Die Krankheit des Jahrhunderts
Die Zahl der Demenzkranken wird sich laut Experten bis zum Jahr 2050 verdreifachen.

„Ich bin einer, der nichts zu melden hat. Da ist nichts mehr zu machen“, sagt August Geiger. Ein alter Mann, „ohne Kompass“, desorientiert und verloren. Fast verloren. – Wäre da nicht sein Sohn, der Schriftsteller Arno Geiger, der nicht müde wird, immer wieder eine Brücke in das so ferne Land zu schlagen, in dem seit über zehn Jahren der Vater lebt. August Geiger ist der Held seines neuen Romans, ja mehr noch. „Der alte König in seinem Exil“, so lautet nämlich der Titel des Buches, in dem der Vorarlberger die Geschichte einer Krankheit erzählt, ganz ohne Pathos, so wie es eben ist. Kein Wunder also, dass Arno Geiger damit die Bestsellerlisten anführt.
August Geiger ist Alzheimerpatient. Vor 100 Jahren entdeckt, heute als die „Krankheit des Jahrhunderts“ mit Angst und Schrecken besetzt. Als der Psychiater Alois Alzheimer (1864 bis 1915) zum ersten Mal die nach ihm benannte Krankheit beschrieb, konnte er nicht ahnen, dass es sich dabei um eine der am häufigsten gestellten Diagnosen des 21. Jahrhunderts handeln würde. Eiweißablagerungen und abgestorbene Nervenzellen hatte er damals in der Großhirnrinde einer verstorbenen Patientin nachgewiesen. Heute leiden 6,5 Prozent der über 65-Jährigen, mehr als vier Millionen Menschen, in den EU-Staaten an Morbus Alzheimer, mit 600.000 Neuerkrankungen pro Jahr hält Alzheimer den traurigen Rekord, noch vor dem Schlaganfall. In Österreich leben derzeit 100.000 demenzkranke Menschen, 70 Prozent davon haben „Morbus Alzheimer“. Bis zum Jahr 2050 soll sich die Zahl noch verdreifachen.
Die Krankheit ist unheilbar, im Frühstadium diagnostiziert, kann ihr Verlauf durch Medikamentengabe positiv beeinflusst, aber nicht gestoppt werden. Während die klinische Forschung seit Jahrzehnten intensiv nach Lösungen sucht, spüren Betroffene, wissen Angehörige und das Pflegepersonal schon längst, dass der effizienteste Ansatz zur Steigerung der Lebensqualität für Alzheimer-Patienten in der optimalen Betreuung und Pflege besteht.
Ein großes, auch gesellschaftliches Problem ist die Tabuisierung dieser Krankheit. Es wäre höchst an der Zeit, ein neues Verständnis zu fördern. Da und dort passiert das schon. „Mitten im Leben – auch im Alter lebendig und selbstbestimmt“, so nennt sich ein Angebot der katholischen Kirche, das vor zehn Jahren vom Katholischen Bildungswerk und der Caritas Kärnten ins Leben gerufen wurde. Barbara Mödritscher, Regionalreferentin und Gerontologin möchte die Menschen vor allem „entängstigen“. Sie rät älteren Menschen, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen, sich Ziele zu stecken, Neues zu entdecken. „Sehr wichtig sind auch soziale Kontakte“, betont sie. Mit dem innovativen Angebot in den rund 50 Gruppen leisten die ausgebildeten Leiterinnen bereits jetzt u. a. auch wertvolle Präventionsarbeit in Sachen Demenz. Mödritscher: „Ziel unserer Arbeit ist es, Selbstständigkeit und Lebensfreude zu fördern, ein positives Bild von Alter zu vermitteln, Kraftquellen durch den Glauben zu erschließen.“ Mittels Gedächtnistraining sollen die Konzentration, die Informationsverarbeitung sowie das Kurz- und Langzeitgedächntis gestärkt werden. Auf dem Programm stehen außerdem psychomotorisches Training und Kompetenzübungen für den Alltag.
Derweil wird in den Laboren dieser Welt eifrig weiter geforscht. Und so manches Ergebnis scheint dann wie ein Silberstreifen am grau gewordenen Horizont. So ist es den Forschern in Göttingen gelungen, den Verlauf von Alzheimer bei Mäusen zu stoppen. Eine neue Impfung, die Heilung verspricht, befindet sich gerade in der Testphase. (A. Bergmann-Müller)