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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Das Gegenteil von Recht ist nicht Freiheit, sondern Willkür

Andreas Kowatsch, Professor für Kirchen- und Religionsrecht in Wien im SONNTAG-Gespräch über die Faszination des Kirchenrechts.

Univ.-Prof. DDr. Andreas Kowatsch (Foto: Privat)
Univ.-Prof. DDr. Andreas Kowatsch (Foto: Privat)

Sie sind seit Kurzem Professor für Kirchenrecht in Wien. Was ist das Faszinierende an diesem Fach?
Kowatsch: Für eine große Gemeinschaft wie die Katholische Kirche mit 1,3 Milliarden Gläubigen, Tausenden Diözesen, Ordensgemeinschaften etc. ist eine Ordnung notwendig. Da geht es um ein gutes Miteinander, aber auch darum, Konflikte friedlich zu lösen. Einerseits ist die Kirche eine Gemeinschaft, die Recht braucht. Andererseits wird von der Kirche selbst, von ihrem Wesen her, Recht gestiftet. Die Kirche ist kein Selbstzweck und unsichtbar, sondern ganz konkret, denn Gott ist Mensch geworden.

Manche sehen im Kirchenrecht eher einen Zwang, von dem man sich befreien sollte ...
Kowatsch: Das ist ein ganz großer Irrtum. Das Gegenteil von Recht ist nicht Freiheit oder Liebe, sondern Willkür. Wenn es keine Ordnung gibt, herrschen Chaos und Ungerechtigkeit. Als Jurist und Theologe frage ich nach der Gerechtigkeit, aber eben auch nach Barmherzigkeit. Sie ist größer als jede menschliche Gerechtigkeit.

Verlangt Barmherzigkeit nicht auch den Blick auf den einzelnen Menschen?
Kowatsch: Die kirchliche Rechtsordnung hält viele Instrumente bereit, mit denen man auf den Einzelfall schauen kann. Das ist stärker als in jedem anderen Recht. Es geht um eine objektive Ordnung, die für alle gleich ist. Dennoch kann man subjektiv schauen, wie man die Dinge möglichst gut regelt.

Mit Blick auf die Weltkirche: Ist das Kirchenrecht das einzig wirklich universale Recht?
Kowatsch: Das ist in der Tat ein sehr spannender Aspekt. Die Kirche ist ja die einzige wirklich funktionierende weltweite Gemeinschaft. Das hängt eben mit ihrer rechtlichen Struktur zusammen. Diese Ordnung mit dem Papst, der die Einheit verkörpert, und den Bischöfen, die das Universale in ihrer jeweiligen Diözese weitergeben, hat aber auch unsere säkulare Rechtskultur massiv geprägt. Ohne das kirchliche Recht gäbe es vieles nicht, was für uns im säkularen Recht heute selbstverständlich ist.

Wie zum Beispiel?
Kowatsch: Wir haben einmal die römische Rechtstradition, die aber mit dem kirchlichen Menschenbild von der Würde jedes Menschen einhergeht. Die Kirche hat sich zwar schwer mit den Menschenrechten getan, aber gerade das christliche Menschenbild war grundlegend für die Menschenrechte.

Sie haben Jus und Theologie studiert. Was ist das Besondere an dieser Verbindung zweier Rechtssysteme?
Kowatsch: In Wien, wo ich studiert habe, dominiert die rechtspositivistische Schule. Sie hat Großes geleistet, blendet aber bewusst die Frage nach Gerechtigkeit und Moral aus. Das war für mich als Theologe nie wirklich zufriedenstellend. Das Kirchenrecht lebt ja geradezu von der Verbindung von Recht und Moral. Ich weiß schon, dass der Staat dies zu trennen hat. Aber in einer Glaubensgemeinschaft bekennt man sich zu Grundwerten. Daher wird die Rechtsordnung viel intensiver Moral und Recht verknüpfen.

Sehen Sie Reformbedarf im Kirchenrecht?
Kowatsch: Der Umgang mit Missbrauch in der katholischen Kirche hat gezeigt, dass es in manchen Bereichen Verbesserungsbedarf gibt. Jetzt wird sehr stark darüber diskutiert, ob das Handeln von Generalvikaren und Bischöfen stärker nach kirchenrechtlichen Kriterien überprüft werden sollte. Der Träger des apostolischen Dienstamtes ist der Bischof, aber er ist kein Monarch. Das Volk Gottes und der Hirte sind aufeinander verwiesen. Es gibt die Möglichkeit, Mitwirkungsrechte massiv auszubauen, die das Volk Gottes am Leitungsamt teilhaben lassen.

Gilt das auch für die sogenannten „heißen Eisen“?
Kowatsch: Das Recht ist nicht dazu da, dem Lehramt Vorgaben zu machen, etwa bei der Zulassung zur Weihe. Das ist nicht die Fachkompetenz von Kirchenrechtlern. Ich bin aber der Meinung, dass man als Theologe bei aktuellen Fragen wissen sollte, wie die kirchenrechtliche Meinung dazu aussieht. Gerade zu den „heißen Eisen“ wird so viel diskutiert, dass es gut ist, den Standpunkt des Kirchenrechtes zu kennen. Dabei hat das Kirchenrecht keineswegs eine bremsende Funktion, wie viele glauben. Ganz im Gegenteil schlummern in unserer Rechtsordnung große Potenziale, die vieles zulassen.

Sie sind auch Professor für Religionsrecht – also die Beziehung von Staat und Religionsgemeinschaften. Wo liegen hier die Schwerpunkte?
Kowatsch: Als Religionsrechtler ist mir wichtig, wie weit das jetzige System des Miteinanders und Gegenübers von Staat und Religionsgemeinschaften in Österreich überlebensfähig ist. Es ist vor dem Hintergrund einer Staatskirche gewachsen, von der sich der Staat schließlich gelöst hat. Andere Glaubensgemeinschaften wurden anerkannt. Aber das Bild, dass es erst einer staatlichen Anerkennung bedarf, damit man als Religion handlungsfähig ist, gehört eigentlich noch ins alte Schema. Wir haben hier in Österreich Regelungen, die auf europäischer Ebene etwas eigen wirken. Vielleicht ermöglicht gerade diese Eigenheit, dass unser Religionsrecht zukunftsfähig ist.

Welche rechtlichen Herausforderungen sehen Sie?
Kowatsch: Ich denke da vor allem an Gemeinschaften, Sekten, die sich unter dem Deckmantel des Religiösen der Freiheit der Menschen bemächtigen wollen. Da kann es schon notwendig sein, dass der Staat sein Auge darauf wirft. Es stellt sich auch die Frage, wie man die Freiheit der einen respektieren kann, ohne die Freiheit der anderen zu gefährden. Das ist gerade im Blick auf die Zuwanderung eine spannende Herausforderung.

Sie sind bereits in sehr jungen Jahren Professor. Welche Ziele haben Sie?
Kowatsch: Ich möchte möglichst viel für die Rechtskultur in der Kirche bewirken. Wir leben in einer Zeit der Reform- und Glaubwürdigkeitsdebatten. Dazu gehört das Recht. Hätten alle Verantwortungsträger innerhalb der kirchlichen Rechtsordnung gehandelt, dann hätten wir heute in der ganzen Problematik des Missbrauchs nicht diese Dimension.