst, in ein Gefühl der Bedrohung. Das ist nach einem so schrecklichen Krieg und mit so schmerzlichen Erinnerungen ein gesellschaftliches Verbrechen. Für mich ist extrem peinlich, dass die Nationalisten im Wahlkampf die Religionen missbraucht haben. Das ist bei uns sehr leicht, weil die Nationen aus den Religionen entstanden sind. Ich finde, dass die Religionen, besonders meine katholische Kirche, mehr eine Rolle des moralischen Korrektivs in der bosnischen Gesellschaft ausführen und es nicht erlauben sollten, politisch missbraucht werden.

Welche Bedeutung hat die kürzliche Wahl für das Land?
Marković: Die nationalistischen Parteien haben leider Wähler gewonnen durch die Manipulation mit Angst und Bedrohung. Sie vermeiden die wirklichen Problemen, indem sie in Konflikte flüchten und so in der Gesellschaft Misstrauen schaffen. Sie kontrollieren Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtswesen, Justizministerium, Banken und Geldsystem. So ermöglichen sie eine sehr breite Korruption, wovon sie leben und was ihr gesellschaftliches Ziel ist. Die politische Situation hier ist wirklich katastrophal, die Menschen haben immer mehr den Eindruck, dass Bosnien-Herzegowina keine normale Gesellschaft werden kann. Langsam sie verlieren die Hoffnung und emigrieren in europäische Länder, wo sie sehr willkommen sind.

Der Hohe Repräsentant in Bosnien, Valentin Inzko, ist ja ein Kärntner. Haben Sie Kontakt zu ihm?
Marković: Ich kenne Valentin Inzko und treffe ihn manchmal. Ende September bin ich ihm während eines interreligiösen Treffens in Sarajevo begegnet, und später sollte ich bei ihm sitzen, aber ich sagte, dass das nicht gut wäre, weil ich provozieren würde. Auch wenn das scherzhaft gemeint war: Ich bin nicht zufrieden mit dem Einfluss der EU in Bosnien-Herzegowina. Wir in Bosnien fühlen, dass der Hohe Repräsentant gute Chancen hätte, mehr zu tun, um die politischen Probleme zu lösen und Bosnien-Herzegowina in die EU integrieren. Nach dem schrecklichem Krieg können wir unsere Probleme nicht allein lösen. Die EU-Repräsentanten sind dazu da, uns zu helfen, und ich bin sicher, dass sie ihre Aufgaben besser ausführen könnten. Aber das liegt nicht an Herrn
Inzko, sondern an der Uneinigkeit oder Unwirksamkeit der EU.

Der Pontanima-Chor ist ein Versöhnungsprojekt. Wie ist es entstanden?
Marković: Gleich nach der Dayton-Vereinbarung 1995 hat mich mein franziskanischer Provinzial aus dem Exil in Zagreb nach Sarajevo gesandt, um auf dem Boden franziskanischer Spiritualität einige Projekte der Versöhnung zu bewegen. Musik und Spiritualität waren immer mein Hobby, und ich war immer für Friedens- und interreligiöse Arbeit zu begeistern. So habe ich gefunden, dass ein Chor mit Mitgliedern aus allen Religionen, der eine Symphonie der abrahamitischen Religionen singt, die Menschen in Bosnien nach dem schrecklichen Krieg heilen und versöhnen möchte. Die Idee hat einen sehr fruchtbaren Boden nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch in Europa und in den Vereinigten Staaten gefunden.


Im Chor singen Menschen aus mehreren Religionen, sie singen Lieder aus mehreren Religionen. Wie bedeutet das, „Lieder der anderen“ zu singen?
Marković: Lieder aus anderen Religionen zu singen, ist sehr inspirativ. Andere Religionen sind ein Spiegel, in dem wir uns vergleichen und so besser sehen können. In anderen Religionen finden wir auch gute Modelle für die eigene Spiriualität. Schließlich kann es Teil unserer christlichen Sendung sein, Lieder der anderen Religionen zu singen: Es ist eine Inkulturation, die den Dialog ermöglicht, die ermöglicht, dass wir Christen die Gläubigen der anderen Religionen durch Jesus Christus umarmen. Wir Christen sollten den interreligiösen Dialog nicht nur auf einer diplomatischen Ebene realisieren, sondern auch auf der Ebene des Glaubens, auf der Ebene der religiösen Erfahrung.

Sie sagen: „Im Chor willkommen sind alle, die in ihrer eigenen Spiritualität zuhause sind, zugleich aber Engstirnigkeit vermeiden wollen.“ Können Sie das ein wenig ausführen?
Marković: Die Religionen sind Institutionen, die aus dem Leben des Glaubens entstanden sind. Der persönliche Glaube braucht die Gemeinde, und aus der Gemeinde entsteht die Institution. Aber da ist eine schreckliche Gegenseitigkeit: Je stärker die Institution ist, desto schwächer der Glaube. Die Religionen sind oft die großen ideologischen, geschlossenen Systeme, die den Glauben mehr oder weniger vergessen. Im Chor wollen wir uns einander auf der Ebene des lebendigen Glaubens und der Weltanschauung annehmen.

Sie sagen, „sich in dieser Weise gegenseitig zu bereichern, ist kein Synkretismus, sondern ein Dialog.“ Möchten Sie das ein wenig erläutern?
Marković: Im Chor Pontanima ist es extrem wichtig, dass die Glieder aus allen Religionen sich in ihrer Identität respektiert und aufgenommen fühlen. Nach 22 Jahren des Wirkens des Chores Pontanima, in denen mehr als 500 Menschen gesungen haben, sagen alle, dass sie in ihrem eigenen Glauben und ihrer Identität reicher geworden sind.

Welche Wirkung hat diese Art von Musik?
Marković: Die höchste Spiritualität der Religionen ist in der Musik repräsentiert. Wenn die Menschen der Symphonie dieser Lieder lauschen, ahnen sie, dass alle Religionen an einen Gott glauben, dass wir einander als Kinder Gottes viel näher und ähnlicher sind. Geistliche Musik heilt auch und öffnet Menschen für eine neue Zukunft.

Woher nehmen Sie Hoffnung und Zuversicht in einem Land, das von Krieg und Unrecht so zerstört ist?
Marković: Aus dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe. Aus der Gabe der Gnade Gottes; ich fühle mich einfach dazu gesendet, hier das zu tun, was ich tun kann.

Interview: Georg Haab

Veranstaltungstipp:

P. Ivo Marković und der Pontanima-Chor: Der Franziskanerpater und Friedenaktivist hat ein besonderes Friedensprojekt, den Pontanima-Chor, gegründet, in dem Mitglieder aller Religionen Bosniens eine Symphonie der Religionen singen, um durch Spiritualität und Kunst ehemalige Gegner zu versöhnen und Wunden zu heilen.
Im Rahmen des „Kritischen Oktober“ feiert P. Marković am Samstag, 10. November, 18 Uhr, und am Sonntag, 11. November, 10 Uhr, die Hl. Messe in Klagenfurt - Herz-Jesu (Welzenegg), der Pontanima-Chor gestaltet die Messen musikalisch.