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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Bleiburger Tragödie   – aus anderem Blickwinkel

Ein Gespräch zum größten Kriegsverbrechen Europas nach dem 8. Mai 1945 mit Trauerseelsorger Johannes Staudacher und dem kroatischen Theologen Franjo Vidović

Foto: pixabay.com/toralt
Das größte Kriegsverbrechen Europas nach dem 8. Mai 1945: Das Gedenken daran wurde zu einem Treffpunkt für Nationalisten instrumentalisiert. Durch Verbote konnte ein vordergründiger Frieden gewonnen werden. Aber genügt das?

Die Ukraine und der Nahe Osten lassen uns spüren, was Krieg und Gräuel bedeuten. In Kärnten steht das Bleiburger Feld für eines der Nachkriegsverbrechen. Was machen verdrängtes Leid und nicht zugelassene Trauer mit Menschen?
Staudacher: Die Beschäftigung mit Trauer kennt eine Grunderfahrung: Wenn der Grund für Schmerz von außen nicht anerkannt wird, wird alles schwerer. Wer leidet, braucht auch die Anerkennung, dass sein Leid berechtigt ist und Gründe hat. Aberkannte Trauer belastet den Menschen auf Dauer und schädigt ihn in der Seele. Zulassen der Trauer, von innen und von außen, ist entscheidend dafür, wie das Weiterleben gelingen kann.

War und ist zur Bleiburger Tragödie wirkliche Trauer möglich, angesichts der Vereinnahmung durch Rechtsextremisten einerseits und der Leugnung des kommunistischen Massenmordes?
Vidović: Wenn die Extreme zu laut werden, bleibt die Mitte auf der Strecke. Bleiburg war im untergegangenen Jugoslawien 45 Jahre lang ein Tabuthema. Wer darüber geredet hat, kam ins Gefängnis. Dabei betraf es keine kleine Gruppe: Man redet von bis zu 200.000 Getöteten, angefangen von Bleiburg bis zu den sogenannten Kreuzwegen durch ganz Jugoslawien. Es gibt kaum Familien, die davon nicht betroffen sind.

Das heißt: Bleiburg steht sozusagen als Symbol auch für die anderen Orte des Verbrechens im ehemaligen Jugoslawien?
Vidović: In Bleiburg selbst wurden gar nicht so viele umgebracht, aber es war der Beginn der Verfolgung, die Gräber finden sich bis an die Grenze zu Griechenland. Die Opfer waren vor allem Zivilisten, die vor den anrückenden sowjetischen Truppen bzw. den kommunistischen Partisanen geflüchtet sind. Sie sind nicht geflüchtet, weil sie schuldig waren, sondern weil Panik entstanden ist. Das kennen wir aus allen Kriegen, und sie war durchaus berechtigt. Wenn man bedenkt, dass die Partisanen im Februar 1945 mehr als 50 Franziskaner umgebracht haben, der jüngste war 19, der älteste 82 Jahre alt, sie aus dem Kloster hinausgetragen, angezündet usw. Die Gräueltaten waren bekannt.
Weil die Erinnerung an die unschuldig Ermordeten in der Heimat lange nicht möglich war, war Bleiburg der Ort, mit dem man alle anderen Orte verbunden hat, an denen man nicht trauern durfte. Es wäre schmerzlich für all jene, die ihre Verwandten verloren haben und nicht wissen, wo sie begraben sind, dass sie nicht mehr an diesem Ort trauern dürfen, an dem alles begonnen hat.

Wie sehen Sie das aus der Sicht der Trauerseelsorge?
Staudacher: Der Schmerz muss auch laut werden dürfen. Das konnte er im ehemaligen Jugoslawien nicht, in Bleiburg konnte er es. Ich verstehe, dass die Kirche lieber die Dinge hat, die ruhig sind. Aber Schmerz ohne Aufbegehren, ohne Anschuldigungen, ohne Vorwürfe geht nicht. Wie sollen Menschen Versöhnung als Zukunft finden, wenn sie vorher nicht ihren Schmerz, ihre Not, auch ihre Rachegefühle ausdrücken dürfen, um darüber hinauszugehen?
Etwas Wichtiges in der Trauer, im Abschiedsschmerz ist die Geografie. Trauer gibt es nicht im luftleeren Raum. Sie braucht und sucht Orte, wo solches Gedenken festgemacht wird. Es gehört wesentlich dazu, diese Orte zu schaffen, zu gestalten, zu haben. Das ist eine Art Menschenrecht. An diesen konkreten Orten kann etwas von Trauer gelebt und damit auch hinter sich gelassen werden.

Trauer muss fließen. Die einfachste Form, wie sie fließen kann, sind Tränen und Worte.

Kommen wir dem Problem näher, wenn wir versuchen, auf die Menschen zu schauen, die zwischen den Mühlsteinen von Nazi-Regime hier und kommunistischen Partisanen dort zermahlen wurden? Blieben sie nicht auch nach dem Krieg zwischen diesen Mühlsteinen, weil Nationalisten das Gedenken instrumentalisierten?
Vidović: Wer kommt heute nach Bleiburg? Es sind Nachkommen. Damit wird geschichtliches Wissen wichtig. Was nicht aufgearbeitet wurde, wird durch die Generationen weitergetragen und spaltet die Menschen, bis heute.
Ich war selbst einige Male am Bleiburger Feld, zum ersten Mal noch unter kommunistischer Herrschaft, als man noch nicht durfte. Dann kommen die Erinnerungen an die Menschen, deren Geschichte ich gehört habe oder die sie mir im Gefängnis erzählt haben.
Staudacher: Unrecht muss zuerst bekannt und auch anerkannt werden, auch öffentlich, sonst gibt es keine Entwicklung in Richtung Versöhnung. Das ist für mich z. B. das Problem Russlands: Das Land hat sich nie in den Prozess der ehrlichen Rückschau begeben und angeschaut, was Stalin gemacht hat. Deshalb kann Putin regieren wie Stalin, mit Unterdrückung und Gewalt. Aber es ist wohl auch ein christlich-katholisches Problem, dass wir gerne versöhnen wollen, bevor Schmerz und Auseinandersetzung Raum hatten; aber so geht es nicht.

Wie können wir uns diesem Schmerz annähern, den es zu betrauern gilt?
Staudacher: Indem wir Erzählungen von Menschen Platz geben, ohne gleich Angst zu haben, welche Dynamik das auslösen könnte. Und noch eines: Es gibt das Geografische, aber auch den Kalender. Viele erzählen von den Tagen, an denen die Erinnerung wieder so mächtig kommt. Solche Zeiten lassen sich nicht beliebig herumschieben, so wenig wie Orte. Der Mensch ist so gebaut, und er hat ein Recht auf diese Zeiten.
Vidović: Mich hat die Polizei an einem Gründonnerstag abgeholt, weil ich über diese Dinge reden wollte. Die Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag lässt das für mich jedes Jahr wieder aufleben. Das Datum von Bleiburg ist der 15. Mai, ein Datum im Frühling, wo alles neu wird, blüht und man plant – und eine ganze Generation wird vernichtet. Auch zu Allerheiligen gehen wir auf den Friedhof, aber der 15. Mai hat eine ganz andere Emotion.

Was würden Sie sich wünschen?
Vidović: Die Feier der letzten Jahre stand unter der Schirmherrschaft des kroatischen Parlaments und der kroatischen Bischofskonferenz. Es geht nicht um Werbung für Ustascha oder Rechtsextreme, sondern um eine anerkannte Tragödie unseres Volkes, um Gottesdienst und Kranzniederlegung usw. Es ist schade, wenn meine Trauer an diesen Orten und Daten nicht stattfinden kann, wenn sie von den anderen und auch von der Kirche nicht anerkannt wird. Wir denken, die Kärntner müssten Verständnis dafür haben ...
Staudacher: Ich bin Kärntner, und ich habe durch Maja Haderlap erstmals das Thema Partisanen kennengelernt. Das Thema gab es hier nicht. Und dass Katholiken, die sich den Partisanen angeschlossenen haben, nachher unter den eigenen Leuten plötzlich die Ungeliebten waren – all das war uns fremd. Es gilt zu lernen: Was ist in unserem eigenen Land geschehen? Wir haben zu viele, die wollen, dass man nicht redet – immer noch. Im Trauergespräch sagte jemand: „Das Schlimmste bei uns nach dem Suizid des Bruders war: Man durfte nicht darüber reden. Das war schlimmer als der Suizid.“ Trauer muss fließen. Die einfachste Form, wie sie fließen kann, sind Tränen und Worte. Und die Kirche sollte ein Ort dafür sein. Der große ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hat gesagt: „Wer, wenn nicht die Gemeinschaft, wo es um Vergebung geht, sollte den Mut haben zu sagen: Schauen wir uns das ehrlich an.“

Interview: Georg Haab

Hintergrund: Die "Bleiburger Tragödie" steht symbolisch für eines der größten Nachkriegsverbrechen. Beginnend auf dem Bleiburger Feld, wo die englischen Truppen Flüchtende, die sich vor der Herrschaft der Tito-Partisanen retten wollten, der jugoslawischen Volksarmee auslieferten, begann eine wochenlange „Reinigungsaktion“ gegen „antikommunistische Gegner“. Die Ermordeten waren nicht alle tadellose Antikommunisten; unter den 70.000 bis 200.000 Opfern waren Faschisten und Nazis, die selbst Blut an den Händen hatten, aber ebenso zahlreiche unschuldige Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden von Loibach bis in den Süden des ehemaligen Jugoslawien in Massengräbern verscharrt, und es war verboten, diese Verbrechen auch nur zu erwähnen. Bis heute sind nicht alle Gräber gefunden, ist die Aufarbeitung sehr mühsam, zu viele wurden in irgendeiner Weise schuldhaft in die Tragödie verstrickt und scheuen die schmerzhafte Erinnerung, die möglicherweise auch eigene Familienangehörige betrifft.

Zur Person: Mag. Johannes Staudacher, geb. 1954, ist Pfarrer von Klein St. Veit und Trauerseelsorger. P. Dr. Franjo Vidović, geb. 1960 in Kroatien, Franziskaner, leitet das Institut für Religionspädagogik Klagenfurt der Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum/Graz.