Die römisch-katholische Kirche hat ein enormes Zukunftspotenzial
Kommunikationsprofi Harald Mahrer über die "Formel der Macht" und die Gestaltungskraft der Kirche
Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit Macht. Was ist eigentlich Ihre Definition nach Macht?
Mahrer: Wir haben dafür eine einfache Formel gefunden, die besagt, dass sich Macht aus Ressourcen und Verbindungen ergibt. Man könnte sagen: Geld mal Netzwerke.
Aber „Ressourcen“ sind doch mehr als Geld.
Mahrer: Wir verstehen die Ressourcen auch wesentlich umfangreicher. Wir meinen damit Ideen, Werte und Visionen. Verfolgt man die Menschheitsgeschichte, so bestätigt sich diese Formel immer wieder. Wenn man sie richtig anwendet, so bedeutet Macht nichts anderes, als „machen können“ oder „gestalten können“.
Werte, Ideen und Visionen unter die Leute zu bringen, braucht aber eine besondere Persönlichkeit des Einzelnen, seine Überzeugungskraft.
Mahrer: Wenn wir von einer Einzelperson sprechen, stimmt das ganz sicher. Diese muss sich entsprechend inszenieren können. Aber es geht ja doch sehr oft über das Individuelle hinaus in Gemeinschaften oder Institutionen. Dann bedeuten Werte oder Visionen eine Grundhaltung, die diese Gemeinschaft teilt. Eben gemeinsame Ziele.
Speziell in Österreich ist Macht ja nicht unbedingt positiv besetzt. Korrumpiert Macht?
Mahrer: Macht hat das Potenzial, zu korrumpieren. Auch das zeigt die Menschheitsgeschichte. Es hängt immer vom persönlichen Charakter oder von der Wertegemeinschaft ab.
Hängt das auch mit Entwicklungen zusammen? Ich denke etwa, wenn man lange an der Macht ist, gewinnt man ein Gefühl der All-Macht.
Mahrer: Sobald die Vision und die Zielsetzung fehlen, wenn die Macht nur noch für den Machterhalt gilt, dann wird Macht zynisch. Es geht dann nicht mehr um ein visionäres Ziel, sondern nur noch um den Status
Quo. Diese Gefahr ist in einem stark nach innen hin gewandten Konglomerat wesentlich größer.
Das heißt, Visionen können nur in Systemen wachsen, die offen sind. Geschlossene Systeme neigen zum Selbsterhalt und sind damit weniger zukunftsorientiert ...
Mahrer: Wenn man sich die Machtformel anschaut, die aus Ressourcen und Netzwerken besteht, dann muss man sich ständig um neue Ressourcen und Netzwerkverbindungen bemühen. Macht kann nur überdauern, wenn Selbst-erneuerung möglich ist. Was anderes ist natürlich die Wertebasis, die muss erhalten bleiben.
Landläufig gesprochen haben Politiker Macht. Diese ist eigentlich geborgt und wird vom Volk verliehen. Wie schaut ein verantwortungsvoller Umgang mit Macht aus?
Mahrer: Ich glaube, wir erleben gerade eine Zeitenwende in der Politik. Die jetzige Politiker-Generation tut sich deswegen so schwer, weil sie aus einer anderen, stark ideologisch geprägten Zeit kommt. Die Parteien hatten damals ganz klare Vorstellungen, wie wir leben sollen. Auf die mannigfaltigen Probleme durch die Globalisierung, die Technisierung und die Digitalisierung gibt dieses Denken aber keine Lösungen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie einen neuen Weg, der sich vom alten „Entweder-oder“-Denken zu einem „Sowohl-als-auch“ verändert.
Mahrer: Wir bezeichnen dies als „Resilienz“. Das ist jene Zukunftsfähigkeit, auf Herausforderungen, die man heute noch nicht kennt, machtvoll reagieren zu können. In Wirklichkeit heißt das, dass man unterschiedliche Ressourcen bereithalten muss. Das kann man sich vorstellen wie einen Wanderer, der zwar eine ungefähre Wetterprognose hat, aber nicht sicher sein kann, ob sie auch wirklich hält. Was wird man machen? Man zieht sich nach der Zwiebelschalen-Methode an, nimmt die Regenjacke mit, zieht doch nicht die ganz leichten, sondern etwas robustere Schuhe an. Also: Ich wappne mich für unterschiedliche Gegebenheiten. Der Resilienz-Begriff selbst kommt aus den Naturwissenschaften und wir versuchen, ihn auf die Sozialwissenschaften zu übertragen und für Entscheidungshilfen zu nutzen.
Was bedeutet das, wenn wir dies etwa auf die Kirche anwenden – nicht im Sinne von Macht, sondern von Überzeugungs- und Gestaltungskraft?
Mahrer: Wenn ich mir die römisch-katholische Kirche anschaue, so gelingt es ihr schon, sehr viele junge Leute zu begeistern. Das gilt jetzt vielleicht nicht immer für Österreich. Aber man muss ja die Situation über Österreich oder Europa hinaus betrachten. Es gelingt der Kirche deshalb, weil sie neue Mittel einsetzt und immer wieder neue Wege zulässt. Sie schafft es eigentlich sehr gut, den Glauben zu vermitteln und Leute für die Idee zu begeistern.
Kommt hier die von Ihnen immer wieder erwähnte Wertebasis dazu? Also eine klare Haltung, die Orientierung bietet und viele Menschen anspricht?
Mahrer: Natürlich müssen die Werte überdauern. Das heißt, es braucht eine Art Roten Faden, der gleich bleiben muss. Aber die Gestaltungskraft einer Institution hängt auch damit zusammen, wie sie ihre Wertehaltung über einen bestimmten Zeitabschnitt verändert oder anpasst. In einer großen Organisation wie der römisch-katholischen Kirche, die ja in ihrer Verwaltung sehr bürokratische, über Jahrhunderte gewachsene Strukturen hat, ist die Veränderungsmöglichkeit natürlich geringer als in kleinen Organisationen.
Wie würde Ihre Bilanz als Unternehmensberater in Bezug auf die Kirche aussehen?
Mahrer: Man muss anerkennend sagen, dass die katholische Kirche die Zeit bislang gar nicht schlecht überdauert hat – und vor allem ein großes Zukunftspotenzial besitzt. Das ist ganz klar. Die Menschen sind ja heute sehr orientierungslos und suchen daher nach einer stabilen Wertegemeinschaft.
Das Buch von Harald Mahrer ist erschienen bei:
www.ecowin.at