Die Heilige Schrift leuchtet in satten Rot- und Goldtönen
Sich gemeinsam auf Ostern vorbereiten: Spirituell und praktisch mit der Gestaltung einer Ikone
Eine vorösterliche Einstimmung kann auch mit dem Schreiben einer Ikone gelingen. Was dazu gebraucht und verlangt wird. Ein kurzer Lokalaugenschein. von Ingeborg Jakl

Sonnenlicht flutet durch den Raum und taucht die Malutensilien, die verstreut auf den zusammengeschobenen Tischen liegen, in einen satten Goldton. Der Ton korrespondiert mit jener auf der Farbpalette, die fertig angemischt für die Grundierung bereitliegt. „Ikonen schreiben ist wie ein Evangelium in Farbe“, sagt Silva Deskoska, dabei taucht sie den Pinsel ganz vorsichtig in einen satten Rot-Ton. Dann streift sie die überflüssige Farbe ab und führt behutsam mit ruhiger Hand zarte Pinselstriche über den angedeuteten Rocksaum der heiligen Sophia, deren Bild gerade im Entstehen ist.
Die Konzentration, die sich über den Raum verbreitet hat, ist für einen Außenstehenden fast spürbar, so sehr ist der Blick der kleinen Schar von Interessierten auf ihre jeweilige Ikone gerichtet. Veronika Tuschar ist die Jüngste in der Gruppe und zählt mit ihren fünfzehn Jahren trotzdem schon zu den Geübten. Immerhin entsteht heute ihre bereits dritte Ikone. Es soll eine heilige Veronika werden. „Die ist dann für mich“, stellt sie gleich klar. Die beiden vorherigen bekamen ihre Patin und der Vater zum Geschenk.
Wie Meditation
„Wichtig ist für jeden, der sich mit dem Schreiben einer Ikone beschäftigt, nicht zu schwierig anzufangen“, erklärt Silva. Die in Bulgarien geborene Künstlerin studierte zunächst Soziologie und Politwissenschaften in Sofia und später noch Kunstgeschichte in Skopje. Zu dieser Zeit war ihr Interesse für die Ikonografie bereit geweckt. Seit 1989 lebt sie mit ihrer Familie in Österreich und ist seitdem auch als freischaffende Künstlerin und Ikonenmalerin tätig.
Silva hat zu Demonstrationszwecken wie immer eine prall gefüllte Arbeitsmappe dabei, die viele Ikonendarstellungen mit den unterschiedlichsten Schwierigkeitsgraden birgt. Alle Teilnehmer, heute sind es fünf, können zunächst begutachten und auswählen. Dann wird gemeinsam mit der Expertin diskutiert und abgewogen, ob das ausgewählte Objekt auch ohne große Vorkenntnisse umsetzbar ist. Wenn die Parameter stimmen, kann es losgehen. Mit Kopierpapier und Bleistift werden die Konturen nachgezeichnet, „das klappt ganz gut“, sagt Ursula Lackner, die auch schon mehrere Ikonen angefertigt hat. Danach werden Linien mit einem Stichel eingeritzt. „Jedes Mal ist das wieder etwas Besonderes“, sagt sie erstaunt. „Die Atmosphäre, die Ruhe“, die sich wohltuend über den ganzen Körper ausbreite und sie zwinge, bei der Sache zu bleiben. Die vorösterliche Fastenzeit und das Schreiben einer Ikone seien für sie die willkommene Einstimmung auf das nahende Osterfest hin. „Allein könnte ich das nämlich nicht“, gibt sie zu. Aber dieses gemeinschaftliche Malen in der Gruppe, die Anregungen und Hilfestellungen von Silva, all das trage dazu bei, „etwas ganz Außergewöhnliches zu erleben und auch zu gestalten“. „Das ist wie Meditation“, umschreibt Ilona Wulff-Lübbert.
„Ikonenmalen ist ein geistiges Erlebnis und zugleich auch Handarbeit“, ergänzt Silva, um sich im nächsten Augenblick schon wieder in die Arbeit zu vertiefen. „Aus einer zunächst einfachen weißen Holztafel entsteht nach und nach etwas ganz Außerordentliches“, bringt es Monika Tuschar auf den Punkt. Seit nunmehr 20 Jahren besucht sie regelmäßig die Kurse von Silva Deskoska und „ich lerne stets noch etwas dazu“, stellt sie immer wieder fest.
Das gilt auch für die Künstlerin selbst. „Ich bin stets aufs Neue fasziniert und entdecke in jeder Arbeit immer wieder Nuancen, die mich einfach nicht mehr loslassen.“
Strahlkraft der Ikonen
Nicht losgelassen hat auch August Dorn der Wunsch, einmal im Leben selbst eine Ikone zu schreiben. „Endlich habe ich Zeit und Muße, mich darauf einzulassen“, erklärt er. Er hat sich für eine Madonna mit Kind entschieden und beginnt nach der Grundierung mit dem Anmischen der Farben. Aus Silvas Farbkästchen werden mit einer kleinen Spachtel wenige Gramm Farbpulver entnommen und mit einem Eigelb-Wasser-Gemisch (Eitempera) mittels eines dicken Pinsels angerührt. Erst dann wird „behutsam und hochkonzentriert“ mit dem Malen bzw. Schreiben der Ikone begonnen. Das geht in mehreren Schichten. Bei dieser Technik werden die vorgefertigten Holztafeln in vielen Einzelschritten sukzessive mit dem Pinsel „beschriftet“. Auf diese Weise entsteht jene Farbbrillanz und Leuchtkraft, die Ikonen auszeichnet, da die Farbpigmente mit jedem einzelnen Pinselstrich überlagert werden. So wird ihre Strahlkraft vermehrt.
Für Einsteiger präsentiert sich zunächst eine fleckige Oberfläche, die mit zunehmender Farbschicht immer dichter und farbintensiver wird. „Abseits von Hektik und Geschäftigkeit eine Atmosphäre der Vertiefung und Identifikation mit der mehr als 1500 Jahren alten Tradition schaffen“, erläutert Silva. „Die Ikone ist die Heilige Schrift in Farben dargestellt, eben ein heiliges Buch, geschrieben mit Pinsel und Farbe.“
Ikonen
Ikonen werden nach alter Überlieferung nicht gemalt, sondern „geschrieben“. Ihre Maler sind nicht Künstler, sondern „Ikonenschreiber“, die bewusst in der hergebrachten Form, die sich von weltlichen Kunstwerken unterscheidet, die alten „Nachrichten“ wiederholend „abschreiben“. Ikonen sind für die Orthodoxe Kirche nicht Abbildungen weltlicher Natur, sondern „Fenster zur himmlischen Wirklichkeit“.