Die Zukunftsfähigkeit der Kirche entscheidet sich in der Familie
Kardinal Walter Kasper über die bevorstehende Familiensynode im Gespräch mit Gudrun Sailer von Radio Vatican
Mit Zuversicht sieht Kardinal Walter Kasper der Bischofssynode zum Thema Familie entgegen. Auf Polemik und vorgegebene Antworten will er sich nicht einlassen.


Kurz vor Beginn der Familiensynode soll ein Buch mit Texten von fünf Kardinälen erscheinen, die am Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen von der Kommunion festhalten wollen. Wie beurteilen Sie diese Vorgehensweise?
Kardinal Kasper: Natürlich hat jeder das Recht, öffentlich seine Meinung zu sagen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich habe mich aber gewundert, dass nun die ganze Synode auf einen einzigen Punkt reduziert wird. Es geht um die pastoralen Herausforderungen im Zusammenhang der Neuevangelisierung. Das ist doch viel weiter gesteckt. Es ist eine Insiderproblematik, die hier ins Zentrum gestellt wird. Es geht darum, überhaupt wieder sprachfähig zu werden und über die Schönheit und das christliche Verständnis von Familie zu reden, was heute viele nicht mehr verstehen – es geht um viel grundsätzlichere Probleme als nur dieses. Und zum Zweiten: Was ist das für ein Verständnis des Evangeliums – das ist die Frohe Botschaft. Daraus darf man doch keinen Kodex von Rechtsvorschriften allein machen und dann sagen, jetzt darf nicht mehr diskutiert werden über diesen Punkt. Damit wird die Synode ja zur Farce. Es hat niemand das Recht, von vornherein zu sagen, was geht und nicht geht. Der Papst will eine offene Debatte, und die soll man führen. Dann in der Synode sehr ruhig im gegenseitigen Aufeinander-Hören, einer Atmosphäre des Gebetes, und dann zum Wohl der Gläubigen heute am Schluss eine Entscheidung fällen. Ich trete in eine Polemik überhaupt nicht ein.
Die Sorge um die katholische Lehre ist eine zentrale Sorge des Heiligen Stuhles. Können Sie vor diesem Hintergrund Verständnis dafür aufbringen, dass sich Widerstand gegen eine pastoral orientierte Fortentwicklung der Lehre regt?
Kasper: Zweifellos ist die Familie die Zelle der Gesellschaft und die Zelle des kirchlichen Lebens. In der Familie, Ehe und Familie, kommen Leben und Glauben am engsten zusammen. Es ist eine vitale Lebenswirklichkeit, die zur Ehre eines Sakramentes erhoben worden ist. Insofern ist es eine ganz vitale und zentrale Frage für die Kirche, für Ehe und Familie da zu sein und da Lösungen anzubieten in der Krise, die es heute gibt. Es geht um diese pastoralen Herausforderungen. Das ist das Thema der Synode, nicht ein Krieg um Lehrmeinungen. Natürlich: Eine Pastoral kann nicht ohne Orientierung an der Wahrheit sein. Aber die Wahrheit ist kein abstraktes System, sondern die Wahrheit ist letztlich Jesus Christus in Person, und wir müssen den Menschen Christus nahebringen. In diesem Sinn muss die Synode an der Wahrheit orientiert sein und Tradition als lebendig sprudelnden Quell und nicht als starres System verstehen.
Sie beschäftigen sich als Dogmatiker schon lange mit dieser Frage. Im Konsistorium vor den Kardinälen haben Sie einen möglichen Weg aufgezeigt, wie man für diese konkrete Situation in Einzelfällen zu einer Lösung kommen kann. Können Sie uns zusammenfassen: Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen wäre es eventuell möglich, wiederverheiratete Geschiedene trotz der Unauflösbarkeit der Ehe zur Kommunion zuzulassen?
Kasper: Ich habe eine Frage gestellt, nicht einfach eine Lösung gegeben. Und die Frage habe ich gestellt in Abstimmung mit dem Papst. Da-rauf lege ich großen Wert. Ich habe gefragt: Wenn eine Ehe gescheitert ist – und leider Gottes scheitern eben heutzutage sehr viele Ehen aus vielfältigen Gründen –, dann wird man zunächst alles tun, um sie wiederherzustellen. Aber wenn ein Weg zurück nicht möglich ist, wenn jemand eine neue Partnerschaft eingegangen ist, die menschlich gesprochen glücklich ist, gelingt und christlich gelebt wird, wenn Kinder da sind, dann kann man diese zweite Partnerschaft ja nicht aufgeben ohne neue Schuld. Also muss man sehen, in welcher Weise Gott da eine neue Chance gibt – und Gott tut das. Das ist seine Barmherzigkeit, dass er niemanden fallen lässt, der guten Willens ist. Und jeder tut in seiner Situation, was er tun kann. Da meine ich, das müsste im Einzelfall nach einer Zeit der Neuorientierung pastoral geklärt werden. Man nennt das ,Via Penitentialis‘ – aber die Leute leiden ohnehin genug selber, da braucht man nicht noch große Bußwerke aufzuerlegen. Aber eine Neuorientierung ist notwendig. Dann soll das eine das Sakrament der Buße sein – das ist ja dafür da –, und das Sakrament der Buße bedeutet auch wieder die Zulassung zur Eucharistie. Aber wie gesagt, das ist nicht die Lösung für alle Fälle, vermutlich nur für eine Minderheit von Menschen, die in unseren Gemeinden leben, die darunter leiden und die ein ehrliches Bedürfnis nach den Sakramenten haben, die die Sakramente dringend brauchen, um ihre schwierige Situation zu bewältigen.
Wie hoch sehen Sie heute die Wahrscheinlichkeit, dass in die Frage des Sakramentenempfanges für die wiederverheirateten Geschiedenen Bewegung kommt?
Kasper: Ich bin kein Prophet und kann und will gar nicht festlegen, was bei der Synode herauskommt. Wir werden jetzt im Oktober zunächst den Status Quaestionis [Stand der Frage, Anm.] festlegen. Die Fragen sind ja auch sehr unterschiedlich in den verschiedenen Kontinenten und Kulturen. Es gibt nicht unsere westeuropäischen Probleme ganz allein, es gibt auch andere. Das muss man ein wenig ordnen und bündeln. Dann ist ein ganzes Jahr Zeit, um diese Fragen in den Diözesen, in den Bischofskonferenzen, in den Pfarreien zu besprechen und zu bedenken. In einem Jahr entscheidet die Mehrheit der Synode in Gemeinschaft mit dem Papst darüber. Ich sehe dem mit großem Vertrauen entgegen. Es wird eine Lösung gefunden werden, der die große Mehrheit zustimmen wird, die dann der Botschaft des Evangeliums gerecht wird, aber die Botschaft des Evangeliums unter den Bedingungen der Zeichen der Zeit heute zur Geltung bringt, sodass es ein Evangelium der Freude sein wird.
Wie sehen Sie diese Synode im Lauf des Pontifikates eingeschrieben? Papst Franziskus ist seit eineinhalb Jahren im Amt, und diese Synode wird mit großer Spannung erwartet. Wie sehen Sie diesen Bogen?
Kasper: Sicher wird der Papst auch an dieser Synode gemessen werden. Er will ja das Evangelium den Menschen heute sagen und hat auch das Charisma dafür. Man wird ihn daran messen. Ich habe keine Sorge, dass er diese Probe sozusagen nicht bestehen wird. Es wird eine sehr wichtige Synode sein in diesem Pontifikat, aber es geht nicht nur um dieses Pontifikat, sondern es geht um die Kirche und um die Zukunftsfähigkeit der Kirche. Diese entscheidet sich weitgehend in der Familie. In der Familie lernen wir die Sprache. Man spricht von der Muttersprache, da wird man eingeführt in die Kultur, in die grundlegenden Werte. Ich selber habe den Glauben nicht gelernt, weil ich Enzykliken gelesen habe, sondern meine Mutter – der Vater war Soldat damals im Krieg – hat mir das beigebracht. Man hat das Beten und das christliche Leben in der Familie gelernt, und dazu müssen wir zurückkommen und die Familie zur Kirche im Kleinen, zur Hauskirche machen, wo das christliche Leben wachsen, reifen kann. Gerade in einer zunehmenden Diaspora-Situation, wie wir sie bei uns haben, brauchen wir das dringend. Ich denke, das ist wirklich ein Zukunftsprojekt, das bei dieser Synode im Zusammenhang der Neuevangelisierung unternommen wird, und dafür brauchen wir auch das Gebet sehr vieler Gläubiger.
Mit freundlicher Genehmigung von Radio Vatikan (de.radiovaticana.va)
Zur Person:
Walter Kardinal Kasper, geb. 5. März 1933 in Heidenheim/Brenz, studierte in Tübingen und München Theologie, wurde 1957 zum Priester geweiht und habilitierte sich 1964 bei Hans Küng. Er lehrte in Münster Dogmatik und wurde 1989 zum Bischof von Rottenburg-Stuttgart geweiht. 1999 bis 2010 war er Sekretär des Päpstlichen Rates zur Einheit der Christen. 2001 wurde er in den Kardinalsrang erhoben