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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Das Sterben gehört zum Leben dazu

Rudolf Likar über sein jüngstes Buch "Es lebe der Tod!"

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
Prim. Rudolf Likar (Foto: KABEG

Prim. Univ.-Prof. Rudolf Likar im SONNTAG-Gespräch über das jüngste Buch „Es lebe der Tod!“, das er gemeinsam mit Arztkollegen verfasst hat, die Angst vor dem Tod, die Kälte in der Gesellschaft, assistierten Suizid und was er glaubt, wie es nach dem Tod weitergeht.

von Gerald Heschl

„Es lebe der Tod!“ Wollen Sie mit diesem Buchtitel bewusst Aufmerksamkeit für dieses Thema erreichen?
Likar: Wenn Sie den Titel genau lesen, dann heißt es ja, dass der Tod zum Leben gehört. Das heißt, ich muss vorher gelebt haben. Es ist schon eine Hinführung zum Thema.

Wie soll man mit der Tatsache umgehen, dass jeder von uns irgendwann sterben wird?
Likar: Da will ich aus dem Buch zitieren, wo es um die Frage nach der Angst geht. Da ist die Antwort: „Seitdem ich Gott gefunden habe, habe ich keine Angst mehr. Vorher hatte ich wie jeder Mensch Angst.“ Dieses Zitat finden Sie auf Seite 12. Der Tod gehört zum Leben wie das Leben zum Tod. Beides ist vonei-nander nicht trennbar. Das muss uns bewusst sein. Wir alle haben aber den Tod verdrängt. Er wurde in der Totenkammer sterilisiert. Früher wurden die Menschen zu Hause aufgebahrt, man hat dann drei Tage gefeiert, die Nacht durchgehend gebetet und die Geschichte dieses Menschen erzählt. Heute wird dies alles verdrängt, und die Rituale wurden abgeschafft.

Es gibt aber doch Allerheiligen?
Likar: Allerheiligen ist in diesem Sinne kein Ritual. Da zeigt man sich ein Mal im Jahr am Friedhof. Ich erlebe, dass alles oberflächlicher wird. Es fehlt die Tiefe zu diesem Thema.

Sie schildern, wie das Sterben zu Hause den Tod erlebbar gemacht hat. Hat das auch die Angst vor dem Tod ein Stück weit reduziert?
Likar: Ja, der Tod wird heute ausgeklammert. 92 Prozent der Menschen möchten zu Hause sterben. Aber wo sterben sie? Großteils in den Pflegeeinrichtungen.

Sie schreiben auch viel vom Abschiednehmen. Wo nehmen Sie Abschied von Sterbenden?
Likar: Ich habe mir angewöhnt, mich von den Menschen vorher zu verabschieden, solange sie noch leben. Das ist nicht immer möglich, aber ich versuche, dem Lebenden zu begegnen, solange es geht. Deshalb gehe ich fast nie zu Begräbnissen.

Sie verbinden im Buch Tod und Leben sehr stark. Ist ein erfülltes Leben ein Weg zu einem guten Tod?
Likar: Ich persönlich habe zwar keine Angst vor dem Tod, habe aber noch so viele Pläne, dass ich sagen würde: Es ist einfach zu früh.
Ich denke, es ist wichtig, dass man sich bewusst ist, warum man lebt. Egal wie groß der Fußabdruck ist, den man hinterlässt. Jeder muss für sich definieren, was für ihn oder sie der richtige Weg ist. Ich bin überzeugt, dass wir von mehreren Ebenen von Energie leben. Die Energie fließt von der Gemeinschaft zu mir, dann gibt es die Energie, die von mir zu den anderen fließt. Wenn ein Strang abgezwickt wird, können wir nicht mehr leben.

Besonders schwer ist der Tod eines Menschen naturgemäß für Angehörige auszuhalten.Wenn die eigenen Eltern oder gar ein Kind sterben, stellt sich die Frage nach dem Warum. Ebenso, wenn man an einer unheilbaren Krankheit leidet. Welche Antwort kann man auf dieses „Warum“ geben?
Likar: Es gibt den schönen Spruch, dass man die Rückwärts-Suche zugunsten der Vorwärts-Suche hintanstellen soll. Die Warum-Frage ist so eine Rückwärts-Suche, in der ich aber keinen Sinn finde. Diese Frage wird niemals jemand beantworten können. Statt der Frage des „Warum“ sollte die Frage im Mittelpunkt stehen: Was gibt meinem Leben einen weiteren Sinn? Wir müssen nach vorne schauen. Das betrifft auch chronische Krankheiten. Wichtig ist, sich klar zu werden, was man trotzdem tun kann.

War die laufende Diskussion um den assistierten Suizid mit ein Grund für das Erscheinen dieses Buches?
Likar: Das Buch war zwar schon vorher geplant, aber das Thema fand dann natürlich aus aktuellem Anlass auch Eingang. Wobei ich meine, dass man sich nicht grundsätzlich gegen ein Verfassungsurteil stellen kann. Nur dagegen sein, ist keine Lösung, sondern man muss einen Weg finden, wie man vernünftig damit umgeht. Wir müssen die Schutzschilder rundherum aufbauen wie Palliativ- und Hospiz-angebote. Aber sie alleine werden auch nicht helfen, wenn die Gesellschaft rundherum immer kälter wird. Es braucht eine groß angelegte Initiative für mehr Miteinander und Wärme in der Gesellschaft.

Was halten Sie vom Schlagwort des „selbstbestimmten Sterbens“?
Likar: Was heißt selbstbestimmtes Sterben? Das wird ja erst schlagend, wenn ein gewisser Erwartungsdruck aufgebaut wird. Wenn wir als Gesellschaft funktionieren, dann wird der assistierte Suizid sicher die Ausnahme bleiben. In diese Richtung müssen wir aber noch viel arbeiten. Das betrifft auch alle Institutionen einschließlich der Kirche.

Viele Menschen möchten schmerzfrei und bei vollen Sinnen in den Tod gehen und befürworten deshalb den assistierten Suizid. Ist das ein Argument?
Likar: Man muss bedenken, dass sich die Menschen ändern. Jemand, der als Gesunder für den assistierten Suizid plädiert, denkt dann oft um, wenn er krank ist. Da erwacht der Lebenswille noch einmal ganz anders. Ich habe bisher etwa 5000 Sterbende betreut. Das Thema assistierter Suizid kam vielleicht drei oder vier Mal vor. Es sind also Einzelfälle.

Was glauben eigentlich Sie persönlich, wie es nach dem Tod weitergeht?
Likar: Wie es weitergeht, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß aber, dass es weitergehen wird. Ich denke, der körperliche Tod tritt rasch ein, aber die Seele bleibt. In welcher Form weiß ich natürlich nicht. Ich habe schon so viel erlebt, das mich sicher macht, dass es danach etwas gibt.