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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Kirche darf nicht selbstbezogen sein

Jozef Niewiadomski im "Sonntag"-Gespräch

Der Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski über das Verbindende der Päpste Johannes Paul II. und Franziskus, über Armut und über die Krise der Familien

Im “Sonntag“ spricht der Innsbrucker Dogmatiker und gebürtige Pole Jozef Niewiadomski über die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus, über eine arme Kirche für die Armen und über Kritik am Papst. (© Foto: dibk)
Im “Sonntag“ spricht der Innsbrucker Dogmatiker und gebürtige Pole Jozef Niewiadomski über die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus, über eine arme Kirche für die Armen und über Kritik am Papst. (© Foto: dibk)
Jozef Niewiadomski (© Foto: Diözese Innsbruck)
Jozef Niewiadomski (© Foto: Diözese Innsbruck)

Polen hat seit einiger Zeit einen neuen Heiligen: Papst Johannes Paul II. Sie gehörten zu jenen, die „Santo subito“, also seine sofortige Heiligsprechung, forderten. Sind Sie nun glücklich?
Niewiadomski: Ich persönlich bin es. Ich denke, „Santo subito“ wäre angemessen gewesen. Für mich war er schon zu Lebzeiten eine der größten Persönlichkeiten der Geschichte. Nicht nur als Pole. Johannes Paul II. hatte eine enorme weltgeschichtliche Bedeutung.

Innerkirchlich war er nicht immer unumstritten ...
Niewiadomski: Um ihn als Ganzes zu verstehen, muss man seine Biografie anschauen: Er absolvierte sein Studium als Zwangsarbeiter im Steinbruch und studierte nebenbei Philosophie-Skripten im Geheimseminar. Dazu las er die Schriften des Mystikers Johannes vom Kreuz. Dies vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges hat ihn geprägt, aber auch hart gemacht. Dazu kommt seine Beziehung zu Sr. Faustina Kowalska, in deren Botschaft er eine Sprengkraft sah, die seiner Meinung nach die Kirche verändern sollte: Nämlich, dass die zentrale Botschaft die Barmherzigkeit ist – und nicht Gerechtigkeit.

So gesehen steht Papst Franziskus in der Tradition Johannes Pauls II.?
Niewiadomski: Bergoglio wurde ja von Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben. Die inhaltlichen Verbindungen sind daher sehr eng. In vielen Punkten sehe ich Johannes Paul II. und Franziskus in einer direkten Kontinuität.

Wenn Franziskus von einer armen Kirche für die Armen spricht, was bedeutet das in diesem Kontext? Ist die arme Kirche eine spirituellere Kirche?
Niewiadomski: Der Arme ist nicht spirituell, nur weil er arm ist. Genauso wenig wie das Opfer gut ist, nur weil es Opfer ist. Es ist eine ungeheure Verführung unserer Zeit, jenen, die unter die Räder der Geschichte gekommen sind, eine ethisch höhere Qualität zuzusprechen. Opfer sein bringt noch keine Identität. Jesus Christus ist nicht gekommen, um Opfer zu sein. Er ist gekommen, um Mensch zu sein und mit uns zusammen zu leben, lieben, zu lachen, zu feiern und unser Geschick zu teilen. Er ist zum Opfer geworden. Die Identität Jesu Christi ist ganz klar bestimmt durch die Beziehung zum Vater und dadurch abgeleitet zu allen Menschen.

Was ist jetzt mit den Armen?
Niewiadomski: Sie sind eine ständige Herausforderung an die Welt, die sich fragen muss, warum es die Armen gibt. Natürlich kann man sagen, die Armen sind deswegen, weil sie im Mangel leben, eher bereit, Beziehungen zu knüpfen. Die Reichen, denen eigentlich nichts fehlt, neigen eher dazu, sich in sich selbst zu verschließen. Sie werden deswegen geistig und seelisch arm. Der Reiche, der auf sich selbst bezogen ist: Ist der glücklich? Das bezweifle ich.

Was bedeutet das in Bezug auf die Kirche?
Niewiadomski: Für mich heißt es, dass die Kirche nicht selbstbezogen sein darf. Es wäre ein Missverständnis, wenn man meint, die Aussage des Papstes bezieht sich allein auf Geld oder Besitz. Für mich ist die entscheidende Frage: Wie werden Beziehungen gelebt? Das heißt, ich lasse mich herausfordern durch den anderen, der hungert, dürstet, nichts hat. Franziskus fordert eine Kirche, die nicht auf sich selbst bezogen ist, sondern auf die Menschen zugeht. Das können Drogensüchtige sein genauso wie Menschen, die im Überfluss leben. Durch diese Beziehung entsteht Veränderung bei jedem Einzelnen.


In Evangelii Gaudium spricht Franziskus viele Themen sehr radikal an. In seinen Aussagen über die Wirtschaft etwa geht er schon konkret auf die Fragen der Ungerechtigkeit ein.
Niewiadomski: Dafür wurde er von jenen kritisiert, die den beschrittenen Weg nicht verlassen wollen. Der Papst weist darauf hin, dass uns eine falsche Philosophie leitet, die auf Wachstum fokussiert ist. Kein Mensch bestreitet, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Wenn das so ist, dann gibt es früher oder später Revolution. Daher gilt es, alle Vorkehrungen zu treffen, dass man diesen Crash verhindert. Darauf weist der Papst hin.  

Ein anderer Schwerpunkt ist das Thema Ehe und Familie. Wird da ein neuer Weg beschritten?
Niewiadomski: Johannes Paul II. hat sich in seinem Pontifikat auf Fragen der Sexualität fixiert. Das hat meiner Meinung nach der Kirche nichts gebracht. Die Tatsache, dass Franziskus dazu klare Aussagen getätigt hat, die in eine andere Richtung weisen, ist meiner Meinung nach heilsam. Er hat andere Schwerpunkte. Das ist gut.

Welche Erwartungen setzen Sie in die kommende Bischofssynode?
Niewiadomski: Es gibt eine Krise der Familie. Sie ist aber nicht durch einen moralischen Verfall bedingt, sondern durch die Veränderungen unserer Gesellschaft. Die Frage ist, was diese Krise der Familie bedeutet? Es kann alles nur darauf zielen, dass die Familie gestärkt wird! Ich glaube aber nicht, dass sie dadurch gestärkt wird, dass wir den bisherigen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder den bisherigen Umgang im Hinblick auf die Empfängnisverhütung beibehalten. Das geht am Leben der Menschen vorbei. Stärkung bedeutet, dass Familienleben in den konkreten Situationen gewahrt wird. Wir müssen uns von der neurotischen Fixierung auf Empfängnisverhütung und Schutz der Ehe durch die Jagd auf den Sündenbock wiederverheiratete Geschiedene verabschieden. Das ist eine zu enge Sicht.

Für seine Weitsicht wird der Papst aber auch kritisiert ...
Niewiadomski: Es ist ein Paradox der verwickelten Hierarchien. Die Kritik kommt vor allem aus jenen Kreisen, die in der Zeit Benedikts XVI. auf die päpstliche Autorität als allein gültiges Argument gepocht haben. Nach dem Motto: Weil der Papst das sagt, müssen wir gehorchen. Jetzt sind sie auf einmal mit einem Papst konfrontiert, der nicht mehr ihre Welt teilt. Jene, die sich damals auf die päpstliche Autorität beriefen, müssten jetzt Inhalte liefern. Aber Inhalte sind offenbar keine da. Die sind so dürftig, dass sie in der heutigen Welt davonschwimmen. Also Autorität alleine reicht heute als Argument nicht mehr aus.

Darauf verweist Papst Franziskus ja auch, indem er die Bischofskonferenzen stärken will. Was bedeutet das?
Niewiadomski: Manche Päpste sahen in den Bischöfen lediglich eine Art Filialleiter. Viele Bischöfe haben aber auch von sich aus agiert, als ob sie Beamte des Papstes wären, und ihre eigene Verantwortung vergessen. Wenn Franziskus nun sagt, dass für viele Probleme die Bischöfe in den Ortskirchen Antworten finden sollen, hätten sich am Tag nach Erscheinen von Evangelii Gaudium alle Bischofskonferenzen zusammensetzen und beraten müssen, was das konkret für sie bedeutet. Das ist aber auf der ganzen Welt nicht geschehen. Alle warten darauf, was von Rom kommt. Aber was der Papst da geschrieben hat, ist eine gewaltige Erneuerung!