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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Grundtugend der Ökumene ist die Geduld

Kardinal Kurt Koch über Herausforderungen, Perspektiven und Ziele des ökumenischen Gesprächs.

Kardinal Kurt Koch, "Ökumene-Minister" des Vatikan über gemischt-konfessionelle Ehen, die Pfingstbewegungen und das Tempo der Ökumene.

Der Abstand zwischen den Kirchen ist gar nicht so groß, wie er oft scheint. Zum ökumenischen Dialog gibt es keine Alternative! (© Foto: kathbild.at/rupprecht)
Der Abstand zwischen den Kirchen ist gar nicht so groß, wie er oft scheint. Zum ökumenischen Dialog gibt es keine Alternative! (© Foto: kathbild.at/rupprecht)
Kardinal Kurt Koch (© Foto: kathbild.at/rupprecht)
Kardinal Kurt Koch (© Foto: kathbild.at/rupprecht)

Sie sind Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Wie kann man sich diesen Rat vorstellen?
Koch: Zum einen besteht der Rat aus der Abteilung Ost, wo es um den Dialog mit der Orthodoxie geht. Im Mittelpunkt steht der Primat des Bischofs von Rom. Dieser Dialog wurde 2000 sogar abgebrochen. Es gehört zu den ganz großen Verdiensten, dass Papst Benedikt XVI. einige Monate nach Beginn seines Pontifikats die Gespräche mit den Orthodoxen wieder aufgenommen hat. Und 2007 haben beide Kirchen in Ravenna gemeinsam erklärt, dass die Kirche auf der örtlichen, der regionalen und der universellen Ebene einen „Protos“, einen Ersten, braucht. Das war ein Durchbruch.

Ihnen zugeordnet ist auch der Dialog mit dem Judentum?
Koch: Ja, und ich bin darüber sehr glücklich, weil das Judentum ja nicht irgendeine andere Religion ist, sondern die Mutter des Christentums. So beschäftigen wir uns mit der Versöhnung zwischen Christentum und Judentum.

Wie steht es mit dem Dialog mit den Protestanten?
Koch: Ein Problem ist, dass es innerhalb des Weltprotestantismus keine Einheit gibt, sondern immer mehr neue Kirchen. Sehr im Wachsen begriffen sind die Freikirchen und vor allem das Phänomen der evangelikalen „Pfingstbewegungen“. Die Pfingstler sind heute nach der römisch-katholischen Kirche die zweitgrößte Bewegung. Das verändert die bisherige Ökumene in großem Ausmaß. Wir müssen im Dialog mit diesen neuen Kirchen sorgfältig umgehen, damit wir mit den bestehenden Partnern keine Probleme bekommen. Wir führen derzeit insgesamt 16 Dialoge.

Wo liegen die Probleme?
Koch: Während wir neuerdings in Glaubensfragen näher kommen, gibt es vor allem bei ethischen Fragen immer mehr Kontroversen. Das ist eine ganz große Herausforderung, wenn die christlichen Kirchen zu den großen Fragen der Zeit nicht mit einer Stimme sprechen können.

In Großbritannien treten anglikanische Pfarren mit ihren Pfarrern zur katholischen Kirche über. Sind das gezielte Aktionen des Vatikan?
Koch: Erstens einmal hat es immer schon Konversionen gegeben. Diese sind Fragen des Gewissensentscheids eines Menschen. Ich möchte aber festhalten, dass dies keine Initiative des Heiligen Vaters ist. Es gibt ja Behauptungen, der Papst würde in trüben Wassern fischen. Das ist nicht der Fall. Er kümmert sich vielmehr um Fische, die auf dem Land liegen und neues Wasser suchen. Wenn von anglikanischer Seite Anfragen kommen, hat der Papst keine andere Möglichkeit, als die Türen zu öffnen.

Wird die katholische Kirche anglikanischer, wenn so viele konvertieren? Oder anders gefragt: Wie sehr verändert der ökumenische Dialog die Kirche?
Koch:Wenn bei einem Dialog sich nur eine Seite ändert, war es kein Dialog. Man lernt in der Begegnung mit anderen die eigene Kirche neu kennen. Insofern ist die Ökumene eine Bereicherung. Das ist ja das Große des Vorschlags von Papst Benedikt an die Anglikaner, dass sie ihre liturgischen Traditionen beibehalten können. Das ist ein positives Zeichen für die Zukunft, dass der Papst nicht auf Vereinheitlichung, sondern auf Vielfalt setzt.

Was ist das eigentliche Ziel der Ökumene? Alle unter dem römischen Dach oder ein friedliches Nebeneinander der Kirchen?
Koch: Dazu mus ich sagen: Die katholische Kirche, die orthodoxe Kirche und nicht wenige evangelische Christen sind nach wie vor an der Wiederherstellung der Einheit interessiert. Die bloße Anerkennung der einzelnen Kirchentypen macht die Einheit der Kirche zu einer bloßen Addition von vorhandenen Kirchentypen. Das soll dann das irdische Abbild des einen Leibes Christi sein? Das ist nicht nur schwer mit der römischen Vorstellung zu vereinbaren, sondern auch mit der biblischen. Die Jünger Jesu sollten ja eins sein.

Das II. Vatikanum war wesentlicher Antrieb für die Ökumene. Nun scheint das Gespräch eher still zu stehen. Viele sind enttäuscht ...
Koch: Unmittelbar nach dem Konzil waren die Erwartungen sehr hoch, vielleicht zu hoch. Ich vergleiche gern die ökumenische Bewegung mit einer Flugreise. Das Flugzeug braucht den rasanten Start auf der Piste und geht mit aller Kraft in die Luft. Wenn man dann aber einmal die Flughöhe erreicht hat, und man lang im Flugzeug sitzen muss, hat man den Eindruck, es bewegt sich eigentlich nichts. Trotzdem hat jeder Passagier die Hoffnung, das Ziel irgendwann zu erreichen. Das Konzil war dieser rasante Start und der Aufstieg in die Luft. Heute bewegt sich dieses Flugzeug noch immer in der Luft und hat den Zielflughafen ganz klar noch nicht erreicht. Aber wir dürfen die Hoffnung haben, dass wir das Ziel erreichen. Vor allem deshalb, weil wir den Piloten dieses Flugzeuges kennen: den Heiligen Geist.

Wie lange fliegen wir noch?
Koch: Sie dürfen eines nicht vergessen: Wir haben mit den Orthodoxen 1000 Jahre, mit den Orientalen 1500 Jahre und mit den Reformierten 500 Jahre keine gemeinsame Geschichte. Das kann man in 50 Jahren nicht so einfach lösen. Da brauchen wir einfach mehr Zeit. Die Grundtugend der Ökumene ist die Geduld. Wir brauchen die große Hoffnung, aber auch die Geduld.

Eine Geduld, mit der konfessionsverschiedene Ehepaare schwer leben können. Braucht es eine Ökumene der zwei Geschwindigkeiten - auf höchster Ebene langsamer, im Kleinen schneller?
Koch: Für mich war das Problem der konfessionsverschiedenen Ehen ein wesentlicher Anstoß, mich mit Ökumene zu beschäftigen. Aber die Unterscheidung zwischen einer Ökumene der Kirchenleitung und einer Ökumene der Basis führt uns nicht weiter. Wenn man im Dienst der Ökumene die eigene Kirche spaltet, hat man nichts erreicht und stärkt auch nicht gerade die eigene Glaubwürdigkeit. Man kann nicht Einheit suchen, indem man neue Spaltungen provoziert. Wir brauchen heute viel mehr eine innerkatholische Ökumene, um glaubwürdige Partner im Dialog mit den anderen zu sein.

Ist das ein Appell für mehr Einheit, also vatikanischen Zentralismus?
Koch: Nein. Die katholische Kirche ist kein einheitliches Gebilde, sondern hat eine enorme Vielfalt. Wenn ich an die große Vielfalt der Orden denke. Böse Zungen behaupten ja, dass nicht einmal der Heilige Geist weiß, wie viele Frauenorden es gibt. Was für mich erstaunlich ist, dass man die Vielfalt immer dort haben möchte, wo sie eigentlich nicht zu haben ist: beim Amt. Das Amt ist der Dienst an der Einheit. Wenn es also irgendwo einen Konsens zwischen Ortskirchen und der Universalkirche geben muss, dann ist es die Frage des Amtes. Daher ist es kein Zufall, dass bei der Frage der Viri Probati, der Frauenordination oder des Zölibates jeder katholische Bischof auf die Universalkirche verweisen muss. Die alte Kirche hat den Grundsatz formuliert: Einheit im Notwendigen, Vielfalt im nicht Notwendigen – aber über allem die Liebe.