Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die größte Christenverfolgung der Geschichte

Thomas Heine-Geldern, Präsident von "Kirche in Not" im SONNTAG-Gespräch

„Kirche in Not“ (KiN) ist in über 140 Ländern aktiv und hat 2016 weltweit 125 Mio. Euro Spenden gesammelt. Da hat man wohl ganz bewusst jemanden wie Sie, der langjährige Erfahrung in leitender Position in internationalen Konzernen hat, zum Geschäftsführenden Präsidenten bestellt.
Heine-Geldern: Augenscheinlich haben die Entscheidungsträger gemeint, dass meine beruflichen Erfahrungen meine geringe Kenntnis von kirchlichen Institutionen ausgleichen können: Ich habe in einem großen Papierunternehmen einen Teilbereich, der in 15 Ländern vertreten war, geleitet und ich kann mich in drei Sprachen verständigen. Bei „Kirche in Not“ geht es auch darum, die 23 Landesorganisationen mit der Zentrale in Königstein zu koordinieren und die Voraussetzungen zu erhalten, dass alle Mitarbeiter weiterhin gute Arbeit leisten können.

Thomas Heine-Geldern, Welt-Präsident von “Kirche in Not“  (@Kirche Bunt)
Thomas Heine-Geldern, Welt-Präsident von "Kirche in Not"  (@Kirche Bunt)

Haben Sie sich über die Berufung ins Amt gefreut?
Heine-Geldern: Die Aufgabe ist mit deutlich mehr Arbeit verbunden als man vielleicht glaubt, aber es ist eine schöne Aufgabe. Und wenn ich das alles mit der Hilfe von oben schaffe, was ich mir vorgenommen habe, wäre es ein schöner Abschluss meiner 45-jährigen Berufstätigkeit. Für mich ist es spannend, in diesem Umfeld etwas voranzubringen.

Werenfried van Straaten, der sogenannte „Speckpater“, hat „Kirche in Not“ nach dem Krieg als „Ostpries­terhilfe“ gegründet. Ist von seinem Geist heute noch etwas lebendig?
Heine-Geldern: Wir zehren von seinem Charisma heute noch. Er hat „Kirche in Not“ auf drei Säulen aufgebaut – Gebet, Information und Hilfe für die notleidenden Brüder und Schwes­tern; das ist nach wie vor unsere Basis. Der Auftrag an uns ist, dass wir aus der Kraft, die er gehabt hat, uns weiterentwickeln und uns neuen Situationen anpassen müssen.

Sie waren vor kurzem im Irak. Wie stellt sich die Situation für die Christen dort dar, nachdem der IS besiegt zu sein scheint?
Heine-Geldern: Ich war Anfang April mit der Deutschen Bischofskonferenz in der Ninive-Ebene. Von Mossul aus sind 2014 nach dem Angriff des IS über 120.000 Christen nach Kurdis­tan geflohen. Rund 50 Prozent der Rückkehrwilligen sind bereits zurückgekehrt und viele andere Christen wollen ihnen folgen. Es ist uns gelungen, die christlichen Kirchen vor Ort – das sind die syrisch-orthodoxen, die syrisch-katholischen und die chaldäischen – an einen Tisch zu bekommen und das NRC (Nineveh Reconstruction Committee) für ein Wiederaufbauprogramm zu bilden. Damit soll die Rückkehr der Christen in das Gebiet ermöglicht werden.

Wieviel Mut brauchen die Christen, um in die Ninive-Ebene zurückzukehren?
Heine-Geldern: Die Lebensumstände für Minderheiten machen es auch für Christen weiterhin schwer, im Land zu bleiben. Vor dem Ers­ten Weltkrieg war der Anteil der christlichen Bevölkerung im Nahen Osten noch 20 Prozent, jetzt ist er unter vier Prozent. Das heißt nicht, dass alle ermordet oder vertrieben wurden, aber viele sind freiwillig gegangen, weil für sie die Situation zu belastend war. Die Lage vor Ort ist insgesamt sehr komplex, da gibt es nicht nur religiöse, sondern auch ethnische und wirtschaftliche Probleme. Und was wir auch beobachtet haben, war, dass manche Häuser von Christen in der Ninive-Ebene, nachdem der IS vertrieben wurde, noch intakt waren und erst danach geplündert oder zerstört wurden. Das ist natürlich nicht so vertrauensfördernd. Die Christen im Irak gehören zum Mittelstand und sind gebildet. Wir haben dort z. B. mit zwei jungen christlichen Männern gesprochen, die gut Englisch konnten. Sie haben gesagt: „Hier sind wir zu Hause und hier werden wir gebraucht.“ Wie es weitergeht, hängt von der gesamtpolitischen Situation ab und davon, ob es als Weltgemeinschaft gelingt, dort eine Art von Stabilität zu erzeugen.

Hätten sich die Christen im Irak oder in Syrien mehr Unterstützung vom Westen erwartet?
Heine-Geldern: Die Christen dort sagen zu uns: „Ohne die Unterstützung von ,Kirche in Not‘ wären wir nicht geblieben.“ „Kirche in Not“ hat nicht nur direkt unterstützt, sondern Know-How und Kontakte zu anderen Hilfsorganisationen und NGOs zur Verfügung gestellt. Allerdings waren die Erwartungen an die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft auf Grund deren Ankündigungen deutlich höher.

Wo liegt der Schwerpunkt der Arbeit von Kirche in Not derzeit?
Heine-Geldern: Wir wissen, dass wir in Syrien und im Irak noch einiges zu tun haben und hoffen, dass da im humanitären Bereich die internationale Hilfe bald anläuft. Wo wir besondere Sorgen haben, sind immer wieder Prob­lemgebiete in Afrika. Aber auch Südamerika und  Südostasien bleiben weiter in unserem Fokus. Wir dürfen nicht vergessen, wir leben in der Zeit der größten Christenverfolgung. 100 Millionen Menschen werden weltweit verfolgt, weil sie Christen sind. Sorgen bereiten uns auch Länder wie Pakistan oder Indien, wo die Chris­tenverfolgung im Norden des Landes stärker wird. Auch in China wird das Leben für die romtreuen Christen immer schwieriger. Die Situation ist zwar von Provinz zu Provinz unterschiedlich, aber insgesamt versucht der chinesische Staat immer stärker, die Verbreitung des Christentums in der nächsten Generation zu verhindern. Da wird z. B. Kindern die Teilnahme am Gottesdienst untersagt oder sie werden aus der Kirche geholt. „Kirche in Not“ erstellt alle zwei Jahre einen „Religious Freedom Report“, der über den Stand der Religionsfreiheit in allen Ländern der Welt berichtet.

Gibt es Länder, wo sich die Situation so entwickelt hat, dass KiN ihr Engagement reduzieren kann?
Heine-Geldern: „Kirche in Not“ war in den letzten Jahrzehnten nachhaltig und maßgeblich am Aufbau der Kirche in den osteuropäischen Ländern engagiert. Da gibt es keine Kirche, kein Seminar, die bzw. das nicht mit unserer Hilfe aufgebaut worden ist. In diesen Ländern fördern wir gezielt jetzt nur mehr wenige Projekte. Die Kirche in Polen oder der Slowakei z. B. ist so gefestigt, dass wir dort schon Landesorganisationen haben. In Rumänien unterstützen wir vor allem pastorale Einrichtungen für die dortigen Roma.

Beschäftigt „Kirche in Not“ auch die Situation der Christen in Europa oder insgesamt in der westlichen Welt?
Heine-Geldern: Die besondere Aufgabe der Päpstlichen Stiftung „Kirche in Not (ACN International)“ ist es, der katholischen Kirche dort zu helfen, wo sie materiell nicht in der Lage ist, ihren Auftrag zu erfüllen, wo sie in ihrer Existenz gefährdet oder in ihrer Aufgabe behindert wird, wo sie verfolgt ist und wo ihre Stimme zu verstummen droht. Natürlich ist es auch Aufgabe jedes einzelnen unserer Freunde und Wohltäter sowie aller ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiter, in ihrem persönlichen Umfeld Zeugnis für das Evangelium Jesu Christi zu geben und als kleine Leuchttürme den Glauben in der westlichen Welt zu stärken.