Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Begegnung mit dem Auferstandenen rückt auch unser Kreuz in neues Licht

Jozef Niewiadomski im Gespräch mit Georg Haab zum Wert des Glaubens in einer krisengeschüttelten Welt, was Auferstehung im eigenen Leben bedeuten kann und was das Heilig-Haupt-Bild ihm sagt

Foto: Georg Haab
Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)

Was sind nach Ihrer Wahrnehmung die größten Herausforderungen, die die Kirche aktuell zu bewältigen hat?
Niewiadomski: Vor zwei Monaten hätte meine Antwort anders ausgesehen. Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges ist das anders: Er produziert sehr großes Leid – ich denke an die Menschen in der Ukraine, an alle Flüchtlinge –, aber er hat auch unser Denken in Frage gestellt. Wir dachten, die Entwicklung der Welt zumindest in Europa ginge linear in Richtung liberaler Demokratien mit Menschenrechten, Sozialstaat, Säkularisierung. Und das größte Problem der Kirche seien die fehlende Demokratisierung, das Geschlechterproblem usw. Nun ist dieses Denken erschüttert worden. Wir wissen nicht, was noch Schlimmeres kommt.

Was lautet Ihre Antwort heute?
Niewiadomski: Der unverzichtbare und größte Wert von Religion zeigt sich, wenn die Ethik zusammenbricht, bei der sogenannten Katastrophe der Ethik. Jeder Krieg ist eine Katastrophe der Ethik. Es gibt nicht den Bösen und den Guten, denn in der Selbstwahrnehmung der Kriegsgegner ist jeweils der andere der Böse. Jeder glaubt, er selbst benehme sich ethisch verantworlich. Die Theorie vom gerechten Krieg, die seit Thomas von Aquin gepflegt wurde, wurde immer so gelebt, dass jede Partei glaubte, sie führe den gerechten Krieg.
Wie aber kommen Gegner wieder ins Gespräch, wie kommt es zu Versöhnung? Hier ist Religion unverzichtbar. Die zentrale große Herausforderung der Kirche, die hierzulande sehr geschwächt ist durch Vertrauensverlust usw., ist, sich neu zu buchstabieren in diesem Kontext. Die erste Frage ist: Wie geht es weiter, wenn ich gescheitert bin? Sowohl das Evangelium vom verlorenen und zurückgekehrten Sohn als auch unzählige andere Topoi der biblischen Botschaft sagen: Es geht weiter. Wie kann ich also durch Scheitern, durch Sackgassen hindurch nicht nur neu anfangen, sondern mit dem, was war, weiterleben? Da geht es um die Korrektur von Schablonen. Natürlich sind Fragen, Mitbestimmung, die Frage der Frauen usw. wichtig, aber man sollte die Wertungen anders verteilen. Wenn wir das nicht tun, werden wir uns zu Tode reformieren. Die vielbeklagte und hochgelobte Teilnahme an der Pfarrgemeinderatswahl zeigt nicht nur, dass Menschen denken, ich kann eh nichts entscheiden, weil das die Hierarchie macht. Sie zeigt auch, dass den Menschen nicht ganz klar ist, was die Bedeutung des religiösen Engagements ist. Wodurch unterscheidet sich eine Pfarre von z. B. einer politischen Partei?

Vor diesem Sich-Verlieren in Reformen und Detailfragen: Vor welche Lösungsansätze stellt uns die Realität? Oder anders: Was möchte Gott uns damit sagen?
Niewiadomski: Ich habe die Heilig-Haupt-Predigten unter das Generalthema gestellt: Was lässt mich noch glauben? Die erste Predigt fragt: Haben wir ein Ziel vor Augen? Der Wert des Glaubens ist die Vermittlung eines Vertrauens, und dass es ein Ziel gibt. Das kann verdunkelt und vernebelt werden. Ein „Halte durch!“ ist zu wenig. Es gibt die Geschichte der Frau, die 1952 den Catalina-Kanal durchschwimmen wollte. Es war neblig, die Kälte, die Gefahr, die ständige Angst, dass ihre Kräfte nachlassen. Da hat sie sich ständig gesagt: „Halte durch, halte durch!“ Aber es ging nicht, nach 16 Stunden brach sie zusammen, eine halbe Meile vor dem Ziel. Da hat sie gesagt: „Hätte ich das Ziel gesehen, wäre ich angekommen.“ Ohne Ziel war das Vertrauen weg. Ein halbes Jahr später hat sie es bei guter Sicht wieder versucht und die Rekorde geschlagen, die bis dahin die Männer gehalten haben.

Wie kann man heute – in einer Situation, die viele als apokalyptisch bewerten – die zentrale Wahrheit des Christentums beschreiben?
Niewiadomski: Das Christentum in biblischer Tradition steht und fällt mit der gläubigen Überzeugung, dass dieses Leben nicht das Letzte ist, sondern dass es eine Vollendung durch den Tod, durch Sackgassen, durch Brüche hindurch gibt. Daraus ergibt sich die Haltung der Gelassenheit. Gelassenheit selbst in schlimmsten Situationen. Das ist eine alte kirchliche Überzeugung: Der gläubige Mensch sagt: Auch wenn die Welt morgen untergeht, lohnt es sich heute, sich zu engagieren und nicht in Panik zu geraten. Ich bin meinem Lehrer Raymund Schwager sehr dankbar, der mich gelehrt hat: Jesus war kein Apokalyptiker. Er war nicht in der Partei von Johannes dem Täufer, nicht bei den Essenern und in Qumran. Natürlich gibt es ausweglose Situationen im Leben, in denen man das Gefühl hat, es ist zu Ende. Man versucht, es zu verhindern, und es kommt unter Umständen noch schlimmer. Wie am Karfreitag. Was nachher kommt, ist nicht das schnelle Wunder, sondern die entsetzliche Leere des Karsamstags: Grabesruhe. Und die Auferweckung? Ein unerwarteter Neubeginn, der eine Neubewertung möglich macht. Die Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern von Emmaus rückt das Abendmahl vom Gründonnerstag und das Kreuz in ein neues Licht. Das Kreuz und die Auferstehung stellen so etwas wie Transformation der Apokalyptik dar. Deren Ängste sind schon vom Gottessohn durchlitten! Und das hat biographische Folgen für jeden Menschen.

Möchten Sie das noch ein wenig erläutern?
Niewiadomski: 1963, als ich gerade 12 Jahre alt war, ist meine Mutter, die tragende Person in der Familie, im November schwer erkrankt. Anfang Dezember lag sie im Sterben. Ich, der Erzministrant, betete um ein Wunder. Ich bat den Kaplan, er möge doch Messe lesen für die Mutter. Ich hatte kein Geld für das Messstipendium, aber irgendwann würde ich es zahlen. Am Nachmittag des ersten Adventsonntags starb die Mutter. Ich habe die Nacht durchgeweint, das Wunder war ausgeblieben. Bei der Beerdigung war es eisig kalt, ein Meter Schnee auf dem Friedhof. Da drückte mich eine alte Frau an sich und sagte mir ins Ohr: „Du brauchst keine Angst zu haben. Die Mama schaut vom Himmel herab und beschützt dich.“ – Die Situation war eine Sackgasse, aber dieses Wort sprengte sie. Mir war das wie ein Wunder. Ein Jahr später verstarb mein Vater; das hat mein Leben nicht mehr erschüttert. Tatsächlich hat meine Mutter auf mich geschaut: Weil sich niemand um mich Vierzehnjährigen gekümmert hat, kam ich in ein kommunistisches Waisenhaus; das Beste, was aus mir hätte werden können, war eigentlich ein Strichjunge.

Welchen Bezug hat das Bild des Heiligen Hauptes Jesu zu solchen Lebensthemen?
Niewiadomski: Man kann es traditionell lesen: Du hast das meiste erduldet, was ist schon mein Leiden verglichen mit deinem usw. Wenn ich das Bild mit modernen Augen anschaue, sehe ich ein zerschundenes Gesicht. Es wurde bespien, geschlagen, erniedrigt; Verachtung. Der gläubige Blick auf dieses Antlitz sagt, dass selbst im Schlimmsten eine Wandlung möglich ist. Der Dreh- und Angelpunkt ist: In unserer Welt ist so viel an Schlimmem, an Skandalen, an Bosheit, so viel Verachtung gegenüber den Tätern wie den Opfern ... Deshalb müssen wir auch für Putin beten um Gesinnungsänderung. Es gibt keine so schlimme, so erniedrigende Situation, die nicht gewandelt werden könnte. Das lese ich aus diesem Antlitz heraus.

Zur Person: Jozef Niewiadomski, geb. 1951 in Lublin/Polen, studierte Philosophie und Theologie in Lublin und Innsbruck. 1975 wurde er in Rom zum Priester geweiht. Ab 1991 lehrte er als Professor für Dogmatik und Systematische Theologie in Linz, danach in Innsbruck, und war bis zu seiner Emeritierung 2019 lange Jahre Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Heuer war er als Prediger bei den Heilig-Haupt-Andachten in Klagenfurt St. Egid.