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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Das Christentum der Zukunft lebt vom Handeln

Johannes Röser im "Sonntag"-Gespräch mit Gerald Heschl

Der „Christ in der Gegenwart“-Chefredakteur über Schöpfung, neue Gottesbilder und die Zukunft des Christentums

Der „Christ in der Gegenwart“-Chefredakteur im SONNTAG-Gespräch über Schöpfung, neue Gottesbilder und die Zukunft des Christentums. (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Der „Christ in der Gegenwart“-Chefredakteur im SONNTAG-Gespräch über Schöpfung, neue Gottesbilder und die Zukunft des Christentums. (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Röser: Schöpfung geschieht andauernd. (© Foto: kronawetter)
Röser: Schöpfung geschieht andauernd. (© Foto: kronawetter)

In St. Georgen hielten Sie kürzlich einen Vortrag über Megatrends aus einer christlichen Perspektive. Ein erster ist für Sie der Siegeslauf der Naturwissenschaften, der, wie Sie es bezeichnen, „Gott an den Rand stellt“. Ist das Erklärungsmonopol der Religionen am Ende?
Röser: Seltsam ist, dass die frühen Naturforscher aus dem Christentum kamen. Es waren oft Mönche, die Naturgesetze entdeckten und weiterforschten. Der Bruch kam mit der Neuzeit, als sich die Naturforschung aufspaltete und eine rationale, empirische Wissenschaft entstand. Da hat die Kirche den Anschluss verloren. Es ist ab da nicht mehr so, dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaften Eingang in den Glauben gefunden haben.

Müssen sich Naturwissenschaft und Glaube widersprechen? Es gibt ja Forscher, die sich zum Glauben bekennen. Wie entstand dieser teils radikale Bruch?
Röser: Die Naturwissenschaften erklärten die Entwicklung des Kosmos und des Lebens aus ihren Naturgesetzen. Da hat Gott keinen Platz. Da liegt schon ein Bruch. Die Gläubigkeit muss man auch als Naturwissenschafter anderswo herholen als im Verständnis des Eingreifens Gottes in die Welt.

Argumentiert wird aber doch auch damit, dass Gott die Naturgesetze geschaffen hat.
Röser: Das eigentliche Wunder ist ja nicht unsichtbar oder etwas Widernatürliches. Das Wunder ist die Welt. Das Wunder ist, dass wir hier leben und hier sind. Dass es dieses Leben überhaupt gibt. Schöpfung ist so gesehen kein singulärer Akt, sondern geschieht andauernd.

Wie verändert sich durch diese Sicht das Bild des Schöpfergottes? Wie stellen Sie sich „Schöpfung“ vor?
Röser: Es braucht zunächst ein neues Verständnis von Schöpfung. Sie hat nicht in grauer Urzeit etwa mit dem Urknall stattgefunden. Schöpfung ist das, was ständig rund um uns passiert. Die eigentliche Schöpfung liegt aber in der Zukunft. Wir wissen noch gar nicht, was in dieser Schöpfung noch alles passiert. Deshalb meine ich, dass sich unser Gottesbild natürlich ändert. Wir werden schwer mit einem Gott zurechtkommen, der irgendwann alles geschaffen hat und nun die Dinge ablaufen lässt, der zuschaut, was so in der Welt passiert. Das wäre angesichts all des Bösen in der Welt nichts anderes als blanker Zynismus.


Wie kann man sich diesen permanenten Schöpfungsakt vorstellen?
Röser: Wir können uns Gott nicht vorstellen, auch wenn ihn manche gerne „in der Tasche“ hätten. Gott ist nichts Abgeschlossenes, denn er ist selbst Teil der Schöpfung, die ein Prozess ist. Gott hat ständig kreativ Teil an der Schöpfung. Er ist ein dynamischer Gott. Das ist ja auch das biblische Bild: Gott ist ein Gott des Lebens und nicht starr. Gott hat lebendig teil an dieser Schöpfung.

Viele Menschen sind heute auf der Suche nach Gott – nach ihrem Gottesbild. Sie sprechen hier auch über die Zukunft der Religion. Wie sieht diese Ihrer Meinung nach aus?
Röser: Wir haben momentan widersprüchliche Tendenzen. Einerseits gibt es eine fortschreitende Säkularisierung, sogar mit einer Abwendung vom Gottesglauben. Der schwindet auch bei uns, obwohl die Leute getauft sind. Es gibt aber auch die Umwandlung des Religiösen in eine etwas diffuse Vorstellung eines Geistes oder Ähnlichem. Eine Ahnung von etwas Größerem ist gegeben – es stellt sich nur die Frage, wohin sich das Blatt wenden wird. Für das Christentum sehe ich hier schon eine besondere Herausforderung. Mit vielen klassischen Gottesbildern kann man da nicht mehr operieren.

Worauf kommt es an?
Röser: Wir werden uns darauf einlassen müssen, dass wir als Christen handeln, wie wir meinen, dass Gott es möchte. Es wird also viel mehr von unserem eigenen Vorbild abhängen, ob Menschen wieder zum Glauben an Jesus Christus finden werden. Der Kern unseres Glaubens ist die Auferstehung von den Toten, nichts sonst. Das ist eine harte, schwierige Botschaft. Und es ist die Frage, ob es uns gelingt, Menschen zur Nachdenklichkeit anzuregen, dass es vielleicht doch etwas gibt, das über uns und unser diesseitiges Leben hinausweist – über den Tod hinaus oder durch den Tod hindurch. Das ist die Botschaft des Christentums – eine Hoffnungsbotschaft!

Vielen gibt der neue Papst Franziskus Hoffnung. Einerseits innerhalb der Kirche, aber auch in gesellschaftlichen Fragen. Sie selbst kritisieren die wirtschaftliche Entwicklung und sind damit sozusagen auf einer Linie mit dem Papst ...
Röser: Papst Franziskus sagt ja ganz drastisch: „Diese Wirtschaft tötet!“ Für diesen Satz ist er von vielen kritisiert worden. Aber das, was hinter diesem Satz steckt, ist seine lateinamerikanische Erfahrung. Dort gibt es unser Modell der sozialen Marktwirtschaft nicht. Er sagt ja auch: Diese Menschen, die durch den Rost fallen, sind wie Müll. Darin steckt die ganze Tragik dieser Entwicklung. Aus religiöser Sicht muss man sagen, wenn dieses System Menschen zu Müll macht, dann wird auch Gott zu Müll gemacht. Das ist die religiöse Problematik in dieser wirtschaftlichen Frage.