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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Dem Licht Gottes folgen, das führt und rettet

Wolfgang Schwarz, Direktor des Österreichischen Bibelwerks, zur Aktualität und Provokation der biblischen Botschaft

Wolfgang Schwarz, Direktor des Österreichischen Bibelwerks, im SONNTG-Gespräch zur Aktualität und Provokation der biblischen Botschaft (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)
Wolfgang Schwarz, Direktor des Österreichischen Bibelwerks, im SONNTG-Gespräch zur Aktualität und Provokation der biblischen Botschaft (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)
 (© Foto: Haab)
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Sie haben im November in Tainach über das Matthäus-Evangelium referiert. Es ist Matthäus, der uns auch von den sogenannten Heiligen Drei Königen erzählt.

Schwarz: Matthäus hat eine eigene Vorgeschichte Jesu, die ganz anders ist als die weitaus bekanntere des Lukas. Da steht einfach drinnen: „Mit der Geburt Jesu war es so.“ Dann folgt die Erzählung über den Traum Josefs, in dem Jesus als Retter und als der vom Propheten Jesaja verheißene Immanuel, der „Gott mit uns“, angekündigt wird. Daran schließt ein ganz knapper Hinweis auf die Geburt des Kindes. Die Geschichte setzt sich fort in Parallelität zum Schicksal des Volkes Israel: die Flucht nach Ägypten der Familie Jesu – der Zug des Volkes Israel nach Ägypten. Zunächst ist das Volk ja wegen einer Hungersnot nach Ägypten gezogen, aber ist dann dort in Unterdrückung gekommen. Aber es wird von Gott gerettet. Ähnlich bei Jesus: Er vollzieht das Schicksal Israels nach und kehrt von Ägypten wieder zurück, als es keine Gefährdung durch Herodes mehr gibt. Zuvor wurde die Flucht durch die Sterndeuter hervorgerufen: Es gibt eine Krise; oder besser: Herodes bekommt eine Krise durch die Frage der Sterndeuter, die fragen: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ Man merkt, wie so etwas einen Herrschenden trifft und zur Gefahr für ihn wird. 

Welche Funktion hat der Stern?

Schwarz:  Der Stern führt die Sterndeuter zum Kind, führt sie aber dann auf einem anderen Weg wieder zurück. Für mich ist dieses Geführt-Werden der Sterndeuter ein sehr trostvolles Bild: Da kann Herodes tun, was er will – Gott findet immer den besseren Weg und führt immer im Licht. Anders im Lukas-Evangelium die Krippe, die kleine Familie und die Hirten. Das wäre ganz lieblich, aber davor steht bei Lukas eine ganz zentrale Botschaft im Magnifikat, im großen Lied Mariens. Dort fallen die Großen hinunter, und die, die unten sind, werden hinaufgehoben. Das veranschaulicht Lukas durch das Bild mit den Hirten, das Kind in der Krippe, den einfachen Platz, wo dieses Kind geboren wird. Dieser Jesus nimmt für sich keine besseren Plätze in Anspruch. Für die Großen ist das eine schlechte Botschaft: Sie werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass vor Gott nicht der gilt, der reich ist, der Macht und Gewalt hat. 

Das heißt: Im Grunde sagen die beiden Evangelien das Gleiche, wenn ich nicht beim Romantischen stehen bleibe?

Schwarz: Es ist auf je andere Weise erzählt. Wenn Sie zum Beispiel im Lukas-Evangelium das große Gebet des Zacharias, des Vaters Johannes des Täufers, anschauen, kommt dort zweimal vor: Er hat sein Volk besucht. Mit der Geburt Jesu beginnt der große Gottesbesuch. Er schaut bei den Menschen nach, wie es ihnen geht. Und er findet die Armen, die Hilflosen. Im Matthäus-Evangelium ist die Linie eine andere: Es kommt einer, der die Gerechtigkeit wieder einführt. Im Anschluss an den Propheten Hosea sagt Jesus: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Eine Gerechtigkeit, die sich darstellt in Barmherzigkeit – das brauchen die Menschen. Bei Lukas sind es die Armen, die in ihrer Armut, Einfachheit, Unterdrücktheit einen Retter erleben, bei Matthäus geht es um die Botschaft: Gerechtigkeit muss gelebt werden. Wobei Gerechtigkeit immer ein Zweifaches bedeutet. Es gibt eine Gerechtigkeit gegen Unrecht und im Ausgleich der Mittel. Gerechtigkeit heißt aber auch, das Gesetz Gottes zu leben. Beide Formen von Gerechtigkeit münden bei Matthäus darin, zuerst Gott zu lieben und dann den Nächsten wie dich selbst, ja bis dorthin, auch deine Feinde zu lieben.

Wir müssen uns als Kirche in Bewegung setzen und dorthin gehen, wo die Menschen an den Rand gedrängt werden.

Die Einkommensschere geht immer weiter auseinander, die Gier scheint überhand zu nehmen. Papst Franziskus sagt das Gleiche: zuerst einmal soziale Gerechtigkeit, Barmherzigkeit. 

Schwarz: Ich glaube, dass der Papst durch seine Erfahrungen in Südamerika erlebt hat, wie es der Mehrheit der Menschheit geht. Auch die Heilige Schrift animiert dazu, sich zu fragen: Wie sind die Zustände? Und sie provoziert mich mitzuhelfen, diese negativen Zustände für die, die hilflos sind, schwach, arm, die keine Unterstützung und keine Lobby haben, zu ändern und ihnen beizustehen. Matthäus und Lukas haben schon in ihren Vorgeschichten verschiedene Zugänge zu derselben Notwendigkeit für diese Welt: Es geht Gott darum, die Menschen zu retten. Retten: Das Wort im Griechischen heißt „sozeïn“. Das wird oft zu schwach übersetzt, z. B. mit „heilen“. Nein, es wird nichts nur einfach wieder heil, es geht um retten.

Sie haben „notwendig“ gesagt. In einem bekannten Adventlied heißt es: „All unsre Not zu End‘ er bringt“. Es geht um konkrete Not, nicht nur „theologische“?

Schwarz: Ich glaube, dieser Papst sieht das ganze Spektrum von existenzieller Not bis zu vielen Nöten, deren Spektrum zu erkennen, zu analysieren und anzusprechen ist. Am beeindruckendsten war da für mich sein Bild, die Kirche sei wie ein Lazarett. Wir müssen uns als Kirche in Bewegung setzen und an die Ränder gehen, dorthin, wo die Menschen von den Reichen, von den Korrupten, durch Politikmissbrauch usw. an den Rand gedrängt werden.

Der Stern, dem die Sterndeuter gefolgt sind: Welches Licht führt uns zur Weihnachtsbotschaft? Welchem Stern können wir folgen, um wie diese zu Jesus zu gelangen?

Schwarz: Dadurch, dass so pointiert erwähnt wird, dass es ein Stern ist, der sie aus dem Osten hergeführt hat: Das bedeutet, dass es ein unerwartetes Licht war; nämlich von dort, wo man es nicht vermutet hat. Denn aus dem Osten ist in der biblischen Tradition nie etwas Gutes gekommen. Da waren in der alttestamentlichen Tradition die Perser, die Assyrer und andere, die das Volk Israel bedroht haben. Und jetzt kommt plötzlich das Licht aus dem Osten und mit ihm welche, die den jüdischen König suchen. Das heißt für mich: Weihnachten kann ich nur feiern, wenn ich offen bin für ein überraschendes, besonderes Licht, das aus einer Richtung kommt, woher wir es nicht erwartet haben, dem es zu folgen gilt und das zu Jesus führt, der die Welt retten will. 

Licht steht als Symbol für Rettung?

Schwarz: Ja, und vor allem ein führendes Licht! Wir sind ja seinem Stern gefolgt, sagen die Sterndeuter. Es ist nicht nur ein Lichtereignis wie ein Blitz. Und als sie dort waren und Herodes schon tobte, führte derselbe Stern sie zurück, aber auf einem anderen Weg. Er führt und rettet wieder. Ist das nicht faszinierend, wie in so wenigen Versen so Wesentliches ausgesagt wird? Daneben steht der betlehemitische Kindermord: Das ist die Folge, wenn einer wie Herodes tobt und seine Gewalt spielen lässt. Besser kann man Macht- und Politikmissbrauch, Gewalt und Selbstüberschätzung in ein paar Versen gar nicht skizzieren. Offen sein für das Licht und es erkennen: Das ist die Größe dieser Sterndeuter, die sich noch dazu für ihren Weg speziell rüsten und die wertvollsten Sachen mitnehmen, ohne zu wissen, wie es sein und was auf sie zukommen wird. Sie nehmen den Stern wahr, und sie bereiten sich intensiv darauf vor, dem neugeborenen König zu begegnen. Wie sind wir vorbereitet? Wie haben wir die Adventzeit genutzt, um uns für die weihnachtliche Begegnung mit dem Kind vorzubereiten? Was ist unser Gold, unser Weihrauch und unsere Myrrhe, die wir mitbringen, wenn wir zum Kind kommen, aber auch unseren Mitmenschen begegnen?

 

Zur Person:

Dr. Wolfgang Schwarz, 1951 in Wien geboren, 1977 zum Priester geweiht. Studienassistent am Institut für Neutestamentliche Bibelwissenschaft der Universität Wien, später vier Jahre lang Assistent von Prof. Jacob Kremer am selben Institut. 1985 Promotion mit einer Arbeit zum Neuen Testament. Nach Seelsorgetätigkeiten in der Diözese Wien wurde er 1987 Rektor des Österreichischen Hospizes in Jerusalem, seit 2004 Direktor des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.