Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Erwartungen an Religionslehrer sind viel zu hoch

Religionspädagoge Martin Jäggle im Gespräch mit Gerald Heschl

Martin Jäggle im "Sonntag"-Gespräch zur Frage, wie der Religionsunterricht der Zukunft aussieht

Univ.-Prof. Martin Jäggle über das Spannungsfeld von Religion und Bildung, Ethikunterricht und überforderte Religionslehrer. (© Foto: Georg Haab / Sonntag)
Univ.-Prof. Martin Jäggle über das Spannungsfeld von Religion und Bildung, Ethikunterricht und überforderte Religionslehrer. (© Foto: Georg Haab / Sonntag)
Religionspädagoge Univ.-Prof. Dr. Martin Jäggle (© Foto: haab)
Religionspädagoge Univ.-Prof. Dr. Martin Jäggle (© Foto: haab)

Sie halten den Festvortrag zu 5 Jahre kphe-Kärnten und sprechen von einem Spannungsverhältnis von Religion und Bildung. Wo liegen die Spannungsfelder?
Jäggle: Einerseits in einem Verständnis von Bildung, die der Religion nicht bedarf. Religion wird darin als etwas geschichtlich Vergangenes betrachtet. Das ist eine Position, die vielleicht verständlich, aber nicht zukunftsweisend ist. Andererseits in einem Verständnis von Religion, die der Bildung nicht bedarf. Man glaubt, man kann ein Leben lang Katholik sein, ohne sich zu bilden. Das soll vorkommen.

Also Bildung als Voraussetzung für die Ausübung der Religion?
Jäggle: Christsein ist auf lebenslange Bildung angewiesen. Die Kirche hat sich im Konzilsdokument „gaudium et spes“ als lernende Kirche definiert. Das ist Voraussetzung für eine angemessene Verkündigung des Evangeliums. Da steht auch, dieses Hören dient einem vertieften Verständnis der Wahrheit. Heute bedarf der Glaube der Begründung, der Rechtfertigung. Da brauche ich Bildung, in der ich auch meinen Glauben begründen kann. Das ist ein Vorgang, in dem ich nicht Worte anderer verwende, sondern authentisch bin. Aber Authentizität ist ohne Mündigkeit nicht möglich, und Mündigkeit gibt es ohne Bildung nicht.

Aber Glaubensbildung wird systematisch aus der Schule gedrängt ...
Jäggle: Ja, weil es ein Störfall ist. Diese Vorstellung der religionsfreien Schule wird bemerkenswerter Weise von den großen überstaatlichen Institutionen überhaupt nicht geteilt. Der Europarat, sicher ein Inbegriff an Säkularität, spricht von einer religiösen Dimension von Schulkultur und sagt klar, das hat einen Platz in der Schule. Ein Stück anders formuliert es die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Sie sagt sogar, religiöse Bildung ist ein Qualitätsmerkmal für Schulen. Das sind nur zwei von vielen Beispielen.

Das deutet schon in Richtung eines umfassenderen Verständnisses von Religion. Sollte Religion nicht fächerübergreifend eine Rolle spielen?
Jäggle: Ich habe ein Seminar „Schulentwicklung und Religion“ für Studierende aller Lehramtsstudien gegründet. Denn ich halte es für ganz wichtig, dass alle eine religiöse Basisbildung haben, weil sie dann angemessener damit umgehen können. Es wird ja nicht nur im Religionsunterricht über das Christentum nachgedacht, sondern auch im Deutschunterricht. Es wird ja auch nicht nur im Religionsunterricht über den Islam nachgedacht. Die Schulbuchanalysen zeigen – etwa für den Geschichtsunterricht –, welches verzerrte Bild von Christentum dort gezeichnet wird. Vom Islam ganz zu schweigen. Das heißt, Religion ist ein Thema, das faktisch viele Fächer betrifft. Daher bräuchte es eine Basisbildung.

Derzeit läuft ein Match Ethikunterricht contra Religion. Wie sehen Sie die Situation?
Jäggle: Da möchte ich zuvor festhalten: Der Kern des Religionsunterrichtes ist die Frage nach Gott. Diese größte und tiefste Frage darf nicht ausgeblendet werden. Das ist eine Frage, der sich der Ethikunterricht noch gezielt stellen muss. Auf der Homepage der Ethiklehrer Bayerns stand eine Zeit lang die Frage: „Glauben Sie noch, oder denken Sie schon?“ Ethikunterricht als Ort der Religionsfeindlichkeit ist kein Ort der Bildung, sondern der Indoktrinierung auf zeitgeistigen Füßen.

Angesichts der mangelnden religiösen Sozialisierung der Kinder in der Familie scheint Indoktrinierung einfach. Ist das für Sie ein Problem?
Jäggle: Nein, das ist überhaupt kein Problem. Alle Kinder, die in die Schule kommen, haben ihre religiöse Biografie. Entweder in der Distanz oder in der Nähe. Sie sind ein beschriebenes Blatt , nur manchmal halt mit Geheimtinte geschrieben, die der theologisch Gebildete nicht so lesen kann. Es stimmt schon, die Kinder bringen wenig traditionell christliches Wissen mit. Aber sie bringen jede Menge Fragen mit. Daher ist es wichtig, die Kinder zu unterstützen, über Gott und die Welt zu denken. Der Religionsunterricht ist ein Ort des Nachdenkens.


Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht?
Jäggle: Aufgrund der dramatischen Geschichte der Kirche im Umgang mit Verschiedenheit muss unverändert bei einem kirchlich verantworteten Religionsunterricht die Möglichkeit der Abmeldung bestehen.

Sind Feste und Feiern eine Möglichkeit, diesen Schülerinnen und Schülern Religion nahezubringen?
Jäggle: Ja, denn Religion ist ein Thema für die ganze Schule, bei allen Themen, die für Kinder Religion bedeuten: Feiern, Hoffnung, Trauer, Leid, bis zu den Schulfesten. Wenn sich die Schule des Themas entledigt, wird der Religionsunterricht eine Art von Reservat. Sie leistet sich dann das Reservat „Religion“ an der Schule, ohne zu überlegen, welche Relevanz die Religion für die ganze Schule hat.

Es regt sich ja immer wieder in Elternvereinen Widerstand gegen religiöse Schulfeste. Wie geht man damit um?
Jäggle: Ich würde nichts gegen jemanden durchsetzen. Hier muss man eine breite, gemeinsame Basis finden, aber auch respektieren, dass es für Menschen wichtig ist, sich zu distanzieren. Das ist ein schwieriges Geschäft, aber notwendig. Religiöses Bekenntnis, auch Feier und Gebet, ist an Freiheit und Freiwilligkeit gebunden. Die Möglichkeit des Nichtglaubens ist Voraussetzung für die Realität des Glaubens und nicht ein Zeichen des Scheiterns.

Wie wird der Religionsunterricht in Zukunft, sagen wir in 10 Jahren, aussehen?
Jäggle: Er stützt und stärkt die Kinder, sich zu bilden, strukturiert über Religion nachzudenken, das Proprium von Religion zu entdecken, aufzuschlüsseln und von daher glaube ich, dass in 10 Jahren der Religionsunterricht etwas entlasteter sein wird. Momentan bestehen so viele Ansprüche: Er ist für alles zuständig, was andere nicht leisten und von daher überfordert – von der Schule, den Eltern, der Kirche. Jeder weiß, was der Religionsunterricht nicht tut. Und das in einer Zeit, in der die Religionslehrerin nicht durch das Fach gestärkt wird, sondern in der ihre Person das Fach stärkt. Zukünftig gesehen wird es immer weniger Menschen geben, die in der Lage sind, das über einen angemessenen Zeitraum in Angriff zu nehmen. Religionslehrer ist ein Mangelberuf. Es geht nicht darum, das lässiger zu machen, sondern in 10 Jahren müssen die Prioritäten klar sein.

Wie muss sich die Religionspädagogik darauf einstellen? Was bedeutet das auch für die Kirche und für die Eltern und Schüler?
Jäggle: Alle meinen zu wissen, was Religionslehrer heute tun sollen. Aber die Frage müsste vielmehr lauten: Was lernt die Kirche von den Religionspädagogen? Also von Menschen, die 20 und mehr Stunden im Gespräch mit Kindern sind? Wir haben in Österreich wohl fünfmal mehr ExpertInnen für Kinder als Priester. Religionslehrer sind in den Pfarrgemeinderäten. Das ist eine enorme Chance, Kinder heute zu verstehen. Das sollte mehr genutzt werden.