Das Wirken des Geistes beginnt in uns
Johannes Staudacher im "Sonntag"-Interview
Der Pfarrer und Trauerseelsorger über das Wirken des Pfingstgeistes und die Fülle des Lebens mitten in der Begrenztheit, die wir täglich erfahren


Was macht Leben lebenswert? Was ist Ihr Zugang als Trauerseelsorger zu dieser Frage?
Staudacher: Mein Zugang ist die Begegnung mit den Menschen, die aufgrund eines Todesfalles in ihrer Lebensgeschichte erschüttert werden und die dann vielfach hören: „Das Leben geht weiter, du musst jetzt realistisch sein ...“ Sie erfahren: Andere möchten uns möglichst rasch aus der jetzigen Situation – einer schwierigen, aber sehr intensiven Zeit – in eine Art Alltag herausholen, als wäre nichts geschehen. Dabei ist so viel geschehen. Ich nehme eine Gesellschaft wahr, in der die Schrammen des Lebens eigentlich nicht sein dürfen.
Sie meinen: Schmerz, Leid, Trauer werden zugunsten eines Wohlfühlens verdrängt?
Staudacher: Ich sehe, dass wir nicht nur das Schmerzliche, sondern damit auch die Menschen, die einen Schmerz fühlen, an den Rand drängen. Für jene Menschen, die im Moment nicht anders können als trauern, als Schmerz tragen, möchte ich Anwalt sein.
Franz-Joseph Huainigg und Matthias Mayer haben im Interview sozusagen in eigener Sache gesprochen, Sie verstehen sich eher als Anwalt für Menschen, die so nicht zu Wort kommen?
Staudacher: Vielleicht muss ich noch etwas über meine Person sagen. Es gibt sicher einen Grund, warum ich an diesem Platz in der Kirche und in der Gesellschaft gelandet bin. Und es hat wohl auch damit zu tun, dass in mir offensichtlich von Anfang meines Lebens an ein Gespür dafür da war, dass die Welt brüchig ist, eine offene Frage. Es gibt das runde Leben nicht wirklich, auch wenn wir es uns wünschen, auch wenn wir es uns und unseren Kindern bereiten möchten.
Aber Sehnsucht nach rundem Leben ist ja etwas Schönes. Wäre das Leben ohne sie nicht hoffnungslos?
Staudacher: Sie ist vor allem deshalb etwas Schönes, weil letztlich daraus die Sehnsucht nach dem neuen Himmel und der neuen Erde wächst. Und ob ich das im Kleinen verwirkliche oder politisch im Einsatz für Gerechtigkeit, im Einsatz für die Schwächsten oder im Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, für einen liebevollen Umgang mit der Welt: Die Sehnsucht nach dem runden Leben ist eine ganz zentrale Triebfeder. Aber gerade dort, wo ich es anderen wünsche, ist der schmerzliche Lernprozess wichtig, dass ich dem anderen auch seine Leiden und seine Beeinträchtigungen nicht nehmen kann und nicht einmal muss. Denn die Rundheit, die wir auf Erden erreichen können, ist, dass wir mit der Begrenztheit Frieden
schließen.
Tun wir dem Leben nicht „Gewalt an“, wie die Bibel sagt, wenn wir das Unrunde abschneiden?
Staudacher: Ja. Ich finde von daher die Begegnung Jesu mit dem blinden Bettler spannend. Der Bettler hört, dass Jesus kommt, und schreit: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und sie befehlen ihm zu schweigen. Jesus hört seinen Schrei und sagt: Bringt ihn zu mir! Er fordert die Leute, die das Leid wegdrängen wollten, heraus, dass sie mithelfen. Dann findet Begegnung statt zwischen der Begrenztheit dieses blinden Lebens und der Fülle, die Jesus geben kann.
Jetzt an Pfingsten rufen wir besonders um den Heiligen Geist, den Beistand und Tröster, den Jesus uns verheißen hat.
Staudacher: Es gibt für das Wort „Paraklet“ die Übersetzung „Tröster“. Der ursprüngliche Wortsinn ist der, dass das Haupt aufgerichtet und ausgerichtet wird. Das hat das Tröstende: Ich muss nicht in das Finstere schauen. Ich kann nach vorne schauen, dem Licht entgegen. Und ich werde, wenn ich das aus den Augen verliere, wieder zurechtgerückt. Der Heilige Geist ist der, der uns, wo wir erschüttert und ein Stück weit zerbrochen sind, unser Haupt aufrichtet und uns hilft, in dieser Ausrichtung zu bleiben. Das ist der Weg der Hoffnung. In diesem Zusammenhang steht ja auch, dass der Geist uns beisteht und das, was im Herzen ist, in unaussprechliches Seufzen übersetzt. Da tritt er für uns ein.
In der Begegnung mit Schmerz und Trauer wird mir auch klar, dass wir die Welt nicht verstehen können, solange die andere Hälfte nicht da ist.
Anders als menschlicher Trost, der manchmal das Weinen verdrängen will?
Staudacher: Das Wirken des Geistes beginnt drinnen in uns, er ist uns ja nicht fremd. Der einzige, der dem Menschen nicht fremd ist, ist der Geist. Eine wunderschöne Stelle im Buch der Weisheit sagt: Der Geist durchdringt alles, ohne es zu verletzen. Menschen, die trösten wollen, die im Leid helfen wollen, werden, ohne es zu spüren, manchmal übergriffig, weil sie die Schmerz-Situation des anderen nicht aushalten und nicht wirklich beistehen, sondern „herumfuhrwerken“. Ein echter Trost muss letztlich aus der innersten Tiefe kommen. Und nur dann, wenn er auch von dort wächst, ist ein Trost von außen hilfreich.
Wir leben in der Spannung zwischen Begrenztheit und Fülle, zwischen Not und Trost – was heißt das?
Staudacher: Wenn ein Mensch alle seine Wünsche erfüllt hat, ist er dann glücklich? Wir sagen ja „wahres Glück“. Und das hat doch eher damit zu tun, ob wir unser Menschsein verstehen lernen. Ob wir dem Leben in seinem tiefen Grund nahe kommen, der Wahrheit Gottes in Freude und Schmerz. Ich spüre es so: Es gibt nichts auf Erden, was abgeschlossen ist. Diese Welt mit ihrer Vergänglichkeit ist nur die halbe Wirklichkeit, die andere Hälfte steht noch aus. Das zu verstehen und zu leben, ist ein Geschenk. Betagte Menschen, die schon mehr drüben sind als hier, zeigen uns das. Ihre Gedanken kreisen nicht mehr um das, was man auf dieser Welt erleben kann. Sie freuen sich schon, hinüber zu gehen, oder wissen zumindest ganz tief, dass diese jetzige Lebenszeit nur der Anfang ist. In der Begegnung mit Schmerz und Trauer wird mir auch klar, dass wir die Welt nicht verstehen können, solange die andere Hälfte nicht da ist.
Was können wir vom Geist erbitten?
Staudacher: Menschen, die Schmerzliches erlebt haben, helfen uns, das Evangelium wieder besser zu entdecken. Dass wir zum Beispiel das Leid Jesu in seiner Bedeutung wieder betrachten lernen. Dass wir auch das Dunkle der Sünde wieder mehr erkennen und sehen, dass die Welt von Gott oft so weit weg ist. Dann verstehen wir auch, dass Gottes Geist uns nicht zu irgendwelchen Höhenflügen führen will, sondern, wie Paulus es sagt, ins Seufzen hi-nein. Unser Leben ist etwas Unvollendetes, Brüchiges, aber wir dürfen es offen halten für das, was noch kommt in der Zeit und am Ende der Zeit
Ihr Wunsch für die Leserinnen und Leser des „Sonntag“ und für sich selbst?
Staudacher: Die reine Gut-Geh-Ideologie ist letztlich unmenschlich und irreal. Wir versäumen etwas, wenn wir das, was uns schmeckt, an uns zerren und das, was uns nicht schmeckt, von uns weisen. Wir versäumen die Nähe zu Jesus Christus, der in die Welt gekommen ist, um in Dankbarkeit, aber auch im Leid einer von uns zu sein und uns voranzugehen in die Auferstehung. Halten wir es mit Paulus, der sagt: Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden! Dann gehen wir den Weg Jesu. Das scheint mir tatsächlich Leben in einer Art von Fülle zu sein, wenigstens die Ahnung davon. Weil wir die Welt nicht mehr aufteilen, sondern sie in uns selbst zusammenbringen. Der Mensch hat zwei Hände: Eine soll er den Fröhlichen reichen, wenn er kann – eine den Weinenden. Aber das nicht nur, wenn er gerade mag, sondern prinzipiell.
Interview: Georg Haab
Zur Person:
Johannes Staudacher, geboren 1954, in Nötsch im Gailtal aufgewachsen. Seit 1978 Seelsorger, seit 2005 mit dem Arbeitsschwerpunkt „Trauerbegleitung“. Der Pfarrer von Klein St. Veit ist zusätzlich geistlicher Begleiter der Gemeinschaft „Glaube und Licht“ und Gehörlosenseelsorger.
Veranstaltungstipp:
Podiumsgespräch „Was macht Leben lebenswert? Mit
· Matthias Mayer, Olympiasieger
· Franz-Joseph Huainigg, Nationalratsabgeordneter im Rollstuhl
· Johannes Staudacher, Pfarrer und Trauerseelsorger
· Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung
Donnerstag, 2. Juni 2016, Beginn: 17.00 Uhr
Villach, Holiday Inn, Europaplatz 2
Assistenzleistungen lt. UN-Konvention werden nach
Rücksprache angeboten: Tel. 0676/8772-2505
E-Mail: georg.haab@kath-kirche-kaernten.at