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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Dramatische Lage der Christen in Syrien

Bibelwissenschaftler Hofrichter zur Situation im umkämpften Syrien

Bibelwissenschaftler Hofrichter zur Situation im umkämpften Syrien

Li.: Kämpfer der “Syrischen Befreiungsarmee“; re: Begräbnis dreier Männer, die beim Angriff auf die christliche Enklave Maloula nordöstlich von Damaskus ums Leben gekommen sind. (© Foto: KNA/Reuters/Nour Fourat und KNA/ReutersKhaled Al-Hariri)
Li.: Kämpfer der “Syrischen Befreiungsarmee“; re: Begräbnis dreier Männer, die beim Angriff auf die christliche Enklave Maloula nordöstlich von Damaskus ums Leben gekommen sind. (© Foto: KNA/Reuters/Nour Fourat und KNA/ReutersKhaled Al-Hariri)

Hofrichter, der das Land und die Menschen von zahlreichen Reisen und Forschungsaufenthalten kennt und liebgewonnen hat, spricht von Syrien als der „Wiege der Christenheit“. Es ist das Land, in dem viele Menschen noch die Muttersprache Jesu sprechen, Aramäisch – besonders in christlichen Enklaven, von denen wir erst jetzt durch ihre Auslöschung wieder hören. Syrien ist das Land, in dem christliche Selbstverständlichkeiten wie Glocken, „Hauskirche“ und auch die Kirchenmusik ihren Ursprung haben. Heute ist Syrien durch den Bürgerkrieg in aller Munde: ein Krieg, der gerne vereinfacht dargestellt wird als „Arabischer Frühling“, bei dem eine demokratisch gesinnte Opposition gegen einen diktatorischen Herrscher kämpft. 

Arabisch-demokratischer Frühling?

Weit gefehlt, erklärt Hofrichter. Auch die Erklärung, dass Russland und die USA sich einen Stellvertreterkrieg lieferten, greife zu kurz. Um diesen Bürgerkrieg mit über 100.000 Toten und Millionen Flüchtlingen zu verstehen, müsse man genauer hinschauen. Dann verstehe man auch, weshalb gerade die Christen in Syrien die Leidtragenden sind: Die Region um Homs sei heute praktisch christenfrei, die Kirchen zerstört. Nun fürchten sie, das gegenwärtige Regime, unter dem sie halbwegs leben konnten, werde durch einen islamistischen Staat abgelöst.

Gab es in Syrien 1920 noch 30 Prozent Christen, so waren es vor dem Bürgerkrieg noch gerade 10 Prozent, erklärt Hofrichter. Der jetzige syrische Staat entstand 1946, nachdem das Land vorher fast 30 Jahre unter französischem Mandat gestanden hatte. Damals wurde (von einem griechisch-orthodoxen Christen) die arabisch-nationalistische und überkonfessionelle Baath-Partei gegründet, die die Interessen der verschiedenen Religionen und Kulturen überbrücken und im Sozialismus zusammenführen wollte. 1963 übernahm die Baath-Partei mit einem Staatsstreich die Macht im Staat. Präsident wurde 1971 Hafiz el Assad, der Vater des jetzigen Amtsinhabers. 

Schwieriges Gleichgewicht

Es folgte eine Zeit relativer innerer Ruhe: Das Gleichgewicht der Interessen wurde zumindest annähernd gewahrt, Minderheiten wie die Christen hatten ein relativ gutes Auskommen. Versuche islamistischer Gruppen wie z. B. der Muslimbrüder wurden teilweise mit brutaler Gewalt unterdrückt. Durch die Bevölkerungsexplosion von fünf auf 21 Millionen Einwohner hat sich das Gleichgewicht mittlerweile stark zu den syrisch-arabischen Sunniten verschoben, die heute fast drei Viertel der Bevölkerung stellen. Würde man heute demokratische Wahlen durchführen, so kämen die islamistisch dominierten Sunniten an die Macht, was der Abschaffung der Demokratie gleichkäme.

Die Sunniten werden von ihren Glaubensbrüdern in Saudi-Arabien und der Türkei stark unterstützt. Über diese Länder haben sie auch gewisse Verbindungen zu den USA, zur NATO und zur EU. Der alawitische Präsident Assad steht hingegen religiös dem schiitischen Irak nahe, seine Partei durch ihr sozialistisches Gedankengut Russland. So wird Syrien zum Spielball globaler Interessen. Eine explosive Lage, in der Waffenlieferungen sicher am wenigsten dazu beitragen, Frieden zu schaffen.

Was kann also getan werden? Viel bewegt habe der Gebetsaufruf von Papst Franziskus, so Hofrichter: Er hat vielleicht die militärische Eskalation durch die USA verhindert. Und wir? Hofrichter: „Während die Menschen in Syrien leiden, diskutieren wir über die Aufnahme von 500 christlichen Flüchtlingen. Das ist beschämend. Was könnte uns Besseres passieren, als christliche Flüchtlinge aufzunehmen? Sie stehen uns am nächsten und gehören zu denen, die am meisten leiden und verfolgt werden!“

Vor Ort: Patriarch Luis Raphael I. Sako

Er hat die Diktatur Saddam Husseins und ihr Ende durch den Einmarsch der NATO-Truppen miterlebt: Louis Raphael I. Sako, Patriarch von Babylon und Oberhaupt der chaldäisch-katholischen Kirche. Kürzlich wandte er sich in einem Brief an den Westen. Der „Sonntag“ bringt Auszüge aus diesem dramatischen Brief des Patriarchen im Wortlaut:

„Ich glaube, ein mutiger Dialog, der das Gemeinwohl zum Ziel hat und alle in die Politik mit einbezieht, ist immer möglich. Die Lösung muss politisch sein. Sie darf nicht militärisch sein. Krieg ist immer schlecht, er macht die Situation komplizierter und löst keine Probleme. Ein neutrales Land oder eine Gruppe von religiösen Führern kann ein solches Treffen organisieren. Denn diese vertreten keine persönlichen Interessen. (...) 
Würde die westliche Welt wirklich die Demokratie wollen, so müsste sie die Menschen zur Demokratie erziehen und ihnen helfen, diese auch zu verwirklichen. (...) Reformen geschehen über den Dialog. Dafür braucht man Zeit und guten Willen – und keine Bomben. Doch heute lernt weder der Westen noch der Nahe Osten etwas. Was haben die US-Amerikaner aus dem Krieg im Irak gelernt? Was haben die Regimes vor Ort gelernt, das ihnen helfen würde, Reformen durchzuführen? Wer möchte einen Konsens, dem alle zustimmen können?
Die Lage wird sich genau dann ändern, wenn die Großmächte nicht mehr Gewalt unterstützen, sondern auf einen Dialog hindrängen. Beispiele hiefür sind Gandhi in Indien und Nelson Mandela in Südafrika. Im Kampf aller gegen alle geht es um Macht und nicht um Demokratie und Reformen.
Deswegen: Verkauft keine Waffen mehr! Protestiert in allen Ländern, um ein bewaffnetes Eingreifen aufzuhalten. Mobilisiert weltweit und fordert zivilgesellschaftliche und friedliche Lösungen!“

Zur Person:

Univ.-Prof. i. R. DDr. Peter Hofrichter (*1940) war Professor für Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg und gilt als profunder Kenner Syriens und seiner Geschichte.

Louis Raphael I. Sako (*1948) wurde 2002 zum Erzbischof von Kirkuk gewählt. Seit 2013 ist er Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche.