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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die EU-Wahl ist eine Schicksalswahl

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im SONNTAG-Gespräch

Kathrin Stainer-Hämmerle (Foto: Furgler/privat)
 Politik- und Rechtswissenschaftler Dr. Kathrin Stainer-Hämmerle

 

Am 26. Mai finden die EU-Wahlen statt. Nun stellt sich für viele die Frage: Wählen wir die österreichischen Parteien, wählen wir die Europäischen Parteien? Dann ist die EU selbst ja auch aufgegeteilt in Rat, in Kommission und Parlament? Wen wählen wir eigentlich genau?
Stainer-Hämmerle: Im Grunde wählen wir das Parlament, also das gesetzgebende Organ. Das Problem ist aber schon, dass die Wahl immer noch national geschieht. Man wählt einen von vielen, weiß aber nicht genau, welche Auswirkungen das dann auf EU-Ebene hat. Dadurch besteht die Gefahr, dass eine europäische Wahl doch mit nationalen Themen ausgetragen wird.

Bei der Diskussion mit den Kärntner Spitzenkandidaten im Diözesanhaus sprachen Sie von einer „Schicksalswahl“. Was macht diese Wahl so besonders?
Stainer-Hämmerle: Es geht schon ganz massiv um die Zukunft der EU. Bisher hatten die EU-Wahlen eine sehr geringe Wahlbeteiligung. Das lag daran, dass EU-Skeptiker keinen Sinn sahen, diesem Gremium ihre Stimme zu geben. Sie blieben eher zu Hause. Jetzt besteht die Möglichkeit, mit der neuen Union rechtsnationaler Parteien ausgewiesene EU-Gegner zu wählen. Man wird sehen, welche Rolle diese dann spielen werden. Das kann für die EU und ihre Entwicklung unvorhersehbare Folgen haben. Wobei es auch diesen Parteien erst gelingen muss, EU-Gegner von der Sinnhaftigkeit einer Wahlbeteiligung zu überzeugen. Das sehe ich derzeit noch nicht.


Bei ihren Zukunftsvorstellungen zur EU sind die Parteien ja gewaltig gespalten.
Stainer-Hämmerle: Ja. Da gibt es ganz gegensätzliche Konzepte: mehr Europa im Sinne von „Vereinigten Staaten von Europa“, wie es die Neos wollen, dann mehr Europa vor allem im Sozialbereich auf Seiten der SPÖ. Die ÖVP will einen neuen Vertrag mit weniger Europa, aber dafür effizienter, und die FPÖ strebt überhaupt ein Europa der starken Nationen an. Die Frage, was will eine Partei auf europäischer Ebene, sollte meiner Meinung nach auch der wichtigste Grund sein, die eine oder die andere Gruppierung zu wählen.  

Wenn Sie den bisherigen Wahlkampf Revue passieren lassen: Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Positionen?
Stainer-Hämmerle: Ich habe das Gefühl, dass neben den formalen Fragen über die Struktur der EU doch Sachthemen Einzug gefunden haben. So waren viele Parteien davon überrascht, dass der Klimawandel als Thema plötzlich an Bedeutung gewonnen hat. Besonders auffällig ist, dass die Neos die einzige Partei sind, die eine Frau – noch dazu eine junge Frau – als Spitzenkandidatin aufgestellt haben. Sie vertritt eine außergewöhnlich starke pro-europäische Linie, die mutig ist, aber gezielt ein gewisses Wählerspektrum anspricht. Bei den anderen sind mehr die routinierten, zynischen Männer vertreten. Da fehlt das Frische, die Emotion.

Kommt das vielleicht noch im Zuge des Wahlkampfes?
Stainer-Hämmerle: Ich kann mir schon vorstellen, dass es kurz vor den Wahlen noch einmal zu einer Zuspitzung kommt, indem das Gegenspiel rechts-links stärker zur Geltung kommt. Insofern, als die rechten Parteien noch stärker gegen die EU mobilisieren, wogegen die linken Parteien vor dem Rechtsruck warnen und ihre Wähler damit gewinnen.

In den Diskussionen fällt auf, dass die Jugend die EU sehr positiv sieht: die offenen Grenzen, die Möglichkeit, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten. Dagegen liegen die Ängste mehr bei den älteren Menschen. Gibt es bei diesem Thema einen Graben zwischen den Generationen?
Stainer-Hämmerle: Wir stehen hier von einem Paradoxon, das nicht nur diese Wahl betrifft: Je älter eine Gesellschaft wird, desto sicherer wird sie. Gleichzeitig aber wird sie ängstlicher, weil ältere Menschen einfach mehr Ängste haben. Deshalb beobachten wir einen eklatanten Bruch zwischen der objektiven Faktenlage einer sicherer werdenden Gesellschaft und den subjektiv gefühlten Ängsten. Das ergibt auch den sehr unterschiedlichen Blickwinkel auf die EU. Vielleicht ist das ja auch ein Grund, warum so viele ältere Männer zur Wahl stehen, weil sie die Mehrheit der älteren Wähler besser ansprechen.

An der EU wird oft kritisiert, sie erreiche zu wenig die Herzen.
Stainer-Hämmerle: Ich glaube, dass dies bei Menschen gelingt, die mobil sind. Ich war letzten Sommer mit einer Gruppe in Kaliningrad und bei der Rückreise wurden wir sehr intensiv durchsucht. Da war die Empörung groß und viele sagten: Wir sind doch EU-Bürger – warum machen die uns solche Schwierigkeiten? In solchen Momenten schlägt das Herz also durchaus für die EU. Wenn wieder Barrieren aufgebaut werden, dann entdeckt man die EU als Heimat und findet den Zusammenhalt, der derzeit fehlt.

Die EU ist (noch) kein Projekt, das die Herzen der Menschen erreicht (Foto: EU)
Die EU - fehlt die Identifikation? (Foto: EU)

Ist der fehlende Zusammenhalt auch ein gesellschaftliches Phänomen?
Stainer-Hämmerle: Ja, und das hat nichts mit der EU zu tun. Wenn sich die Ränder der Gesellschaft aufwölben und die solidarische Mitte kleiner und enger wird, dann schwindet die gemeinsame, uns verbindende Basis. Dann wird es auch schwieriger, einen Konsens bei wichtigen Fragen wie etwa der Migration zu finden und sich mit anderen – auch Europäern – zu solidarisieren.

Was wäre zu tun?
Stainer-Hämmerle: Es geht eigentlich nur über Bildung. Ich würde vorschlagen, dass man statt einer Wienwoche eine Brüsselwoche macht. Das gilt auch für die Erwachsenenbildung. Dann kommt man drauf, dass vieles, was hier von der EU erzählt wird, nicht stimmt. Etwa das Vorurteil von der Beamtenburg: Die ganze EU hat weniger Beamte als die Stadt Wien. Auch dass die Abgeordneten abgehobene Eliten sind, stimmt ganz und gar nicht. Ich erlebe immer wieder: Wenn Leute einmal in Brüssel bei der EU waren und sich selbst ein Bild gemacht haben, kommen sie beeindruckt zurück.