Das Gute muss im Bösen aufgehen
Warum die Auferstehung Jesu unser Leben sinnvoll macht
Der ägyptische Jesuit Henri Boulad zur Vergänglichkeit des Todes und Ostern als Wendepunkt in der Geschichte. Ein Gespräch mit Georg Haab


Was bedeutet Ostern für Sie?
Boulad: Ostern ist für mich die große Veränderung des Menschlichen in die Ewigkeit hinein. Wir feiern nicht einfach, dass Jesus damals auferstanden ist. Ostern ist die Verkündigung unserer eigenen Auferstehung und der Transformation des Kosmos insgesamt. Die Geschichte der Menschheit hat Sinn, weil sie in die Ewigkeit mündet! Oder eben sie hätte keinen Sinn und endete im Tod. Ostern stellt uns vor die Wahl zwischen Sinn und Nicht-Sinn. Für mich tritt jedes Wesen, das Liebe lebt, absichtslose Liebe, in das Ostergeheimnis und in das ewige Leben ein. Wer liebt, ist schon im ewigen Leben und im auferstandenen Christus. Die Verkündigung des Evangeliums, also der Frohen Botschaft, besteht für mich gerade darin, zu sagen: Das Leben hat einen Sinn, die Welt hat einen Sinn.
Wir kennen aus der Bibel auch andere Totenerweckungen. Was macht die Auferweckung Jesu so besonders?
Boulad: Die Auferstehung Christi ist keineswegs von der Art der anderen Auferweckungen. Im Alten Testament wird bei Elija und Elischa von drei Auferweckungen berichtet, drei gibt es bei Jesus und drei in der Apostelgeschichte. Aber, genau betrachtet, sind das Reanimationen, keine Auferweckungen: Ähnlich wie Ärzte in einem Spital jemanden, der klinisch tot ist, manchmal ins Leben zurückholen können, erhalten die in der Bibel Auferweckten noch eine Lebenszeit dazu geschenkt, bevor sie sterben. Die Auferstehung Jesu ist aber keine Reanimation, sie ist viel mehr. Sie öffnet eine neue Dimension. Sie ist der definitive Sieg des Lebens über den Tod.
Fragen Sie sich nicht, angesichts von Krieg und Gewalt, auch in Ihrem Land, ob das Leben über den Tod siegen wird?
Boulad: Das ägyptische Volk ist trotz der schrecklichen Umstände voller Hoffnung. Es hofft, dass diese Agonie in eine Auferstehung mündet. Es lebt in der Gewissheit, dass das Gute siegen wird.
Woraus schöpfen Sie diese Hoffnung?
Boulad: Der Tod ist ein Skandal, ist unakzeptabel: Wenn wir für das Leben geschaffen sind, aber das Leben in Tod und Vernichtung endet, sieht man schwerlich, worin das Abenteuer des Lebens einen Sinn hätte. Warum hat Gott diese Geschichte gemacht, wenn sie im Tod endet? Der Wendepunkt ist die Auferstehung Christi. Jesus ist das Scharnier der Welt, er ist es, der den Tod durchschritten hat. Das ist der Sinn seiner Menschwerdung: Jesus ist nicht gekommen, nur um eine Botschaft zu überbringen. Er ist gekommen, um einen Durchgang zu schaffen. Deshalb sagt er: „Ich bin der Erste, der die Mauer des Todes durchschritten hat. Und jeder, der an mich glaubt, jeder, der aus mir lebt, alle, die an meinem Geist teilhaben, werden mir auf diesem Weg folgen.“
Die Auferstehung Jesu öffnet eine neue Dimension. Sie ist der definitive Sieg des Lebens über den Tod.
Schon der Apostel Thomas fragt: Wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dir nachfolgen?
Boulad: Wenn das Kind nach neun Monaten den Mutterleib verlässt, macht es eine Todeserfahrung, indem es aus einer Welt in eine andere hinüberwechselt. Für den Fötus stirbt eine Welt, er wird in eine neue hineingeboren. Ich glaube, dass das Universum, in dem wir leben, uns in neun Monaten oder 90 Jahren auf ein anderes Leben, ein wirkliches Leben vorbereitet. Wir können es uns nur nicht vorstellen, so wie der Fötus sich auch nicht vorstellen kann, in welche Welt er hineingeboren wird. Wie der Apos-
tel Paulus im ersten Korintherbrief sagt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Das ist einfach eine andere Dimension. Was wir Tod nennen, ist in Wirklichkeit eine Geburt. Geringer ist die Wahrheit nicht, die ich glaube.
Dennoch bleibt die oft bedrückende Realität des physischen Todes.
Boulad: Ostern ist für mich die Versöhnung von Leben und Tod. Der Tod schreckt mich nicht mehr, wenn ich einen Sinn darin gefunden habe. Ich sehe ihn nicht mehr als Vernichtung, sondern als Durchgang von einer Dimension in eine andere. Das bedeutet auch das jüdische Wort Pascha: Durchgang. Die Bibel nimmt das vorweg im Durchzug durch das Rote Meer – das ist eine der Lesungen bei der Feier der Auferstehung.
Versöhnung mit dem Tod ist das Eine; wie aber mit dem umgehen, der unterdrückt und Unrecht tut?
Boulad: In einer Welt, wo wir immer wieder einander vergeben müssen, weil auf allen Ebenen immer wieder Verletzungen geschehen, sind wir immer wieder zur Vergebung gerufen. Aber es ist nicht so einfach: Vergeben, ohne den anderen in einem offenen Dialog mit seiner Verantwortung für das Unrecht zu konfrontieren, verfestigt das Unrecht.
Was ist Ihre Botschaft für die Christen in Europa?
Boulad: Die Situation in Europa ist nicht so stabil, wie die Menschen annehmen. Vergesst nicht, zu bewahren und zu pflegen, was Europa in seiner Geschichte gewonnen hat: Menschenrechte, Demokratie, Ökonomie – all das ist sehr zerbrechlich. Auch in Europa lauert die Gefahr des Islamismus. Deshalb müssen wir, Moslems und Christen, uns gemeinsam für eine menschliche, freie und gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen.
Buchtipp:
Wer vergibt, ist Gott ähnlich. Wie menschliche Schuld, Reue, Vergebung und Versöhnung zum Weg Gottes werden können. 128 Seiten, Otto Müller Verlag (2013), € 16,50.
Zur Person:
Henri Boulad SJ, 1931 in Alexandria geboren, studierte Theologie im Libanon, Philosophie in Frankreich und Psychologie in den USA. Durch sein intensives apostolisches Wirken innerhalb und außerhalb Ägyptens, durch seine Vorträge und Bücher ist er auch in Europa sehr bekannt.