“Die Kirche ist eine unglaublich frische Organisation”
Abt Heinrich Ferenzcy OSB im Gespräch mit Gerald Heschl
Der Abt des Stiftes St. Paul hat heuer allen Grund zum Feiern: 75. Geburtstag, 50-jähriges Priesterjubiläum und Abtweihe vor 25 Jahren. Ein Gespräch als Rück- und Ausblick.


Herr Abt, Sie feiern in diesem Jahr Ihren 75. Geburtstag. Ihr Name klingt ungarisch, Sie sind aber gebürtiger Österreicher ...
Ferenczy: Mein Vater war Ungar, der in Wien lebte und arbeitete. Er war Bibliothekar und Lehrer für Ungarisch. Er hat mich sehr stark sprachwissenschaftlich infiziert. Als Kind bin ich auch zweisprachig aufgewachsen.
Haben Sie neben der sprachlichen Prägung auch eine besondere religiöse Prägung von zu Hause mitbekommen?
Ferenczy: Mein Vater war evangelisch nach Augsburger Bekenntnis. Meine Mutter war aber schon sehr katholisch. Sie ist sehr eucharistisch geprägt worden, was damals ja weit verbreitet war. Wir haben das Morgengebet gesprochen, am Abend dann eine Rückbesinnung, bei Tisch das Segensgebet. Ich bin auch sehr gerne in die Kirche gegangen. Der Gesang, der Weihrauch, die Bilder, eine frische Predigt vielleicht – das ist ja nicht so schlimm. Dann gab es vielleicht noch ein besonderes Essen. Bei uns stand am Sonntag immer ein Beuschel mit Semmelknödel am Tisch. Aber prägend waren für mich auch die Bombardierungen in Wien, in deren Folge wir nach Oberösterreich verlegt wurden.
Inwiefern prägend?
Ferenczy: Der Krieg ist das Ungeheuerlichste, was ich mir vorstellen kann. Wir haben in Wien die Bombardierungen teilweise noch hautnah erlebt. Heute noch halte ich das Geheul von Sirenen fast nicht aus, weil es mich zu sehr an diese Kriegserfahrungen in der Kindheit erinnert.
Wie sind Sie dann mit den Benediktinern in Berührung gekommen?
Ferenczy: Die Volksschule und die erste Klasse Gymnasium besuchte ich in Kremsmünster. Dort habe ich auch das Ministrieren gelernt. Ich habe mich in Kremsmünster sehr gut aufgehoben gefühlt. 1950 kamen wir wieder nach Wien zurück, und ich bin gleich bei den Benediktinern geblieben, indem ich ins Schottengymnasium gegangen bin. So bin ich von 1950 weg bis 2006 im Schottenstift in Wien geblieben. Als Schüler, als Mönch und Lehrer und schließlich als Abt.
Sie haben ja sehr lange und – wie Sie selbst sagen – sehr gerne unterrichtet. Was ist das Besondere am Kontakt mit jungen Menschen?
Ferenczy: Ja, ich habe sehr gerne unterrichtet. Am liebsten Philosophie. Bis 1996 habe ich durchgehend unterrichtet. Was aber noch wichtig ist: Ab 1967 habe ich ein Jugendzentrum geführt, das ich mit einem gewissen Wolfgang Schüssel gegründet habe, der auch ans Schottengymnasium gegangen ist. Wir haben Kellerräume gefunden, die sehr gut geeignet waren, und das Jugendzentrum aufgebaut. Ich wollte den Jugendlichen dort eine Heimat bieten, die auch ein Gegenpunkt zu den Drogenlokalen in der Gegend war. Wir haben viel miteinander diskutiert, und es sind viele Projekte dort entstanden. Wir haben auch Jugendmessen im Zentrum gefeiert, was damals noch gar nicht selbstverständlich war. Ich musste dafür extra vom Weihbischof eine Erlaubnis einholen. Ich wollte den Jugendlichen den Sinn der Eucharistie auf diesem Weg eröffnen.
Ich war sehr gerne Lehrer, bin sehr gerne Priester und Mönch.
1963 wurden Sie zum Priester geweiht. Wie prägend war das II. Vaticanum für Sie?
Ferenczy: Ich habe es mit großer Freude miterlebt. Es ist ja alles unglaublich rasch gegangen. In der Dogmatik habe ich noch gelernt: Wenn ein Priester auch nur die Wandlungsworte in der Muttersprache spricht, gilt die Eucharistie nicht. Und dann kam dieses Konzil. Das muss man sich einmal vorstellen. Das war ein großartiges Erlebnis. Ich habe das Konzil als eine große Bereicherung empfunden.
Was hat Sie besonders beeinflusst?
Ferenczy: Auf der Suche nach einem Primizgeschenk fand ich in der Dombuchhandlung den ersten Band der Schriften zur Theologie von Karl Rahner. Das sprach mich sofort an, denn es beginnt beim Menschen, bei seinem Innersten. Karl Rahner hat mich in weiterer Folge enorm beeinflusst. Ich habe alle seine Bücher und lese sie heute noch, denn sie sind noch immer höchst aktuell.
Viele meinen, die Konzilsbeschlüsse würden zu langsam umgesetzt, es bestehe ein Reformstau ...
Ferenczy: Ich finde, die Kirche ist eine unglaublich frische Organisation. Auch wenn sehr viele alte Leute im Vatikan sind. Bedenken Sie, was in den letzten 40 oder 50 Jahren geschehen ist! Heute dürfen Frauen die Kommunion austeilen. Da hat sich schon sehr viel geändert. Das ist gut so und vor dem darf man sich nicht verschließen.
Trotzdem gibt es Reformbedarf. Wo sehen Sie die dringendsten Handlungsfelder für die Kirche?
Ferenczy: Am wichtigsten ist eine viel größere Nähe zu den einfachen Menschen, zu den Armen und der Not. Da geht es nicht nur um die finanziell Armen, sondern auch um die sozial Bedürftigen, um die Hinausgedrängten. Schauen Sie etwa, wie die Politik im Wahlkampf wieder versucht, Menschen auszugrenzen. Denken Sie nur an die Meldung, dass Ausländer Krankheiten einschleppen.
Sollte sich die Kirche stärker exponieren?
Ferenczy: Ja, das glaube ich schon. Der Papst hat diesbezüglich schon einige Zeichen gesetzt.
Sie haben Jahrzehnte mit Jugendlichen verbracht. Viele sind auf der Suche – nach dem Sinn des Lebens, nach echten Werten –, finden dabei aber die Kirche nicht. Wie könnte man diese von der Kirche und ihrer Botschaft überzeugen?
Ferenczy: Das ist eine sehr schwierige und komplexe Frage. Es ist sicher ein großes Problem der Kirche, dass die religiöse Bildung oft fehlt. Früher bekamen die Menschen vieles davon in der Familie mit. Heute wird das immer seltener. Das Gebet in der Familie ist großteils gestorben.
Welche Rolle kommt da der Schule, den Lehrern zu?
Ferenczy: Ein Gymnasium, wie wir es haben, ist sicher eine große Chance. Wir haben zwar nur einen Ordensmann, den Direktor, aber wir haben viele Lehrer, die gut vermitteln können. Wichtig wäre natürlich eine gezielte Jugendseelsorge. Man kann aber nicht erwarten, dass man die Jugendlichen theologisch besonders beeinflusst. Wichtig ist, dass sie spüren, dass man sehr gerne für sie da ist und positiv auf sie zugeht.
Noch eine persönliche Frage: 2014 wird ein neuer Abt gewählt, weil Sie nicht mehr kandidieren. Werden Sie in St. Paul bleiben?
Ferenczy: Entgegen allen Gerüchten bleibe ich hier. Ich fühle mich sehr heimisch in Kärnten. Ich habe 56 Jahre in der Stadt gelebt und mich im Schottenstift sehr wohl gefühlt. Aber ich bin viel lieber hier im Grünen. Ich werde weiter wirken, in der Pfarre und auch im Stift, wenn ich gebraucht werde.
Letzte Frage zum 75er: Wenn Sie an Ihrem Lebenslauf etwas ändern könnten, was wäre das?
Ferenczy: Ich war sehr gerne Lehrer, bin sehr gerne Priester und Mönch. Ich würde heute nichts von dem ändern, was ich gemacht habe.
Zur Person
Abt Dr. Heinrich Ferenczy wurde 1938 in Wien geboren, studierte Theologie, Philosophie und Sprachwissenschaften in Wien. Mit 19 Jahren Eintritt ins Schottenstift/Wien, Priesterweihe 1963. Er unterrichtete Deutsch, Philosophie und Geschichte und engagierte sich in der Jugendarbeit des Schottenstiftes. 1988 Weihe zum Abt des Schottenstiftes. Seit 1996 ist Heinrich Ferenczy zunächst Administrator, dann Abt des Stiftes St. Paul/Lavanttal.
Buchtipp:
In Gottes Hand geborgen: „Predigtsplitter“ von Abt Heinrich Ferenczy, erschienen 2011 im Styria-Verlag. Ein Buch, das einfühlsam, in einfachen Worten und theologischer Tiefe durch das Jahr führt.